Die Gabe der Prophezeiung gehört nicht zu meinen Talenten. Alle großen Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte, einschließlich des Zusammenbruchs der KP-Diktaturen, kamen für mich recht überraschend.
Zuletzt aber war ich doch sicher: Nach dem jüngsten Türkei-Schwenk würde unsere politische Führung auch das Reizthema "Burka" nicht mehr dem rechten Lager überlassen. Und so ist es auch gekommen. Zu groß scheint die Verlockung, in Vorwahlzeiten ganz nah beim Volk zu sein.
Und wieder einmal ist es der Islam, der uns über Grundrechte nachdenken lässt: Jahrelang, von den Mohammed-Karikaturen bis zum Blutbad bei Charlie Hebdo, hieß die Frage: Was zählt mehr, die Meinungsfreiheit oder der Respekt vor Religionen? Ein sinnloser Gegensatz zwischen gleich Wichtigem.
Jetzt, im Streit um die Vollverschleierung, heißt es: Sollen wir angesichts der jahrhundertealten Herabwürdigung von Frauen in einer fremden Kultur ein Vermummungsverbot in Rot-Weiß-Rot erlassen - als Signal nach außen, aber letztlich irrelevant? Oder endlich Teil einer starken, möglichst internationalen Geste der Missbilligung sein?
Unbestritten ist: Weder die Burka, noch der saudische Niqab oder der iranische Tschador sind religiös begründet. Sie sind auch kein Symbol eines neuen Selbstbewusstseins junger muslimischer Frauen. Vielmehr geht es um ein schlimmes Relikt beduinischer Männergesellschaften, das unserer Wertewelt klar widerspricht und sich hoffentlich bald überlebt. Das aber rasch zum Kampfobjekt wird, wenn wir es - wie zuletzt - zur Bedrohung unserer Sicherheit hochstilisieren.
Anlassgesetz ohne Anlass
Ich meine: Ohne erkennbaren Sachzwang sollten wir Österreicher nicht in die Falle dieser Konfrontation gehen. Denn mit Gesetzen aus der Distanz ist in der islamischen Welt sicher keine Gleichberechtigung für Frauen zu erzwingen.
Nach unserem Freiheitsverständnis ist Kleidung auch Privatsache, solange dahinter kein erkennbarer Zwang steht oder die Rechte anderer verletzt werden. Burka-Trägerinnen habe ich im Übrigen - außer bei finanzstarken Touristinnen aus dem Mittleren Osten und in den heimischen Medien -hierzulande kaum gesehen.
Vergessen wir nicht: Viele Muslime, Frauen und Männer, durchlaufen gerade jetzt unter hohem Zeitdruck eine heikle Phase der Selbstfindung in unserer globalisierten Zivilisation. Viele von ihnen fühlen sich dabei in ihren Traditionen und alten Sicherheiten bedroht. Wer diesen Prozess im Alleingang abkürzen möchte, der ist schlecht beraten. Der würde die betroffenen Frauen noch mehr in die Isolation treiben - und viele ihrer Glaubensbrüder und -schwestern in eine fatale Solidarität.
Niemand von uns wird die Burka und die Unterdrückung von Frauen schönreden. Aber ein Anlassgesetz ganz ohne Anlass löst gar nichts. Es belohnt nur die politisch Falschen - und frustriert die ohnedies Belasteten.
Heinz Nußbaumer
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