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„Präsenz“ in der Welt

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Denn Ausdrücke wie „Evangelisation“, „Zeugnis“ oder „Mission“ haben offenbar so viel nichtauthentischen Mehrwert erhalten, daß sie unmöglich noch weiterhin als unsere Schlagworte dienen können. „Sie suggerieren eine Haltung, in der man spricht, bevor man gehört hat; Menschen aus ihrem gewohnten Lebensbereich herausholt, um sie in ein christliches Milieu einzugliedern; eine Vorliebe für die Seele auf

Kosten eines aufrichtigen Interesses für das ganze Leben... Außerdem setzten sie zuviel an fester (auch dogmatischer) Gewißheit voraus...“ Um dieselben Intentionen wieder authentisch verwirklichen zu können, tritt an die Stelle all dieser Termini ein viel neutraleres Wort: „Präsenz“, das ist: engagiert, einbezogen sein in die konkreten Strukturen unserer Welt, Gottes Welt, um da, redend oder schweigend, zur Humanisierung des Lebens beizutragen und so Christus zu re-präsentie- ren.

Das ist nun in einem Rapport zu lesen, der das Gelände einer „ökumenischen Strategie“ abstecken will. Es ist evident, daß das nicht auf eine zwischenkirchliche Problematik abzielt. „Die grundlegende ökumenische Aufgabe ist die Beziehung zwischen Kirche und Welt.“ „ökumenisch“ heißt hier soviel wie: in Perspektive auf die Welt und in einem Dialog mit ihr leben; in Solidarität mit den Menschen, mit denen uns unser Wirkungskreis zusammenbringt; bereit und schon dabei, diesen Menschen „gleich zu werden“. Wo das geschieht, ist ökumenisch etwas im Gange. Rund um dieses Geschehen müssen sich die Kirchen gemeinsam neu gruppieren; neue Strukturen können nur hier (wo auch sonst?) experimentierender- weise entworfen werden.

In dieser groben Skizze stellt sich uns eine neue Variante jener alten ökumenischen Lebensspiritualität vor. Anzeichen dafür konnten wir in den vergangenen Jahren überall um uns herum bereits feststellen: in dem anhaltenden, von Herzen kommenden Appell, der aus Gesprächen und Schriften auf uns eindringt; in einer Frömmigkeit weltoffener Art, aus der nun wirklich alle Klosterremi-

niszenzen verschwunden sind und der „religiöse“ Rahmen endgültig verabschiedet wurde; in Gruppen, die die Kirche als Avantgarde der neuen Menschheit darstellen wollen, die deshalb das Evangelium nichtreligiös interpretieren in harter politischer Aktion an den Fronten, wo für die Menschwerdung der Menschen gestritten wird und wo die Humanisierung der menschenunwürdigen Strukturen der Ansatzpunkt geworden ist. Es ist deshalb ein eindeutiges Mißverständnis, wenn in diesem Zusammenhang immer wieder von einem „mich tkirchlichen Christentum“ gesprochen wird. Es geht jedenfalls deutlich um ein anderskirchliches Christsein.

Der Prüfstein ist doch die Frage: Wie kommt die Welt in diesem „ökumenischen“ Denken vor, das von der Kirche ausgeht und alles auf die Kirche hingeordnet sieht? Da behauptet man „ekklesiogene Zonen“, Bereiche indirekter Beziehung Zur Kirche, und spannt sie möglichst weit. Von den Rändern der eigenen (wahren) Kirche aus setzt sich die ecclesia in ekklesialen Gemeinschaften fort, um sich dann auch noch in ekkiesoiden Zonen auszubreiten, bis nahezu niemand mehr übrigbleibt, der nicht, auf welche Weise dann auch, durch ein bewußtes oder unbewußtes Verlangen mit der Kirche zu tun hat. Gehört er nicht zur „manifesten“ Kirche, dann doch höchstwahrscheinlich zur „latenten“; ist er kein bekennender Christ, dann müssen wir doch damit rechnen,- in ihm einen „anonymen Christen“ vor uns zu haben.

Vereinnahmende Ekklesiologie

Dieses kirchen-expansive Denken will es uns zwar ermöglichen, alle voreilig gezogenen Grenzen freimütig zu passieren. Ein verlegener „prä-ökumenischer“ Provinzialismus kann so sein Ende finden. Wir werden hier jedoch nicht ermuntert, die Grenze zwischen Kirche und Welt zu überschreiten. Und wenn „ökumenisch“ primär als „missionarisch“

verstanden werden muß (Visser’t Hooft) und „Ökumene“ tatsächlich den „Weg von der Kirche zur Welt“ bedeutet, dann werden wir auch schließen müssen, daß diese vereinnahmende Ekklesiologie eindeutig „prä-ökumenisch“ geblieben ist. Die Kirche — in verschiedener Abstufung — schließt wie ein kosmischer Tempel die ganze Menschheit ein. Man kann ihr kaum entkommen, und es bleibt auch kein Daumenbreit echte Welt mehr übrig.

Wo die Welt jetzt so unterschlagen wird und die Menschen zu angehenden Proselyten abgestempelt sind, da muß die Ekklesiologie in eine kirchliche Selbstreflektion ausarten. Der Charakter der Kirche als Zwischenspiel, ihre ex-zentrische Position und vor allem ihre Diasporasituation drohen dabei ständig vergessen zu werden; die Kirche hat eine eigene Geschichte entworfen, in die sie sich nun wie in ein Reservat zurückziehen kann. In der Konsequenz droht dann auch die Ökumenologie in eine gemeinsame Selbstreflektion zu entarten; man bespiegelt sich in dem, was zwischen den Kirchen im Gang ist, und konstruiert so eine eigene „ökumenische Geschichte“, in die man sich notfalls zurückziehen kann.

Aus dieser sterilen Selbstbespiegelung können wir uns erst befreien, wenn wir alle unsere prä-ökumenisch gebildeten und gebliebenen Ideen und Begriffe resolut umdenken. Das wird wohl eine langwierige und peinliche Angelegenheit werden. Denn es ist leicht gesagt, daß die Ökumene uns nötigt, die Kirche „in Verantwortung für die Welt“ zu definieren. Damit ist ja doch ein Programm gegeben, mit dessen Durchführung wir, soweit ich es beurteilen kann, noch kaum begonnen haben. Wir können uns nicht damit begnügen, unsere Lehre von der Kirche neu zu formulieren, sondern wir werden darüber hinaus die ganze Theologie — mit der Welt als Horizont — erneut durchnehmen müssen, um so unserer Selbsteinkapselung zu entgehen und aus dem Reservat unserer eigenen Geschichte herausgeführt zu werden.

Für eine gemeinsame Geschichte zwischen Kirche und Welt

Das wird folgerichtig bedeuten müssen, daß wir auch Konzepte, die ursprünglich nur auf innerkirchliche Verhältnisse' Bezug hatten, jetzt in Verantwortung für die Welt definieren. Wenn zum Beispiel behauptet wird, der Kern jedes Schismas liege in der Weigerung, eine gemeinsame Geschichte zu akzeptieren, dann werden wir weiterfragen müssen, ob das Urschisma nicht darin besteht, daß die Kirche sich (immer wieder) weigert, die Geschichte der Welt zu teilen, daß sie dann „häretisch“ werden muß, weil sie als auf sich selbst bezogene Kirche gegen den Menschen Partei nimmt, und schließlich auch „häretische Strukturen“ hervorbringen kann, die ihr einen Anschluß an und eine Mission in die Welt unmöglich machen.

An diesen und noch so vielen anderen Einzelheiten werden wir beginnen oder fortsetzen müssen, unser ganzes Begriffsmaterial ökumenisch zu machen. Aber nicht diese theologischen Exerzitien werden die wesentliche Veränderung der Ökumenizität bringen. Sie geschieht erst dann, wenn wir vom Ende, vom kommenden Reich her Kirche und Welt auseinander- und beieinandergehalten sehen. Die Kirche als jetzt schon vorauslaufende und deshalb immer vorläufige Gestalt des Reiches ist in eine Welt hineingestellt, die so entscheidend in einen Verhei- ßungs- und Erwartungshorizont gehört, daß sie nur noch als Geschichte gedacht werden kann: nach vorne offen, weil hier die Zukunft immer wieder die Übermacht über den Zustand gewinnen will. An diese Tendenz muß die Kirche erinnern. Ihre ökumenische Dimension wird darin bestehen, daß sie in der Welt die Perspektive auf das Reich offenhalten will. Was sich an Kirche und Welt vollzieht, wenn sie so gemeinsam in der Reichsperspektive erscheinen, ist am besten beschrieben als „eine Infektion mit Hoffnung“ (Loisy). Meistens ist es für uns dann selbstverständlich, daß die Kirche der Infektionsherd sein muß. Deshalb wird es wohl Zeit in Kirche und Theologie, in der Mission und also auch in der Ökumene, daß wir uns infizieren lassen mit Hoffnung, um so wirklich wieder die Welt als Horizont der großen Taten Gottes annehmen zu können.

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