"Prag 1989 - eine Sternstunde"

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Der ehemaligen Osteuropa-Korrespondentin des ORF, Barbara Coudenhove -Kalergi, wird am 2. Mai der Ehrenpreis des Presseclubs Concordia für ihr journalistisches Lebenswerk verliehen. Die furche sprach mit ihr über ihre langjährige Tätigkeit im Ausland, ihren journalistischen Werdegang und ihre Einschätzung der österreichischen Medienlandschaft.

Die Furche: Was war das größte Erlebnis für Sie als Journalistin?

Barbara Coudenhove-Kalergi: Das Jahr 1989 in all seinen Facetten. Ich war bei der sanften Revolution in Prag, beim Fall der Berliner Mauer, und als Vorspiel dazu bei der Gründung der Solidarno´s´c in Polen dabei. Mein eindrücklichstes Erlebnis war aber die Wende in Prag. Dieser Moment, als Hunderttausende den Sturz des Einparteienregimes und freie Wahlen gefordert haben - und innerhalb weniger Tage war es tatsächlich soweit. Das war wirklich eine Sternstunde, wo man als Journalist nur froh sein kann, da zufällig dabei zu sein.

Die Furche: Wie schwierig waren die Arbeitsbedingungen in Osteuropa?

Coudenhove-Kalergi: Ich war 1979 beim Papstbesuch in Polen, bei dem sich erstmals Massen versammelt haben, um gegen das Regime zu protestieren. Mit den Leuten reden, das sehen, was sich entwickelt hat, das konnten wir relativ ungehindert. Schwieriger war es später, als die Solidarno´s´c und das Kriegsrecht kamen. Da waren wir auch ein paar Mal kurzfristig eingesperrt. Man hatte als ausländischer Journalist aber mehr oder weniger die Gewissheit, dass einem nichts passiert. Ich kann mich erinnern, dass wir einmal etwas gedreht haben, was wir nicht hätten drehen sollen. Da kam die Polizei, hat uns ein paar Stunden festgehalten und uns die Kassetten weggenommen. Wir waren auch in Bratislava bei der so genannten Kerzendemonstration. Da sind wir eine ganze Nacht im Kriminal gesessen und haben erlebt, wie die ganze Intelligenzija der Stadt eingetrudelt ist. Für all diese Leute war es nicht sicher, dass das Ganze gut ausgeht.

Die Furche: Wie sind Sie orf-Korrespondentin geworden?

Coudenhove-Kalergi: Ich habe wie jeder Journalist in der Lokalredaktion angefangen und habe dann die Seite Drei im Neuen Österreich übernommen. Die Innenpolitik hat mich überhaupt nicht interessiert, aber sonst habe ich alles gemacht und auch sehr bald mit der Auslandsberichterstattung begonnen. Ich bin schon damals von der Arbeiterzeitung aus wann immer ich konnte herumgefahren. Ich bin zum orf gegangen, weil die Möglichkeiten größer waren. Ich habe mich aber immer als Printjournalistin, nie als Fernsehjournalistin gesehen. Ich bin da auch mehr oder weniger wider Willen hineingekommen. Damals, als der Streik auf der Danziger Werft losging, habe ich für das Radio berichtet. Diese Geschichten sind sehr aufgefallen, und dann hat mich Gerd Bacher ins Fernsehen geholt. Ich habe am Telefon erfahren: "Morgen kommt ein Kamerateam, und jetzt machen Sie dasselbe fürs Fernsehen." Ich habe damals überhaupt nicht gewusst, wo vorne und hinten ist bei einer Kamera - ich bin da hineinkatapultiert worden. Das Fernsehen war für mich die Möglichkeit herumzukommen und ein bisschen mehr Geld zu haben, als man es bei den kleineren Medien hat. Ich habe es aber immer als Last empfunden, dass man sich neben der Geschichte noch um so viele andere Sachen kümmern muss - ob die Leitung funktioniert und ob das Licht passt.

Die Furche: Hat Sie die politische Entwicklung von 1968 beeinflusst?

Coudenhove-Kalergi: Ich war damals in Paris, als der Pariser Mai 1968 losgegangen ist. Für mich war es interessant, aber nicht die politische Erweckung. Es war früher, dass ich zur Politik gekommen bin. In den sechziger Jahren als bei uns ein paar Nazi-Geschichten losgegangen sind. Ich habe damals zuerst in der Presse und dann im Kurier über solche Sachen berichtet und bin dann erschrocken, wie sehr das heruntergespielt wurde. Es gab da einen Prozess, weil Studenten einen harmlosen Anschlag auf das Parlament gemacht haben. Darüber habe ich berichtet, und da war es für mich irgendwie seltsam, dass das als Bubenstreich heruntergespielt wurde. Ich bin dann nach Waidhofen an der Thaya gefahren. Dort waren diese Jungen in einer Bundeserziehungsanstalt, offenbar eine Vollnazischule, und mir ist da klar geworden, was es alles gibt. Ich habe diese Burschen gut verstehen können, da in diesen verstunkenen österreichischen Provinzorten entweder ein wirklich schwarzer Mief war oder es die Welt der Burschenschafter gab. Das war eigentlich mein Politikerlebnis - '68 kam dann etwas später.

Die Furche: Wie sehen Sie die heutige Situation für Journalisten in Österreich?

Coudenhove-Kalergi: Besser und schlechter. Es gibt hervorragende junge Journalisten, aber es ist heute schwer einen sicheren Job zu erlangen. Der orf ist in einem jämmerlichen Zustand - in einem weit schlechteren als zur Zeit von Bacher oder Zeiler. Der Zugriff, der Druck der Parteien, ist noch größer geworden. Konkret gesagt der Zugriff der övp. Das macht es für viele Journalisten schwerer. Das ist das eine. Das andere ist, dass es auch sehr gute neue Entwicklungen gibt. Ein Blatt wie der Falter hat sicher die Szene belebt. Es ist also zwiespältig, aber für junge Journalisten sicher nicht leicht.

Die Furche: Was denken Sie über Österreichs Printmedienlandschaft?

Coudenhove-Kalergi: Österreich war nie ein wirkliches Zeitungsland, das muss man sagen. Wirklich hervorragende Tageszeitungen gibt es in Österreich nicht. Die Kronen Zeitung ist ein Phänomen für sich. Die ist hervorragend gemacht, hat aber auch Kampagnen gehabt, die in meinen Augen schrecklich waren. Wir haben keine Zeitungen wie Liberation, keine La Repubblica, keine Süddeutsche Zeitung, wir sind auch ein kleineres Land. Also fretten sich die guten Journalisten halt so durch. Die meisten müssen in den Tageszeitungen von Tag zu Tag ihre Geschichten liefern und haben deshalb gar nicht den Atem, um die größeren Sachen, die sie gerne machen würden, zu machen.

Das Gespräch führten Otto Friedrich und Stefan Taferner.

Grande Dame des Journalismus

Barbara Coudenhove-Kalergi wurde 1932 in Prag geboren, von wo sie 1945 mit ihrer Familie vertrieben wurde. In Österreich arbeitete sie unter anderem für die Zeitungen "Die Presse", "Kurier", "Arbeiterzeitung" und "Das Neue Österreich". Sie war jahrelang für den orf als Korrespondentin in Osteuropa, dort vor allem in der Tschechoslowakei und in Polen, tätig. Coudenhove-Kalergi war mit Franz Marek, einem Reformkommunisten und Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei, verheiratet. Berufliche Nachteile habe die Parteizugehörigkeit ihres Mannes aber keine gebracht, meint Coudenhove-Kalergi: "Als mich Gerd Bacher, ein alter Kommunistenfresser, zum Fernsehen geholt hat, habe ich ihn gefragt: Sie wissen schon, dass ich mit einem Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei verheiratet bin? Da hat er gesagt: Ja, das ist o.k. In die kommunistischen Länder muss man Linke schicken, weil die sind die schärfsten Kritiker." Der Presseclub Concordia verleiht ihr zum internationalen Tag der Pressefreiheit am 2. Mai den Ehrenpreis für ihr journalistisches Lebenswerk. Damit reiht sie sich in eine Gruppe von Preisträgern wie Václav Havel, Kardinal König und George Tabori ein. Sie wurde auch als erste Frau am 19. April mit dem Axel Corti Preis für besonders wertvolle Leistungen im Fernsehen im Bereich der Erwachsenenbildung ausgezeichnet.

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