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Probleme des Berichtes

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Greifen wir nun einige Probleme heraus, die der Bericht an sich aufwirft!

Da ist zunächst die „Schätzung“ oder Aufzeichnung. Es handelte sich wohl um eine Eintragung zum Zwecke der Besteuerung. Möglicherweise hat Josef in Bethlehem Vermögenswerte besessen.

Mit seiner Angabe verklammert Lukas die Geburt Jesus fest mit der Weltgeschichte. Leider fehlt uns aber eine weitere Quelle zur genauen Bestimmung des Jahres. Daß es solche Schätzungen gegeben hat, steht außer Frage, in Ägypten z. B. im Jahre 9. v. Chr., wie eine Urkunde besagt, in Palästina im Jahre 6 oder 7 n. Chr. dem jüdischen Schriftsteller Josephus zufolge. Dem Bericht nach soll He- rodes noch gelebt haben, als Josef mit Maria in Bethlehem war. Daher muß es spätestens im Jahre 4 v. Chr. gewesen sein. Auf das Jahr 4 weisen auch astronomische Erwägungen hin: Der „Wedlhnachtsstern“ wird als eine ganz seltene Himmelserscheinung in Form eines engen Zusammentreffens (Konjunktion) der vier hellsten Planeten Venus, Mars, Jupiter und Saturn erklärt, die in jenem Jahr stattfand. Daher nimmt man das Jahr 4 v. Chr. als das Geburtsjahr Jesu an.

Offen bleibt allerdings die Frage, ob bei Lebzeiten des Herodes ein römischer Zensus in Palästina möglich war. Wurde vielleicht eine Tributzahlung in jener Weise abgewinkelt? — Die damaligen Vorgänge und die ihnen zugrunde liegenden Verhältnisse bleiben unklar, weil dem Evangelisten hierüber in volkstümlicher und nicht in juridisch-präziser Weise berichtet worden ist.

Warum begleitete Maria Josef nach

Bethlehem? Wollte sie etwa bewußt das Prophetenwort erfüllen, das Bethlehem als den Geburtsort des Messias nannte? Wollte sie ihren Sohn gleich dort als Davidsnachkommen eintragen lassen? Oder war der Beweggrund die Scheu, als unvermählte Schwangere in Nazareth zurückzubleiben? Die Ehe begann wohl mit der Verlobung, die eheliche Gemeinschaft aber erst mit der Heimiholung.

„Nicht ohne ihr Wissen, ihr zum dunklen Rätsel, wurde sie Mutter, sondern so, daß sie erfuhr, was Gott an ihr tat“ (Adolf Schlatter). Josef wußte um das Geheimnis des Kindes und war bereit, seine Aufgabe dabei zu erfüllen, Ihm unter Menschen ein Vater zu sein, damit es nicht der Lästerung preisgegeben sei.

Unter der erwähnten „Herberge“ haben wir uns einen großen Raum für Mensch und Vieh vorzustellen. Die Geburt erfolgte wahrscheinlich außerhalb in einer Grotte. Hier tritt kein doketischer Zug bei Lukas zutage, d. h. die Menschlichkeit Jesu wird nicht verkürzt. Vielleicht geschah es vor allem zur Stärkung der jungen Mutter in dieser für sie so schweren Nacht, daß die Botschaft eines Engels dem neugeborenen Kind die ersten Anbeter zuführte.

„Über der ganzen Geschichte ruhen zarte, tiefe Geheimnisse der Mutterschaft, die dem erklärenden Verstände nicht zugänglich sein können“ (Wilhelm Herbst).

Die Frage nach den Engeln kann nicht übergangen werden. Ein Engel hatte der Jungfrau Maria die Geburt Jesu angekündigt. Das Erscheinen der Hirten bei der Krippe ist ohne übernatürliche Einwirkung nicht zu erklären. Die Engel sind aus dem Bericht des Lukas nicht wegzudenken.

Zu diesem Thema erklären sehr nüchterne Theologen, es sei nicht einzusehen, warum es nicht Wesen geben sollte, die — gleich wie Gott — „in einer anderen Welt“ leben. Haben wir Menschen ein Recht, uns als die höchsten Geschöpfe zu betrachten? Wer könnte Gott die Macht oder den Willen absprechen, Wesen zu schaffen, die dem Materiellen nicht verhaftet sind? Wesen, die zwar vorhanden, unseren Sinnen aber nicht wahrnehmbar sind? Die Engel sind Gehilfen Gottes und erfüllen seine Aufträge „augenblicklich“. Wenn sie sich den Menschen in Ausnahmefällen bemerkbar machen, so treten sie selbst gegenüber ihrem Auftrag völlig in den Hintergrund. Daher beschreibt Lukas die Erscheinung der Engel nicht, er hält nur fest, was sie gesagt haben.

Es steht außer Frage, daß die Apostel und somit auch Lukas über die Engel mehr wußten als wir. Vielleicht werden derartig außergewöhnliche Begebenheiten von den Betroffenen in einer Weise erlebt, daß sie nachher selber nicht genau wissen, wie es war. Sie kennen aber das Wort, das zu ihnen gesprochen wurde, wissen, daß etwas Besonderes geschah, wissen auch, was mit ihnen geschah.

Die Wissenschaft hat das menschliche Wissen immens anwachsen lassen. Aber wer könnte so vermessen sein, zu glauben, daß wir bereits alles wissen und souverän darüber entscheiden können, was es gibt und was es nicht gibt? Es kann daher auch nicht unhistorisch sein, mit Realitäten zu rechnen, die sich dem Zugriff der Wissenschaft zumindest heute noch entziehen.

Als weiteres Problem unseres Berichtes sei noch der Lobgesang der Engel erwähnt, der überaus schwierig zu übersetzen ist. Die griechische Ausdrucksweise läßt verschiedene Deutungen zu. Aber die Ursprache muß das Aramäische gewesen sein, und da wachsen die Schwierigkeiten noch an, wenn man in Betracht zieht, daß der aramäische Vers nur die zweigliedrige Liedstrophe kennt. Der katholischen Version, die den Frieden Gottes den Menschen guten Willens zuspricht, stehen verschiedene evangelische Varianten gegenüber, die „den Menschen des Wohlgefallens“ das Heil in Aussicht stellen. Gemeint sind die Menschen, die Gott Wohlgefallen, denen Er Seine Gnade schenkt. Wer die Problematik der konfessionellen Unterschiede ein wenig kennt, merkt sofort, daß auch hier der Gegensatz sola fide, sola gratia — Betonung der Bedeutung der Guten Werke im Hintergrund steht. Sollte die Sprachwissenschaft den Sinn dieses von Lukas aufgeschriebenen Satzes einmal sicher aufhellen, dann wird es an dieser Stelle keinen Unterschied zwischen den Konfessionen mehr geben. Die Philologen haben das Wort

Ein glaubwürdiger Autor

Hätte Lukas eine alltägliche Geschichte aufgeschrieben, würde wohl kein Leser bezweifeln, daß sein Bericht wahr wäre. Denn er ist unbestritten ein Autor von charakterlicher Integrität, er versichert selbst, daß er sich Gewißheit verschafft hat, und es läßt sich verfolgen, daß er seine Informationen aus ganz authentischer Quelle erhalten hat. Er ist ein glaubwürdiger Zeuge und beruft sich auf andere glaubwürdige Persönlichkeiten. So und nicht anders lautet das Ergebnis unserer Untersuchung.

Außerdem gilt es zu bedenken, daß Lukas selbst kein Interesse daran hatte, unglaubwürdige Märchen zu erzählen. Denn der Leserkreis, an den er sich wandte, bestand nicht nur aus gebildeten, sondern auch aus skeptischen Menschen, bei denen Beweise mehr gelten mußten als phantastische Erzählungen. So spricht alles dafür, daß Lukas tatsächlich getreulich das aufgeschrieben hat, was vertrauenswürdige, ernste Menschen ihm berichtet hatten.

Aber ist das Außergewöhnliche an dieser Darstellung wirklich störend? Hat denn nicht eine außergewöhnliche Entwicklung der Weltgeschichte von da aus ihren Ausgang genommen? Wer von uns hielte sich für befugt, dem allmächtigen Gott vorzuschreiben, wie Er außerordentliche Ereignisse der Geschichte vorbereiten und einbegleiten dürfte?

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