dylan - © Netflix / Everett Collection / picturedesk.com

Prophet Bob Dylan

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Der Meister des Songs, Provokateur, Troubadour und diffiziler Gottes-Interpretator ist 80 Jahre alt.

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Der Meister des Songs, Provokateur, Troubadour und diffiziler Gottes-Interpretator ist 80 Jahre alt.

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Es ist ein Moment scheinbaren Scheiterns, der aber auf den zweiten Blick eine tiefere Wahrheit offenbart. Als die US-Musikerin Patti Smith bei der Verleihung des Nobelpreises 2016 an den (abwesenden) Bob Dylan vor Hunderten geladener Gäste einen der alten, klassischen Songs des Geadelten singt, geschieht das Unfassbare: Smith vergisst in der zweiten Strophe den Text, bittet das Publikum um Entschuldigung und den Dirigenten darum, nochmals an gleicher Stelle zu beginnen. In der dritten Strophe stolpert sie fast noch einmal, doch diesmal singt sie weiter.

„Ich kenne das Stück in- und auswendig“, sagt sie in einem TV-Interview Monate später. „Ich fühlte mich bereit, ich war zuversichtlich, und ich weiß einfach nicht, was da geschah. Ich habe nicht den Text vergessen. Ich gefror.“

Doch warum gefriert sie, als sie „A Hard Rainʼs a-Gonna Fall“ (Es wird ein harter Regen fallen) singt? Vielleicht, weil sie für einen kurzen Moment auf einem Berg stand, auf dem Dylan einst schrieb – es aber sein ureigener Achttausender war, mit seiner Perspektive, die sie gefrieren lassen musste?

Es gibt unzählige Wege, sich Werk und Vita Dylans zu nähern, der am 24. Mai seinen 80.Geburtstag feierte. 39 Studioalben veröffentlichte der als Robert Allen Zimmerman geborene Sänger und Gitarrist bislang, dazu etliche Live-Mitschnitte von mehreren Tausend Konzerten, die legendäre Bootleg-Serie – insgesamt über 600 selbst verfasste Songs, deren Rechte er jüngst für eine Rekordsumme verkaufte. Doch Dylan ist nicht in Zahlen zu messen, zumal dutzende andere Künstler weitaus mehr Hits produzierten (Dylan hatte nur wenige) und deutlich mehr Platten als er verkauften (120 Millionen Stück). Nein, den laut vielen Kritikern besten Songwriter aller Zeiten misst man nicht in Zahlen. Sondern am profunden Inhalt seiner Songs. Und seinem So-Sein als unikater Künstler in Performance: Songwriter und Sänger, aber auch Schauspieler, Autor und Dichter, Maler.

Sünden, Tugenden, Gnaden

Der britische Literaturwissenschafter Chris Ricks nahm in seinem Buch „Dylan’s Visionen der Sünde“ Songs und Alben des Musikers vor vielen Jahren unter spirituellem Kontext auseinander: Dylans Songs sind demnach eine Kunst, „in der Sünden aufgedeckt (und widerstanden), Tugenden geschätzt (und manifestiert) werden und die Gnaden ein Zuhause finden. Die sieben Todsünden, die vier Kardinaltugenden (Schwieriger zu merken?) und die drei himmlischen Gnaden: Sie machen die Welt von uns allen aus“, so Ricks, „aber die Dylans – im Besonderen.“

Sünden, Tugenden, Gnaden– in jedem der inzwischen fast sechs Jahrzehnte seiner Schaffens- und Bühnenzeit finden sich Belege für diesen Ansatz. 1981 etwa sah Dylan die „Hand des Meisters / in jedem zitternden Espenlaub / in jedem Sandkorn“ („Every Grain of Sand“); 1997 wollte er „versuchen, in den Himmel zu kommen, bevor sie die Tür schließen“ („Tryin’ to Get to Heaven“). Und in „The Times They Are a-Changin’“ singt er seit 1964 in biblischer Anspielung: „Die heute Ersten werden später die Letzten sein / Denn die Zeiten ändern sich“.

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