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Psychotherapie und Religion: Uberwindung einer unheiligen Allianz

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Auf die befreiende Botschaft des Christentums bei der Bewältigung menschlicher Krisen weisen Kardinal Franz König und Eugen Drewermann hin.

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Auf die befreiende Botschaft des Christentums bei der Bewältigung menschlicher Krisen weisen Kardinal Franz König und Eugen Drewermann hin.

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Der Schweizer Psychiater C. G. Jung hat bereits 1940 darauf hingewiesen, daß es unter seinen Patienten jenseits der 35 keinen einzigen gab, dessen letztendliches Problem nicht die Religion war. In einem Vortrag meinte er: „Ja, jeder krankt in letzter Linie daran, daß er das verloren hat, was lebendige Religionen ihren Gläubigen zu allen Zeiten gegeben haben. Keiner ist wirklich geheilt, der seine religiöse Einstellung nicht wieder erreicht.” Das habe mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirche nichts zu tun.

„Der Dialog zwischen Religion und Psychotherapie ist notwendiger und aktueller denn je”, unterstrich der Wiener Alt-Erzbischof, Kardinal Franz König, kürzlich beim Ersten Weltkongreß für Psychotherapie in Wien. Es habe nicht immer eine Gesprächsbasis zwischen den Vertretern der Religionen und den Therapeuten gegeben. „Die Lehren Sigmund Freuds, der die Religion als ,allgemei-ne menschliche Zwangsneurose' bezeichnete, waren das Produkt einer Zeit, in der die Wissenschaft das Christentum erstmals in den Mittelpunkt ihrer Kritik gestellt hatte. Die Einsicht, daß ,Religion nicht wie ein Museumsstück behandelt werden kann' und die ,Wissenschaft von der Religion nicht ohne die Erfahrung der Religion' auskommt, hat zu einem Umdenken sowohl unter Religionswissenschaftlern als auch Psychotherapeuten geführt.”

Psychotherapeuten sehen sich heute vermehrt mit Problemen der Angst, mit Symptomen von Schuldgefühlen konfrontiert. Macht die Kirche ähnliche Erfahrungen? Kardinal König: „Nach Ansicht von Freud und Nietzsche gehören die Begriffe von ,Schuld und Sünde' inmitten eines Meeres von unverschuldetem Leid zu den krankmachenden Faktoren menschlichen Lebens. In der Beligionswis-senschaft gibt es umfassendes Material darüber, daß Schuld und Sünde ein gesamtmenschliches Phänomen sind. Bei allen Völkern und in sämtlichen Mythen und Erzählungen finden sich ausführliche Deutungsversuche über Ursprung und Heilung von Schuld und Sünde, sowohl in der Welt der Götter wie auch in der Welt der Menschen. In sämtlichen Kulturen ist der Schuldbegriff in seiner kosmologisehen, aber auch individuellen, Ichsüchtigen Verflochtenheit in einer geheimnisvollen Weise mit der unheilvollen Urangst menschlicher Existenz in Verbindung: Im Neuen Testament trägt Paulus viel dazu bei, daß der Begriff ,Befreiung von der Angst vor den versklavenden Mächten' von einer Befreiung vom Tod zu einer Frohen Botschaft wird. Schuld und Sünde führen gerade im Christentum weiter zur Frage der Wiedergutmachung und der Vergebung.”

Seele und Gewissen

In der Welt des christlichen Glaubens gewinne mit dem Bewußtsein der Verantwortung in Freiheit das Gewissen als eine Zwischeninstanz eine immer größere Bedeutung. Das Zweite Vatikanische Konzil stellte dazu fest, daß die Christen durch die Treue zum Gewissen mit E den übrigen Menschen verbunden sind „im Suchen nach Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben der einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen.” Wenn aber die Seele krank sei, sei auch die orientierende Funktion des Gewissens beeinträchtigt, sagte Kardinal König.

Hier werde die unterschiedliche Sicht des Begriffs Seele deutlich. „Für den Psychotherapeuten steht der psychische Mechanismus, den man kennen muß, im Vordergrund. Der Theologe in der Seelsorge kann die Seele immer nur in ihrer unvergänglichen Dimension, in der Welt des Glaubens und in Verbindung mit Gott sehen.” Der Kardinal fragte, ob sich nicht an diesem besonders kritischen Punkt Psychotherapie und Beligion begegnen sollten.

Ist die Religion nun die Antwort auf sämtliche Fragen der menschlichen Existenz? Kardinal König: „Das Phänomen der Religion gehört zum vernetzten Urgrund menschlicher Existenz, es geht um existentielle Antworten auf letzte Fragen, nach Sinn und Ziel unseres Weges. Eine vertiefte, in die Tiefe führende Selbsterkenntnis stößt auf den nicht immer wahrgenommenen Urgrund menschlichen Leidens und menschlicher Sehnsucht.” Die Seele des Menschen könne in ihrer ganzen Größe und Schönheit erst im religiösen Glauben erschlossen werden.

Der Psychotherapeut und Theologe Eugen Drewermann beschäftigte sich auf dem Kongreß ebenfalls mit dem „unseligen Graben zwischen Psychotherapie und Theologie”. Drewermann hielt manchem Vertreter der Kirche vor, daß das Suchen des Menschen nach sich selber oft mit unangebrachter Selbstreflexion, mit egoistischer Selbstverwirklichung jenseits aller moralisch gesetzten Schranken und mit rücksichtslosem Individualismus identifiziert werde. Echte therapeutische Hilfe könne dem Menschen nicht durch Druck, Zwang oder den erhobenen Zeigefinger zuteil werden, sie werde nur durch geduldiges, einfühlsames Begleiten und Zuhören möglich. Die Wahrheit liege immer in der Person selbst, sie kann nur in langen, ruhig verlaufenden Gesprächen freigearbeitet werden. „Auch das Schlimmste im Menschen läßt sich durch die Macht des Verstehens auflösen”, so Drewermann. Während Kardinal König das menschliche Gewissen für die letztverantwortliche Instanz auf dem Weg der Suche nach Wahrheit hält, ist für ihn die menschliche Seele das Organ, das genau weiß, was es braucht, sofer-ne man es sich nur frei artikulieren läßt. Hier ortet Drewermann auch die Grundlage für ein heilendes Vorgehen der Psychoanalyse.

Voraussetzung jeder guten therapeutischen Arbeit sei das Zurückstellen aller eigenen AA'ertungen. Der Patient sollte weder zensuriert noch dirigiert, manipuliert oder dogmatisiert werden. Das einzige, was zählt, sei die therapeutische Akzeptanz des Patienten. Wenn alle A'oraussetzungen stimmen, könne Psychotherapie zur „Asylstätte für menschliches Leid” werden. Drewermann: „Schon im Alten Testament gab es das archaische Reglement, daß der Tempel, das Heiligtum, jener Ort sein müsse, an dem auch der Schuldige vor seinem Rächer sicher sein konnte.”

Gegen fachliches Kauderwelsch

Bedingungslose Akzeptanz in der Psychotherapie und der Begriff der Gnade in der Theologie ergäben wie von selbst einen effektiven Berührungspunkt. Beide wissen, daß „alle Dantischen Apokalypsen” (Freud) sich nur dann auflösen können, wenn sie in ihrer Herkunft und in ihrem Sinn begriffen werden. Drewermann: „Seelsorger und Therapeuten müssen an den Menschen tiefer glauben, als er selbst es in seiner Not imstande ist. Das war auch das Bemühen des Jesus von Nazareth im Neuen Testament. Er ging auf die Menschen zu, indem er die Grenzziehungen aufhob.” Die therapeutische Dimension des Wirkens Jesu habe sich wie von selbst ergeben. Das Zusammenwirken von Beligion und Therapie sei für ihn wesentlich gewesen: Er berührte Blinde, Lahme, Aussätzige und ließ sie in ihr gesundes Leben zurückfinden.

Einen weiteren Punkt der Begegnung zeichnete Drewermann mit dem Bild des Vertreters einer humanitär reflektierten Religion, der gewissermaßen von seinem „Berg der Erleuchtung” in die Tiefen des Menschen hinabsteigt. Der Therapeut hingegen begleitet den Menschen auf seinem AA'eg in die Abgründe der Seele. Beide versuchen, auf ihre Weise und gleichermaßen zu dem Punkt zu gelangen, an dem der Mensch „seine Mitte findet”, dorthin, wo er heil und geheilt wird. Auch die Dimension des Poetischen in der Therapie spielt für Drewermann eine große Bolle. „Nur die Sprache der Liebe kann Menschen wirklich heilen.” Das Kauderwelsch einer fachlichen „Symptomsprache” ist für die Heilung seelisch Kranker ungeeignet, betonte Drewermann.

Eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Beligion und Psychotherapie scheint also gefordert. Ein Anfang wurde beim diesjährigen Ersten AYeltkongreß für Psychotherapie gemacht. <

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