Punktabzüge für Demokratiequalität

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Österreich ist eine der stabilsten Demokratien der Welt. Doch nach einem Jahr Türkis-Blau gibt es Verschlechterungen bei Presse-, Versammlungs-und Religionsfreiheit. Auch die Causa BVT dürfte sich in internationalen Rankings negativ auswirken. Ein Gastkommentar.

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Österreich ist eine der stabilsten Demokratien der Welt. Doch nach einem Jahr Türkis-Blau gibt es Verschlechterungen bei Presse-, Versammlungs-und Religionsfreiheit. Auch die Causa BVT dürfte sich in internationalen Rankings negativ auswirken. Ein Gastkommentar.

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Die Demokratie als Staatsform ist in den letzten Jahren weltweit unter Druck geraten. Manche Staaten kippen zur Gänze, andere teilweise in autoritäre Regime, und selbst gut etablierte und alte Demokratien wie die USA verzeichnen starke Einschnitte in ihrer Demokratiequalität. Österreich bildet keine Ausnahme von diesem Trend, auch wenn es insgesamt nach wie vor zu den besten Demokratien der Welt zählt, wie ich in dieser Zeitung bereits vor einigen Monaten ausgeführt habe. Nach einem Jahr Türkis-Blau zeigen sich jedoch Verschlechterungen bei verschiedenen Indikatoren. Es ist daher davon auszugehen, dass die internationalen Rankings diese Entwicklungen zum Anlass nehmen, um die Demokratiequalität Österreichs herabzustufen.

Traditionell schlecht stand es hierzulande seit jeher um die Transparenz von Entscheidungsprozessen und Parteien- bzw. Wahlkampffinanzierung. Das beeinträchtigt die Fairness von Wahlen und den gleichen Zugang zur Macht. Unter der aktuellen Regierung scheint man den vor einigen Jahren ohnehin nur halbherzig eingeschlagenen Weg zu mehr Transparenz wieder zu verlassen. Die deutliche Überschreitung der Wahlkampfkosten, die in der öffentlichen Debatte als Kavaliersdelikt dargestellt und heruntergespielt wurde, ist in Wirklichkeit ein schwerwiegender Rückschlag für die Demokratiequalität Österreichs. Hier gibt es Punkteabzüge.

Rechtsanwaltskammer warnt

Weitere Verschlechterungen gab es im Bereich der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Letztere wurde schon von der Vorgängerregierung eingeschränkt, indem die Regeln für Anmeldung und Haftung bei Demonstrationen verschärft wurden. Die Pressefreiheit wurde de jure zwar nicht angetastet, aber kritische Medien und Journalisten werden teils offen von Regierungsmitgliedern kritisiert oder mit Zugangsbeschränkungen zu Informationen bedroht. Eine negative Tendenz ortet die österreichische Rechtsanwaltskammer bei Grund-und Freiheitsrechten und fordert die Rücknahme gewisser Überwachungsmaßnahmen. Angekündigte Gesetzesänderungen wie der verstärkte Einsatz von Videokameras im öffentlichen Raum, der Zugriff auf private Videos, die Klarnamenspflicht im Internet usw. werden mit Sorge kommentiert. Akteure der Zivilgesellschaft wie Ärzte ohne Grenzen, die seit Jahrzehnten ein hohes Ansehen in der Öffentlichkeit genießen, werden von Regierungsmitgliedern kriminalisiert und in ihren Aktivitäten eingeschränkt. Die internationale Organisation Civicus hat Österreich nicht zuletzt deswegen im Zivilgesellschafts-Rating herabgestuft. Selbst wenn manch kritischer Aspekt vorerst noch im Ankündigungsstadium steckt, hat sich das Vertrauen wichtiger demokratischer Akteure in die österreichische Demokratie offenbar verschlechtert. Das gilt für Rechtsanwälte in Hinblick auf die Grundrechte, für zivilgesellschaftliche Akteure in Hinblick auf ihre humanitären Aktivitäten, für Journalisten in Bezug auf die Pressefreiheit.

Negative Auswirkungen auf die Demokratiequalität zieht natürlich auch die BVT-Affäre nach sich. Das für den Schutz der österreichischen Verfassung und damit für die Sicherheit der österreichischen Demokratie zuständige Amt ist nicht nur aufgrund der umstrittenen Hausdurchsuchung und den damit zusammenhängenden internen Querelen geschwächt, die Affäre hat auch das Vertrauen in die Sicherheitsinstitutionen des Staates erschüttert. In Kombination mit den jüngsten Enthüllungen über einen Neonazi als Security im Parlament stellt sich die Frage, ob die Sicherheitsbehörden die Demokratie in diesem Land ausreichend zu schützen imstande sind.

Heikler Staatsbürgerschaftsentzug

Nicht zuletzt bringen Einschränkungen der Religionsfreiheit und die Negativkampagne gegenüber Menschen muslimischen Glaubens eine deutliche Schwächung der Demokratie mit sich. Die Diskussion über den Ausschluss von Muslimen aus Gemeindebauwohnungen in Wien, die Debatte über Kleidungsvorschriften im öffentlichen Raum sowie ein insgesamt anti-muslimischer Diskurs führen dazu, dass eines der wichtigsten demokratischen Prinzipien immer mehr in Frage gestellt wird, nämlich die Gleichberechtigung von Menschen ohne Ansehen ihrer Religion und Weltanschauung. Besonders hervorzuheben ist dahingehend auch der Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft für Personen, die im Verdacht stehen, ihren türkischen Pass behalten zu haben. Die Art und Weise, wie hier auf Basis einer mehr als fragwürdigen Liste österreichische StaatsbürgerInnen behandelt wurden, ist vielleicht von allen genannten Aspekten der tiefste Einschnitt in die Demokratiequalität überhaupt. Denn in Demokratien ist der Entzug der Staatsbürgerschaft an sich ein äußerst bedenkliches Mittel, das nur unter besonderen Umständen und nur bei hundertprozentig sicherer Beweislage angewandt werden darf. Ein vager Verdacht in Verbindung mit der Herkunft eines Menschen kann keine Basis für derartige Entscheidungen sein. Auf diese Weise agieren ansonsten nur Willkürsysteme.

Die genannten Verschlechterungen der österreichischen Demokratiequalität werden sich in internationalen Rankings ohne Zweifel niederschlagen. Die Frage ist, ob das die entscheidenden Akteure, aber auch die breitere Öffentlichkeit stört und beunruhigt, oder ob es die meisten Menschen kalt lässt. Zwar halten überwältigend viele Österreicherinnen und Österreicher die Demokratie für die mit Abstand beste Staatsform, aber die Ergebnisse der jüngsten Umfragen lassen auch vermuten, dass die Sensibilität der breiten Masse gegenüber schleichendem Abbau von Freiheitsrechten nicht besonders ausgeprägt ist.

Was hilft der Demokratie?

Jedenfalls können Demokratien auch im 21. Jahrhundert nicht nur in ihrer Qualität beeinträchtigt werden, sondern komplett ins Autoritäre kippen. Der italienische Politologe Luca Tomini hat dies zuletzt an mehreren Beispielen veranschaulicht. Seine und ähnliche Studien zeigen auf, dass gesellschaftliche Polarisierung, die Verweigerung des Diskurses, eine erhöhte Geschwindigkeit in der Durchsetzung von Entscheidungen sowie ein Übergehen parlamentarischer Prozesse und zivilgesellschaftlicher Debatten die ersten Vorzeichen eines demokratischen Kollapses sind. Das Recht auf Zweifel, Kritik und Dialog stellen die Basis für Demokratien dar, ebenso wie der Schutz von Minderheiten. Wo diese Prinzipien unter Druck geraten, droht die Wende. Die Halbwertszeit demokratischer Staaten ist historisch betrachtet ohnehin nicht sehr lang. Als eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte gab es sie seltener als einen Kometeneinschlag, nur in verhältnismäßig wenigen Gebieten der Erde und mit vielen Defiziten. In Österreich können wir auf 16 Jahre Demokratie in der Ersten Republik (1918 bis 1934) und auf 77 Jahre (1945 bis heute) in der Zweiten Republik zurückschauen, insgesamt also auf nicht einmal 100 Jahre, was in etwa der Dauer eines einzigen, etwas längeren Menschenlebens entspricht. In den Jahrzehnten der Zweiten Republik hat sich die Demokratiequalität in Österreich fast kontinuierlich verbessert. Erst seit kurzer Zeit verkehrt sich der Trend ins Negative. Dies zu korrigieren, ist die Aufgabe aller demokratischen Akteure, insbesondere aber der Berufspolitik und der Regierung.

Viele der als problematisch einzustufenden Entscheidungen, Ankündigungen und Aussagen des vergangenen Jahres könnten relativ rasch wieder entschärft werden. In Hinblick auf die Transparenz wäre nichts einfacher, als das entsprechende Gesetz zu präzisieren und dem Rechnungshof mehr Prüfrechte zu übertragen. Die von der Anwaltskammer kritisierten Einschränkungen der Grund-und Freiheitsrechte könnten zurückgenommen bzw. nicht umgesetzt werden. Im Umgang mit Medien, Akteuren der Zivilgesellschaft und Minderheiten wären regelmäßiger Dialog und Vertrauensbildung sinnvoll, und insgesamt könnte eine geduldigere Auseinandersetzung mit kritischen Stimmen die Polarisierung verringern und die Demokratiequalität wieder steigen lassen. Ob der politische Wille dafür vorhanden ist, werden die nächsten Monate und Jahre zeigen. Einen Neujahrsvorsatz wäre es allemal wert.

| Der Autor ist Politikwissenschaftler in Salzburg |

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