graham - © APA / AFP / Nicholas Kamm   -   Franklin Graham im Trump-Wahlkampf 2020

Putins Krieg und Amerikas Evangelikale

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Der Bumerang-Effekt konservativer Russlandverehrung: Eigentlich haben Wladimir Putins Weltsicht und die christlich unterstützte Ideologie der „White Supremacists“ in den USA viel gemeinsam. Angesichts des Ukrainekriegs muss die religiöse Rechte aber lavieren.

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Der Bumerang-Effekt konservativer Russlandverehrung: Eigentlich haben Wladimir Putins Weltsicht und die christlich unterstützte Ideologie der „White Supremacists“ in den USA viel gemeinsam. Angesichts des Ukrainekriegs muss die religiöse Rechte aber lavieren.

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Seit einem Jahr wütet im Osten Europas der Ukrainekrieg. Die aggressive Vorgangsweise des russischen Präsidenten Vladimir Putin, mit der er seinen Angriffskrieg im Nachbarland ungeachtet aller weltpolitischen und wirtschaftlichen Isolationen seines Landes fortsetzt, hat bereits in Europa mehrfach politische Repräsentanten in Bedrängnis und Erklärungsnot gebracht. Die falsche politische Einschätzung Putins, die auch der neu vereidigte österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen erst kürzlich als einen seiner größten Fehler bezeichnete, verfolgt aber nicht nur die Politiker in Europa.

Gerade in den Vereinigten Staaten haben sich in der Folge des russischen Einmarsches in die Ukraine bei einigen Glaubensgemeinschaften besonders evangelikaler Prägung zunehmend Argumentationsprobleme aufgetan. Noch kurz vor dem Ausbrechen des Krieges – als international schon alle Alarmsignale in Richtung einer militärischen Eskalation deuteten – rief kein Geringerer als Franklin Graham, Sohn des bekannten Predigers Billy Graham und bis heute eine der Galionsfiguren des Neo-Evangelikalismus in den USA, in einem Tweet zum Gebet für Wladimir Putin auf.

Zwar gab er damals zu, dass es ein ungewöhnlicher Aufruf sei, wenn doch eine Invasion kurz bevorstünde, doch solle Putin auf den „friedlichen Weg“ seiner Wertepolitik zurückkehren. Graham trat also einerseits durchaus als Gegner des Krieges auf, doch bedachte er in seinem Gebetsaufruf nicht etwa die Ukraine oder deren Bevölkerung, sondern verurteilte nur die militärische Eskalation. Er kritisierte Putins Politik nicht. Kein Wort über Putins Phantasien imperialistischer und kulturpolitischer Vereinnahmung, denen der Kreml-Herr kurz vor dem Angriff dadurch Ausdruck verlieh, dass er das Existenzrecht der Ukraine als Ganzes infrage stellte.

Putin als Galionsfigur konservativer Werte

Das Twitter-Post des US-Predigers war in dieser Uneindeutigkeit offenbarend, die Haltung Grahams zu Putin spiegelte die verworrene Problematik der politischen Situation für viele Evangelikale wider. Die US-Religionswissenschafterin und Historikerin Bethany Moreton bemerkte bei ihren Forschungen bereits in den letzten Jahren besonders unter weißen evangelikalen Gruppierungen erhöhte Sympathien für Putins Politik: Für diese war Putin über Jahre hinweg zu einer Galionsfigur konservativer Werte geworden und als solche inszenierten sie ihn auch. Gerade solche christlichen US-Kreise, die auch der rassistischen „White-Supremacist“-Bewegung nahestanden, stilisierten den russischen Präsidenten und dessen Politik zum idealen Proponenten einer LGBTIQ-feindlichen, traditionalistischen und kulturell gesäuberten Regierungsform.

Diese ideologischen Bande zeigten sich, so Moreton, in den USA in einer immer stärkeren Zusammenarbeit zwischen evangelikalen, republikanisch geprägten Gemeinden und Kirchenbünden mit der stark konservativen russisch-orthodoxen Auslandskirche (ROCAR) in den USA. Die ROCAR betreibt in den USA neben einigen Großgemeinden auch zahlreiche kleinere Pfarren, von denen einige aufgrund extremistischer Tendenzen durch den US-Verfassungsschutz beobachtet werden.

Moretons Analyse entlarvt ein wesentliches Moment des modernen christlichen Konservatismus in den USA: Bereits seit den 1950er-Jahren lässt sich beobachten, dass konfessionelle und theologische Unterschiede zugunsten einer gemeinsamen Wertepolitik in den Hintergrund treten. Standen in der Vergangenheit gerade religiöse Fragen und spirituelle Unterschiede bei interkonfessionellen Zwistigkeiten im Vordergrund, so forcierte man in den vergangenen Jahrzehnten eine „ökumenische“ Zusammenarbeit abseits theologischer Annäherung im Sinne einer konservativen Ausrichtung in Fragen moderner Lebensführung. Dabei begrenze sich der „weiße“ Evangelikalismus schon lange nicht mehr auf die USA, sondern es werden weltweit Allianzen mit globalisierungskritischen, rechtskonservativen Kreisen geschlossen.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion war es zu einer Annäherungsphase zwischen den rechtskonservativen Kreisen in den USA und dem kremlnahen Christentum in Moskau gekommen. Was während des Kalten Krieges, in dem die Sowjetunion als das atheistische Gegengebäude zu den USA als „God’s Own Country“ karikiert wurde, als völlig undenkbar galt, trat ein: eine staaten- und konfessionsübergreifende Zusammenarbeit, um traditionelle Werte- und Familienpolitik sicherzustellen.

Religiös verankertes Lobbying in Russland

Mit Putins Einmarsch in die Ukraine sind die russlandfreundlichen Tendenzen in Amerikas evangelikalen Kreisen medial zunehmend in Turbulenzen gekommen: Einerseits wurden mit Putins offensivem Imperialismus teilweise längst vergessene Ängste des Kalten Krieges reaktiviert, andererseits hatte sich ausgerechnet die Einschätzung des demokratischen Präsidenten Joe Bidens bewahrheitet, der in einem Interview kurz nach Amtsantritt auf die Frage, ob der russische Präsident ein „Killer“ (Mörder) sei, mit „Ja“ geantwortet hatte. War die Reaktion damals aus dem republikanisch-konservativen Lager durchwegs Empörung gewesen, so hat sich die öffentliche Meinung spätestens seit dem 24. Februar 2022 Bidens Einschätzung angeschlossen.

In Verbindung mit Enthüllungen, dass die evangelikale ACLJ (American Center for Law and Justice), eine freichristliche Lebensrechtsorganisation, welcher Ex-Präsident Donald Trumps persönlicher Anwalt Jay Sekulow vorsteht, seit Jahren mehrere Millionen Dollar in religiös verankerte Lobbyarbeit in Russland investierte, lässt sich das Ausmaß des evangelikalen Identitätsproblems nur erahnen. Sekulow initiierte in dem vom rechtsevangelikalen Pat Robertson 1990 gegründeten ACLJ eine speziell in Moskau angesiedelte Teilinstitution für explizit „slawische“ Angelegenheiten (SCLJ). Seit 2013 unterstützte dieses Institut Putins Wertepolitik, die sich besonders gegen LGBTIQ-Liberalisierung einsetzte, aber etwa auch die Verfolgung der Punk-Protest-Gruppe „Pussy Riot“ durchsetzte.

Der Dämpfer, den die Ereignisse rund um Russlands Einmarsch in der Ukraine ausgelöst haben, lassen sich derzeit nur schwer abschätzen. Die offizielle Linie der US-Regierung, aber auch der Repräsentanten der republikanischen Partei in den Kongresskammern, verfolgt derzeit weiterhin die Unterstützung der Ukraine.

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