Quälende Erkenntnis

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Die europäische Gesellschaft hat mit der Religion ein massives Problem.

Der europäische Katzenjammer nach George W. Bushs Wiederwahl fußt zu einem Gutteil auf einfachem Feindbild: das religiöse Eiferertum habe gesiegt, christlicher Fundamentalismus amerikanischer Prägung werde die Welt nun weiter malträtieren. Sonderbar und in der Fundamentalismus-Debatte kaum kommentiert, dass ausgerechnet der diesbezügliche Hardliner in Bushs Kabinett, Justizminister John Ashcroft, den Rücktritt eingereicht hat.

Europa hat seinen entsprechenden Sturm im Wasserglas auch schon hinter sich: Die Gefahr eines Rocco Buttiglione als EU-Kommissar ist gebannt, die Auseinandersetzung um einen Wertekonsens und -dissens in der EU sowie die Rolle der Religion in Europa wurde schnell wieder ad acta gelegt. Sonderbar, dass sich hierzulande ausgerechnet ein prominenter Protestant für Buttiglione in die Bresche schlug: Der Theologe Ulrich Körtner geißelte im Standard die Ideologie des "Säkularismus" und schreckte auch davor nicht zurück - den schärfsten erzkatholischen Verteidigern Buttigliones gleich - das Wort "Inquisition" den Kritikern des verhinderten EU-Kommissars entgegenzuschleudern.

Dann die Niederlande: Nach dem Mord am Filmemacher Theo van Gogh brennen Moscheen und Kirchen. Europaweites Entsetzen, eilige Kommentatoren rufen gleich das Scheitern der Toleranz wie der Multikulturalität aus (als ob es möglich wäre, "monokulturelle" Gesellschaften zu etablieren). Der Spiegel, der sich schon vor Jahresfrist mit einem islamophoben Themenschwerpunkt hervorgetan hat, setzt nun geballt das Elend muslimischer Frauen in Deutschland auf die Titelseite: Nicht die erschütternden Fälle, die da präsentiert werden, sind das Problem, sondern der aggressive Ton wider den Islam als rückständige "Pascha"-Religion. (Dass es die Fälle von gewalttätiger Frauenverachtung im muslimischen Milieu gibt, soll nicht bezweifelt werden - aber ist nicht auch das ein Armutszeugnis für die "liberale" Gesellschaft, dass solches in ihrem Schoß geschieht?)

Die angerissenen Beispiele - so unterschiedlich sie auf den ersten Blick aussehen mögen - zeigen: In der europäischen Gesellschaft gibt es ein massives Problem mit der Religion. Der tiefe Graben zwischen dem Amerika George W. Bushs und Europa rührt auch daher. Der Schrecken, den der laizistische Flügel Europas vor den Buttigliones hat, und der Generalverdacht einer "Diskriminierung der Katholiken", den umgekehrt die Buttigliones ihren Gegnern in Europa vorwerfen, ist ebenfalls eine Facette davon. Und zeigt - im schrecklichen Wortsinn - das Fanal der brennenden Gotteshäuser in den Niederlanden nicht ebenfalls, dass sich das europäische Wegschieben einer Auseinandersetzung mit der Religion bitter rächt?

Auch die Frage nach der Toleranz hat damit ursächlich zu tun: Quälende Erkenntnis, dass Toleranz in Europas Gesellschaften oft mit "Wurschtigkeit" (© Michael Fleischhacker in der Presse) verwechselt wird, macht sich breit, und auch die Frage, "ob unsere Beliebigkeitsgesellschaft wirklich tolerant ist. Wie weit ist es her mit der Toleranz der permissiven Gesellschaft, wenn alles erlaubt ist, nur nicht eine Kontur, eine klare Position?" (Kardinal Schönborn in der Kleinen Zeitung), ist mehr als berechtigt.

Religion muss in Europa - und das gilt gleichermaßen für Österreich - wieder ein öffentliches wahrgenommenes Thema werden. Und Religion hat sich dabei auch selbst konstruktiv mit ins Spiel zu bringen. Ob deren Vertretern dies aber genügend bewusst ist? Nur ein Beispiel dazu - ein für sich sprechendes: Dieser Tage haben sich Österreichs katholische Bischöfe wieder öffentlich für den arbeitsfreien Sonntag eingesetzt. Wichtig. Löblich. Aber mit Verlaub: Wäre es nicht genauso dringlich, dass sich die katholische Kirche Österreichs mit den Muslimen im Lande auseinandersetzt - in Begegnung, auch in der Kontroverse, letztlich in einem Ausloten, wie Religionen den Zusammenhalt dieser Gesellschaft und den Frieden im Land nachhaltig befördern können?

Nein, es gibt - noch - keine dramatischen Anzeichen dafür, dass auch hierzulande Moscheen oder Kirchen brennen könnten. Aber - und das ist an die Adresse der Religionen wie der Politik gerichtet: Wer jetzt die Hände in den Schoß legt und bloß zuwartet, wird sich der Mitschuld am Auseinanderbrechen einer Gesellschaft zeihen lassen müssen.

otto.friedrich@furche.at

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