„Quellenwert hat nur das Fliessende“

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„Scheinhellig“ ist eine Hommage an die Begeisterung, an den göttlichen Funken.

Im Mai wird er den Theodor-Kramer-Preis 2010 erhalten: Elazar Benyoëtz, den Robert Menasse „meinen Rabbi der deutschen Sprache“ genannt hat. Das trifft einerseits dessen skeptische Wortgläubigkeit. „Der Sprachlose und der Sprachbesessene / sind an der Schwelle Gottes“, heißt es hier. Andererseits hat der 1937 als Paul Koppel in Wiener Neustadt Geborene, der heute in Jerusalem lebt, in Israel tatsächlich eine Rabbiner-Ausbildung absolviert, ohne je ein Amt zu bekleiden. Seine Neigung zum freundlichen Dozieren, zum Klären und Aufklären scheint dazu zu passen.

Sprache, tiefer als ihr Sinn

Die Geburt des Aphorismus aus dem Geist der Religion: Mit seinem neuen Buch legt Benyoëtz, der mit dem Hebräischen aufwuchs und sich das Deutsche erst spät eroberte, eine Zwischensumme seiner Dichter-Existenz vor.

„Ich kann mir eine Zeit denken, welcher unsere religiösen Begriffe so sonderbar vorkommen werden als der unsrigen der Rittergeist“, schrieb vor gut 200 Jahren sein Vorfahre Georg Christoph Lichtenberg. Diese Zeit lässt offensichtlich noch auf sich warten. Angesichts einer heute konfessionslos wabernden Religiosität stellt der bibelkundige Aphoristiker die Frage nach Gott so präzis wie möglich und bleibt die Antwort wohlweislich schuldig: „Quellenwert hat nur das Fließende.“ Der Titel „Scheinhellig“, die Überblendung von „scheinheilig“, „einhellig“, und „hellem Schein“ zu einem Worträtselbild, ist typisch für Benyoëtz’ vertrackte, seine Leser traktierende Spracharbeit: „Die Sprache ist tiefer als ihr Sinn“. Weil er tiefer schürft, vermag er immer wieder zu verblüffen. Benyoëtz’ Nachdenken ist eine Einladung zur Verunsicherung, zum Abschied von jeder Dogmatik, denn „Quellenwert hat nur das Fließende“. Und so beherrscht dieser ratlose Rabbi die Kunst, etwas durch Erörterung zu erhellen und zugleich zu verdunkeln.

„Scheinhellig“ ist eine Hommage an die Begeisterung, an den göttlichen Funken, ohne den das Leben schal schmeckt. Seinen Wahlspruch legt der Autor seinem Jugend-Ich Paul Koppel in den Mund: „Mit Gott auf Biegen oder Brechen, / mit dem Judentum auf Gedeih und Verderb, / mit meiner Dichtung durch dick und dünn.“

Scheinhellig

Variationen über ein verlorenes Thema

Von Elazar Benyoëtz. Braumüller Literaturverlag 2009. 263 S., geb., e 25,60

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