Quo vadis, Papsttum?

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Mit seinem Rücktritt hat Benedikt XVI. die Trennung von Amt und Person vorgenommen, die bislang vergessen war, aber zum Standardprogramm der säkularen Welt gehört.

Wie soll es mit dem Papsttum nach dem Konklave weitergehen? Das ist eine offene Frage, nicht nur personell, sondern auch konzeptionell. Klar ist, dass der Rücktritt des gegenwärtigen Papstes das Papsttum verändert hat. Dieser Rücktritt hat die Trennung von Amt und Person vorgenommen, die über der neuzeitlichen Sakralisierung des Papsttums vergessen wurde, aber zum Standardprogramm der säkularen Welt gehört. Diese Trennung wird in der Moderne errungen und trägt deren Signum der Relativierung. Niemand ist auf einem Amt unersetzbar, gleich wie herausgehoben es selbst ist und die, die es tragen, sein mögen. Es bedarf nicht erst des Todes, jemanden auszutauschen. Das gilt für Minister und Managerinnen, für Chefredakteurinnen und Schuldirektoren, für Intendantinnen und Universitätsprofessoren, für Banker und selbst für Königinnen. Jetzt gilt es auch für Päpste.

Auch wenn Benedikt XVI. sich gegen die Diktatur des Relativismus stemmen wollte, so hat er am Ende doch der menschlichen Relativität die Tore des päpstlichen Hauses geöffnet. Das war seine freie Entscheidung, die großen Respekt verdient. Nicht jeder ist zu einer Selbstrelativierung in der Lage, die auch noch vorbildlich ist.

Zugleich aber gilt auch: Es blieb ihm nicht wirklich etwas anderes übrig. Er hat nur nachgeholt, was in der heutigen Zivilisation nicht zu vermeiden war. Es lässt sich kein Papsttum durchhalten, das über die elementaren Errungenschaften der spätmodernen Welt erhaben sein will. Das ist nun auch öffentlich geworden.

Die Welt ist kein Container

Die Welt ist kein Container, in dem wir Menschen souverän leben. Sie ist eine soziale Produktion all unserer Lebensvollzüge und Lebensentscheidungen, die sich nicht mehr einfachhin in die Verfügung des einzelnen Menschen zurückbegibt. Unter globalisierten Bedingungen besitzt die uns Menschen eigene Welt eine Gravitation, der sich niemand entziehen kann, gleich wohin man sich flüchten will.

Im Fall des Papstes kommt hinzu, dass er auch aus inneren, kirchlichen Gründen nicht länger so tun konnte, als ob es möglich wäre, den Prinzipien dieser heutigen Welt auszuweichen. Dieser Grund ist das letzte Konzil der katholischen Kirche, an das jeder Papst seither gebunden ist und von nun an jeder Papst umso mehr sich binden wird, je gravierender er unter Globalisierungsdruck gerät.

Auch wenn kein Konzil über dem Papst steht, wie spätestens mit dem I. Vatikanischen Konzil entschieden war, so steht spätestens seit der Rücktrittsentscheidung von Benedikt XVI. auch kein Papst mehr über dem Konzil. Genau das aber hatten manche vom Papst erwartet. Es waren die Piusbrüder, die es geradezu verlangten, und es waren Kreise in der Kurie und in diversen Bündeleien der katholischen Kirche, die klammheimlich hinter den Kulissen daran arbeiteten und manchmal auch in freudiger Erregung öffentlich daraufhin wirkten. Es ist nicht so gekommen, weil die Gravitation dieses Konzils auch für Päpste zu stark und die Unausweichlichkeit seiner Wahrheit wie die Notwendigkeit seiner Prinzipien in der gegenwärtigen Lage zu offenkundig sind.

Das II. Vatikanische Konzil hat dem Volk Gottes und damit auch dem Papst klar und unmissverständlich den Ort zugewiesen, auf dem sie unweigerlich positioniert sind, und auf dem sich das Papsttum am Ende dieses Pontifikats nicht wenig überrascht und noch mehr bedrängt wieder findet: mitten in der Welt von heute. Das ist zugleich gesellschaftliche wie lehramtliche Realität

Mit dem Konzil hat die Kirche begonnen, sich ehrlich zu machen und die Illusion, aber auch die Selbstlügen über ihre wahre Bedeutung abgelegt. Sie ruht trotz aller - durchaus vorhandenen - Fähigkeiten zu infalliblen Positionen nicht in sich, sondern lebt gerade dann von Voraussetzungen, die sie nicht garantieren kann und für deren Beachtung sie die Zeitgenossen benötigt, wenn sie Wahrheiten findet, begreift und öffentlich bezeugt. Diese bedrängende Welt von heute und die Ermutigung des II. Vatikanischen Konzils lassen es nicht zu, dass sich die katholische Kirche um diesen Ort der Selbstrelativierung herummogelt, indem sie zwar in die Welt hinein spricht, aber sich ihr nicht aussetzt. Die Kirche ist der heutigen Welt ausgesetzt, und es ist die Kunst des Leitens in der Kirche, genau das zu realisieren. Das Papsttum steht an der Spitze dieses Leitens, von ihm ist nicht weniger als die Spitzenkunst gefordert, sich der heutigen Welt auszusetzen, um überhaupt die Wahrheiten entdecken zu können, die einer bedrängten Menschheit weiter helfen können.

Das Wirken der konzilsgeprägten Päpste

In ihrer Weise haben das die konzilsgeprägten Päpste auch getan, aber partiell eben auch nicht. Johannes XXIII. und Johannes Paul II. haben die katholische Kirche in der Welt als Menschenrechtsgröße positioniert, der erste mit der Entscheidung zum Konzil und seiner Lehre der Zeichen der Zeit, der zweite auf breiter Front nach außen, jedoch nach Innen ohne nachhaltige Konsequenzen. Benedikt XVI hat versucht, die Kirche trotz der Bedingungen der Moderne, alles relativ zu machen, auf ihren Glauben zu konzentrieren und dabei offenkundig das Leiten der Kirche unter modernen Bedingungen vernachlässigt.

Das ist kein Zufall. Benedikt XVI stand der Pastoralkonstitution über die "Kirche in der Welt von heute“ immer skeptisch gegenüber und diese Skepsis hat sich schlicht nicht bewährt. Sie scheitert an ihrem Zaudern, das sich vergeblich als religiöse Souveränität deklarierte. In seiner Rücktrittserklärung hat das Benedikt XVI. eingeräumt, als er von seiner fehlenden geistigen Kraft für eine Welt sprach, "die sich so schnell verändert, [und] heute durch Fragen, die für das Leben des Glaubens von großer Bedeutung sind, hin- und hergeworfen“ ist. Es ist das die bemerkenswert klare Einsicht, dass, wer glaubt, nicht anders kann, als sich der Welt der eigenen Zeit auszusetzen.

Wer dabei scheitert, muss lernen, die Fertigkeiten zu entwickeln, die in dieser Welt überzeugen. Erfolg ist zwar kein Kriterium des Glaubens, aber Scheitern ist sehr wohl eine Herausforderung des Glaubens. Das macht aus dem Amt, das beim nächsten Konklave nun auf Zeit zu vergeben ist, eine prekäre Größe. Denn alle, die dieser vielfach bedrängten und überaus viele bedrängenden Welt ausgesetzt sind, können an ihr und in ihr scheitern. Und niemand kann das vor anderen verbergen. Das gilt gerade für den Papst, weil der jeweilige Amtsträger einer jener wenigen Menschen ist, die qua Amt die globalisierte Welt verkörpern. Die aber sehnt sich wegen ihrer Pluralität und Unübersichtlichkeit nach Figuren, an denen sie sich und ihre Hoffnungen spiegeln kann. Jeder Papst, der künftig sichtbar diesen globalisierten Zuschnitt nicht aufweisen kann, wird sich am Rücktritt des jetzigen Papstes messen lassen müssen.

Der schwankende Boden heutiger Welt

Die heutige Welt ist endgültig der schwankende Boden geworden, auf dem gerade auch Petrus von unvorhersehbarer Brüchigkeit und Beweglichkeit betroffen ist; es gibt keinen Fels ohne Erosion und es geht darum, dass der Nachfolger Petri darüber nicht erschrickt, sondern es gelassen akzeptiert. Nur dann kann er anderen helfen. Schließlich ist es eine der Kernerfahrungen des postmodernen Menschen, dass alles in Fluss kommt. Die mediale und ökonomische Globalisierung verflüssigt die bisherige topographische Ordnung der Kulturen, der durchgesetzte und kulturell zunehmend hegemoniale Kapitalismus wird liquide und die Neuchoreographie der Geschlechterverhältnisse fließt auch durch die intimsten Beziehungsverhältnisse. Zu all dem muss sich die Kirche in der globalisierten Welt positionieren und zwar so, dass Menschen diese Positionierungen nicht als halsstarrigen Protest gegen die Beweglichkeit erstarrter Sedimente eines früheren Lebens erleben, sondern als Hilfe, nicht unterzugehen und dabei offenen Raum für eine gegenwärtige Existenz zu gewinnen.

Nichts bleibt, wie es war, und in aller Regel trifft nicht ein, was man sich vorgestellt und erhofft hat. Aber diese Ambivalenz ist keine Katastrophe, sondern die unausweichliche Dynamik der heutigen Lebensformen, die sich ständig selbst überschreiten, wer weiß wohin. Erst ein Glaube, der diesem schwankenden Außen eine wirkliche Bedeutung als befremdlichen locus theologicus zugesteht, und nicht darüber hinweg geht, sondern von ihm her denkt, hat einen Ort in der heutigen Welt und unter ihren Menschen.

Dieser Glaube wird selbst dort nicht endgültig scheitern, wo er an Grenzen kommt und erst einmal nicht weiter weiß. Wie groß der Schritt sein wird, mit dem das kommende Konklave sich auf einen solchen Glauben hin überschreitet, wird man bald sehen können, wenn sein weißer Rauch sich gelegt hat.

Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie an der Universität Graz, Hans-Joachim Sander ist Professor für Dogmatik an der Universität Salzburg

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