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Kirchliche Zensur verhinderte 1950 das Erscheinen seines Buches über Maria: nur eine der Entdeckungen im 9. Band der Karl Rahner-Werkausgabe.

Wer im "Rahnerjahr 2004" (100. Geburtstag und 20. Todestag) den Grabgesang auf den Jesuiten-gelehrten meinte anstimmen zu sollen, seine Theologie für passé erklärte und in die Schublade "Theologiegeschichte" abschieben wollte, wird mit dem 9. Band seiner "Sämtlichen Werke" wieder einmal eines Besseren belehrt. Es gibt nämlich immer noch Unbekanntes, weil Unveröffentlichtes von Karl Rahner! Der vorliegende Band "Maria, Mutter des Herrn. Mariologische Studien" zeigt eindrucksvoll, wie er das gesamte Spektrum kirchlicher Lehre wie auf einer Klaviatur abgetastet hat - unverstanden manchmal, wie ein mühsam erarbeitetes, letztlich in der Ordenszensur hängen gebliebenes Buchmanuskript belegt.

"Theologische Blamage"?

Es macht den Löwenanteil dieser Edition aus. Unter dem lateinischen Titel "Assumptio Beatae Mariae Virginis" ist damit aus dem Nachlass Rahners erstmals vollständig die im Druck fast 400 Seiten umfassende Abhandlung über das Dogma von 1950 veröffentlicht: die "Aufnahme Marias mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit". Wiewohl auf einer alten Glaubensüberzeugung basierend, war die Dogmatisierung (unter Bischöfen wie Theologen) nicht unumstritten. Rahner hatte sich deswegen schon Jahre vorher mit der Thematik beschäftigt.

Sein Buch sollte vor dem 1. November 1950 (Tag der Dogmatisierung) erscheinen. Doch es passierte die ordensinterne Zensur nicht. Aus Zeitgründen, aber auch weil er gekränkt war, seine Anstrengungen nicht genügend geschätzt wusste und sich schwer tat, an manchen Stellen "nachzubessern", ließ er sich auf die gewünschten Überarbeitungen nicht ein. In einem Interview bezeichnete er die Beanstandungen später als einen ",Unfall' in der Administration der Kirche und des Ordens, denn von der Sache her handelte es sich um ein harmloses, frommes und vernünftiges Buch, das im Grunde genommen nur die römische Definition Pius' XII. verteidigen sollte". Er fragte sich, ob ihm mit der Nichtveröffentlichung nicht "eine gewisse theologische Blamage" erspart geblieben sei.

Dieses Manuskript von 1951 (mit Ergänzungen von 1959) bildet den ersten Teil von insgesamt sieben Abschnitten dieses von Regina Pacis Meyer mit unglaublicher Akkuratesse bearbeiteten Bandes. Unter den weiteren Beiträgen stechen - neben zahlreichen mariologischen Aufsätzen und Schriften - auch zwei Versionen eines Exkurses "Zur Theologie des Todes" (1949 bzw. 1957/1958) hervor.

In Bezug auf Maria setzt sich Rahner auch mit ökumenischen Fragen auseinander, etwa in "Trennt Maria die Konfessionen?" oder "Antwort auf eine Frage Karl Barths, inwiefern die Mariologie zu den ,Zentralen Wahrheiten' des Glaubens gehöre"- und er geht in die "Praxis": "Was man in Marienpredigten nicht tun soll" (bisher unveröffentlicht!).

Der Band belegt nicht nur, dass Karl Rahner in der Tradition der Kirche verwurzelt war. Er wollte diese auch verteidigen, und das war in den fünfziger Jahren nördlich der Alpen kein leichtes Unterfangen - schon gar nicht bei marianischen Themen, und das nicht nur aufgrund der Empfindlichkeiten auf protestantischer Seite.

Trotziger Charakter

Auch der Editionsbericht im Band verdient Augenmerk: Er ist ein atemberaubendes Stück Theologiegeschichte! Denn er lässt hinter die Kulissen blicken und gewährt Einblick nicht nur in das, was war, sondern auch, wie Rahner dabei zumute war. Ein verwundetes Herz tut sich da auf, und ein trotziger Charakter zeigt sich. Zur zusätzlichen römischen (ordensinternen) Zensur meint er gereizt: "Wenn man nichts schreibt oder nur die altgebahnten Wege wandelt, dann hat man es leicht und bequem. Ob man als kirchlicher Theologe dann seine Pflicht getan hat, ist eine andere Frage, auch wenn man dann das Sanctum Officium (die Vorläuferin der heutigen Glaubenskongregation, Anm.) nicht zu fürchten braucht."

Hugo und Karl Rahner

Menschlich berührend und aufschlussreich für das oft nur anekdotenhaft beschriebene Verhältnis zwischen Karl Rahner und seinem Bruder Hugo (1900-68), dem Kirchengeschichtler und Ignatiusforscher, ist der Abschnitt "Von Bruder zu Bruder". Darin ist ein fast dreiseitiger Brief Hugos (aus 1955) an den von den römischen Maßnahmen entmutigten Karl abgedruckt. Der Ältere nimmt den Jüngeren ins Gebet, ermutigt ihn und wirbt um Verständnis: "Ich würde überhaupt sehr viel halten von einem guten Brief an P. General, damit er nicht meint, Du sitzest tragisch in einem Schmollwinkel und fühltest Dich extra und wohlig mißverstanden."

Kurze Zeit später gab Karl Rahner den Studenten des Germanikums unweit von Rom Exerzitien und kam damit 51-jährig erstmals in die Ewige Stadt. Mit Hilfe des diplomatischen Geschicks seines Bruders revidierte er seine "römische Antipathie". Er erlebte, dass seine Arbeit geschätzt wurde. Weitere Demütigungen blieben ihm, wie anderen Theologen, nicht erspart. Doch die Berufung zum Konzilstheologen durch Johannes XXIII. einige Jahre darauf machte deutlich, dass der Papst (anders als manche Kurienkardinäle) Rahners herausragende Leistungen erkannt hatte. Rahners Mariologie ist Ausdruck seiner Kirchlichkeit. Manchmal dauert es, bis diese als solche verstanden wird.

Der Autor ist stv. Schriftleiter der "Stimmen der Zeit"/München.

Maria, Mutter des Herrn. Mariologische Studien. Von Karl Rahner (Rahner-Werkausgabe, Band 9). Verlag Herder, Freiburg 2004, 848 S.,geb, e 123,40

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