Rainer Maria Rilkes Brieffreundin

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Haben wir Maße für unsere Freude? - Alles, was froh ist, ist ganz. Doch es wird,wie ein in sich schon bewegtes Getreide, weht es im Winde, herrlich beirrtdurch immer wachsender Lüfte Bewegung. Dankbar giebt es den Winden sich hin.Dank Dir, danke, für jegliche Regung meines Gemütes, das ahnet: Ich bin

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Haben wir Maße für unsere Freude? - Alles, was froh ist, ist ganz. Doch es wird,wie ein in sich schon bewegtes Getreide, weht es im Winde, herrlich beirrtdurch immer wachsender Lüfte Bewegung. Dankbar giebt es den Winden sich hin.Dank Dir, danke, für jegliche Regung meines Gemütes, das ahnet: Ich bin

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Die achtzehnjährige Erika Mitterer schrieb Gedichtzeilen wie diese an Rainer Maria Rilke. Und der weltberühmte Dichter zahlte der angehenden Poetin - mit gleicher Münze zurück: "Dass Du bist genügt. Ob ich nun wäre, / laß es zwischen uns in Schwebe sein. / Wirklichkeit ist wahr in ihrer Sphäre; / schließlich schließt das ganz Imaginäre / alle Stufen der Verwandlung ein."

Zwei Jahre - bis zu Rilkes Tod 1926 - währte dieser poetische Briefwechsel zwischen der jungen Wienerin und dem leukämiekranken Autor. Erst 1950 wurde der Briefwechsel veröffentlicht - und löste Aufsehen aus. Heute ist er beinahe wieder vergessen; Rilkes Briefpartnerin Erika Mitterer begeht dieser Tage in Wien ihren 95. Geburtstag.

Nicht nur Rilke schätzte ihr Talent, auch Stefan Zweig sprach von ihr als "großer Dichterin", nachdem 1930 ihr erster Gedichtband erschienen war. Diese Bekanntschaften der Erika Mitterer klingen heute wie Stimmen aus fremder Vorzeit, als der Feuersturm der NS-Herrschaft noch nicht über Europas Kultur hinweggebrannt war. Die dunkle Zeit, die folgte, verbrachte Mitterer in innerem Exil, aber nicht unwissend: Redet leise / in den Kellern, / Freunde, Geliebte! / Unser ist nur noch / schale Luft, / abgeschieden / vom Weltenraume. / Ein Kind, das weint, / eine Klage, die ausbricht / kann alles enden. So beginnt sie ein Gedicht im September 1939, das auch folgende Zeilen enthält: Einmal wird Tag sein / entgiftet der Äther! // Mögen dann Trümmer, / fruchtlose Fluren, / Leichen der Vögel / uns schrecklich empfangen - / uns ist die Sonne, / das Flüstern der Winde, / das Schweigen der Schwätzer / Trostes genug! // Harre jeder, / hoffe jeder, / friste sein Leben / nächtlicher Weile.

1942 erschien Mitterers Inquisitionsroman Der Fürst der Welt: Die NS-Zensoren erkannten nicht, dass das scheinbar bloß kirchengeschichtliche Werk auch als Gleichnis für die Barbarei der herrschenden Verhältnisse gelten konnte. Erst als nach Erscheinen der norwegischen Übersetzung die diesbezüglichen Interpretationen zunahmen, wurde das Buch auch im Dritten Reich nicht mehr gedruckt.

Nach dem Krieg folgten weitere Romane, darunter ihre persönliche Abrechnung mit der NS-Zeit Alle unsere Spiele, daneben auch Erzählungen und Gedichtbände. Paradoxerweise hat die Beschäftigung mit der Inquisition und der damit verbundenen geistigen Strömungen für Der Fürst der Welt die evangelisch getaufte Schriftstellerin zum Katholizismus gebracht, zu dem die fast Sechzigjährige schließlich 1965 konvertierte.

Mitterer setzte sich in den darauffolgenden Jahren - im Schreiben und im Tun - sehr für seelsorgerische und gesellschaftspolitische Anliegen ein. Sie arbeitete in der Telefonseelsorge mit und engagierte sich für Gewaltfreiheit im Rahmen des Internationalen Versöhnungsbundes. Den Einsatz für ihre Überzeugung betrieb sie mit aller Konsequenz: 1984 trat sie, aus Ärger über eine Resolution gegen das österreichische Aufführungsverbot für Herbert Achternbuschs Film "Das Gespenst", den sie als blasphemisch erachtete, aus dem PEN-Club aus.

Wenn ich nicht mehr glauben könnte, / was ich als Kind für wahr hielt - / was bliebe mir übrig? So beginnt ein Altersgedicht Erika Mitterers: Worte wie diese weisen die nun 95-Jährige als eine Mächtige auch der religiösen Sprache aus.

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