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Randbemerkungen zu einem philosophischen Budi

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In unserem ersten einführenden Artikel zu dem neuen Werk von Alois Dempf („Furche” Nr. 48 vom 6. Dezember 1947) wurde darauf hingewiesen, daß es unmöglich sei, „in diesem Rahmen die Fülle der von Dempf behandelten Fragen auch nur annähernd zu behandeln. Der Philosoph, der Historiker, der Soziologe sind nun in Sonderheit aufgerufen, sich mit diesem opus magnum auseinanderzusetzen”. Nun hat ein Theologe das Wort.

„Die Furche”

Jedes Buch, das der Beseitigung des philo-i sophischen Vakuums dient und ein metaphysisches Gespräch in Fluß bringt, muß dankbar begrüßt werden. In diesem Sinn hat die „Selbstkritik der Philosophie”, die auf dem Titelblatt den Namen Professor Dempfs trägt, in der „Furche” (Nr. 48, 1947) einen rauschenden Empfang gefunden. Nachdem die Begrüßungsfeierlichkeiten verhallt sind und wir den neuen Gast in unserer Mitte haben, ist es an der Zeit, ihn auch kritisch zu besehen. Raummangel verbietet es, auf alle Fragen einzugehen, die sich beim Lesen des Buches aufdrängen. Wir wollen uns deshalb auf jene Punkte beschränken, die dem theologisch Gebildeten bedenklich erscheinen müssen.

Professor Dempf sieht sich veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß von der Philosophie keine Brücke, sondern nur ein Sprung zur Religion hinüberleite, und daß diese Tatsache von der Theologie verwischt worden sei (S. 130). Anstatt eines Beweises setzt er den klingenden Namen Kierkegaards hin. Kierkegaard aber hat ein Dreifaches vom Glauben auszusagen: 1. Der Glaube ist in der Subjektivität des Menschen verwurzelt; objektiv gesehen bleibt sein Wahrheitsanspruch ungewiß; 2. mit Beweisen, die auf der Geschichte oder den Früchten des Christentums gegründet sind, läßt sich über die Wahrheit des Christentums nichts ausmachen; 3. der Glaube ist Entscheidung angesichts des Paradoxen, das im Christentum liegt; ist ein Sprung, eine leidenschaftliche und irrationale Zukehr zu Gott.

Glaubt Professor Dempf im Ernst, auf dieser Grundlage die katholische Theologie reformieren zu können? Was er vorschlägt, ist ein Reformieren in des Wortes abgrundtiefster Bedeutung. Denn Kierkegaard ist in seiner Glaubensanalyse nicht über das Luthertum hinausgekommen. Im Gegensatz zur protestantischen Gefühlssicherung beweist der katholische Theologe die Wahrheit des Christentums mit Hilfe von Kriterien, die religionsphilosophisch gewonnen werden. Um nur eine Beweislinie zu beleuchten: so wird zum Beispiel festgestellt, daß das erstrangige Wunder eine Schöpfung aus dem Nichs ist oder ihr dem Wert nach gleichkommt. Eine Schöpfung aus dem Nichts kann aber nur von Gott vollzogen werden. Wird nun die Lehre eines Religionsstifters durch erstrangige Wunder bestätigt, so ist Gott, die unendliche Wahrheit, der Garant für die Wahrheit der verkündeten Lehre. Die Wunder, von denen die Lehre Christi begleitet wurde, sind als sinnfällige Erscheinungen Gegenstand der historischen Forschung. Und sind sie einmal als historische Tatsachen nachgewiesen, dann besteht auch der Anpruch des Christentums zurecht, Offenbarungsreligion zu sein. Offenbarung bedeutet aber ein Sprachen Gottes, das vom Menschen gläubig angenommen werden muß, weil der Sprecher die unendliche Wahrheit ist. Glaube ist nicht ein Sprung; Glaube ist die vernünftig begründete Aufnahme der Botschaft Gottes. In diesem Sinn sprechen sich auch die Lehrentscheidungen des vatikanischen Konzils aus.

Leider zeigt die „Selbstkritik der Philosophie”, daß der falsche Ansatz in der Glaubensanalyse sich auch sonst verwirrend auf die Ideen des Verfassers ausgewirkt hat. Die Religion der Gefühlswelt zuzuweisen, ist protestantische Lehre, die in Sthleier- macher ihren vornehmsten Patron sieht. Schon allein die religionspsychologishen Ergebnisse, die auf den Untersuchungen Girgensohns basieren, hätten dem Verfasser zeigen müssen, wie veraltet die Anschauungen sind, die er im Interesse einer aprio- ristischen Systematik von neuem zu beleben sucht.

Die „Selbstkritik der Philosophie” ist etwas chaotisch geschrieben, und damit ist die Gefahr einer unrichtigen Ausdeutung gegeben. Vielleicht mißverstehen wir die Absichten des Verfassers; aber das Buch macht den Eindruck, als ob er das Christentum rein evolutionistisch erkläre. Einfachhin das Greisenalter der Menschheit als Ausgangspunkt der WeltreÜgionen fest2usetzen und ohne genauere Bestimmungen das Christentum neben dem Buddhismus auftreten zu lassen, sieht so aus, als ob kein wesentlicher Wertunterschied zwischen beiden Religionen bestünde. Die Philosophie, der die Wahrheit höher stehen muß als die Einheit des Systems, darf aber nicht ohne Prüfung am eigenartigen Offenbarungsanspruch des Christentums vorübergehen. Sonst verfällt eine solche Philosophie dem Vorwurf der Oberflächlichkeit.

Auch in der Anthropologie, die Professor Dempf aufstellt, dürfte manches nicht stimmen. Wenn er zum Beispiel sagt, der Mensch bestehe aus zwei Naturen in einer Person, so ist das weder mit der katholischen Lehre noch mit den Ergebnissen einer sachlichen Philosophie vereinbar. Seiner Anthropologie legt der Verfasser die Lehre Günthers vom Aufbau des Menschen zugrunde und unterscheidet zwischen der sinnlich belebten Leibnatur und dem Geist, der mit dem Leib in eine Steuerverbindung tritt (S. 93). Zunächst ist einmal festzuhalten, daß der Verfasser die Leibnatur, die doch aus Materie und einem Lebensprinzip bestehen muß, als ein in siela Geschlossenes und Ganzes ansieht. Aus der inneren Erfahrung ergibt sich aber, daß das sensitive und das geistige Leben des Menschen aus demselben Prinzip erfließen. Denn es ist immer dasselbe Ich, das denkt und will, das sieht und hört. Das Prinzip also, das den Leib als Leib konstituiert, ist nicht nur Quelle des sensitiven, sondern auch des geistigen Lebens und muß mithin selber Geist sein. Für den Katholiken mag folgendes von Interesse sein Zur Abwehr christo- logischer Irrtümer hat das 4. Konzil von Konstantinopel definiert, daß der Mensch nur ein einziges Lebensprinzip besitzt und daß dies Vernunft- und verstandesbegabt ist. Vom Konzil zu Vienne hingegen wurde die Lehrentscheidung gefällt, daß das verstandesbegabte Lebensprinzip durch seine Verbindung mit dem Stofflichen den Leib als Leib konstituiert.

Es wäre jedoch ungerecht, den Verfasser einfachhin als einen Güntherianer zu bezeichnen. Was er vom Aufbau des Menschen sagt, dient der Eingliederung in die Lehre Meister Eckharts von den Urgründen. Vielleicht trifft unsere Deutung nicht den Kern der Sache. Man kann sich aber nicht des Eindrucks erwehren, daß Professor Dempf unter dem geistigen Urgrund eine einheitliche Seelensubstanz versteht, die in allen Menschen identisch ist und in ihnen nur jeweils zu verschiedenem Bewußtsein erwacht. Professor Dempf ist kein Pantheist, sondern faßt den geistigen Urgrund als eine Schöpfung Gottes auf. Trotzdem ist seine Lehre voll von Gefahren und Widersprüchen. Wie kann es nämlich geschehen, daß dieselbe Seele im einen Menschen sündigt, im andern Gott liebt; daß sie zu gleicher Zeit begnadigt und verworfen ist; daß sie auf ewig beseligt und auf ewig verdammt ist? Wie kommt die Geistnatur in den Körper hinein, da sie doch keine wesentliche Beziehung zu ihm hat? Was geschieht mit der Geistnatur des Menschen nach dem Tode? Nach Professor Dempf ist Selbstbewußtsein nur eine Orientierung zur Freude und Liebe hin (S. 105). Kann der Verdammte, da Freude und Liebe außerhalb des Runges seiner Möglichkeiten liegen, sich in die unbewußte Nacht des Urgrundes zurückversenken? — Sollte aber Professor Dempf die Geistnatur des Menschen als etwas von seinem Urgrund sachlich Verschiedenes auffassen, dann ist nicht einzusehen, wozu er den Urgrund braucht. Noch weniger ist einzusehen, wie er dessen Existenz beweisen kann.

Durch das Buch Professor Dempfs zieht sich ein breiter Strom des Irrationalen. Das er sich für die Verfechter des Irrationalen, für Meister Eckhart, Jakob Boehme, Schleiermacher, Schlegel und. andere begeistert, ist sein gutes Recht. Daß er vom deutschen Irrationalismus her eine Erneuerung der Philosophie erwartet, dürfte heutzutage befremdend wirken. Wir leben in einer Zeit, wo es dringend ist, dem klaren und gerecht wägenden Verstand die geraubte Krone zurückzugeben. „Gut denken, um glauben zu können, und glauben, um gut denken zu können” 1st das Motto, unter das sich auch die. Philosophie ein- fügen muß, wofern sie dem Menschen lebenspendendes Brot und nicht tödliche Worte schenken will. Professor Dempf betont im Vorwort seines Buches, seine Arbeit stelle einen philosophischen Fortschritt dar. Abgesehen davon, daß uns ein solches Urteil besser klingt, wenn es von den Kritikern und nicht vom Verfasser selbst kommt, müssen wir das Büch in wesentlichen Punkten als verfehlt erklären.

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