Rassismus der Verdächtigung

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Für Beate Winkler beweist der diese Woche veröffentlichte Antisemitismus-Bericht, wie wichtig die EU Antisemitismus nimmt. Anfang des Jahres wurde Winkler und ihrer Behörde noch Judenfeindlichkeit vorgehalten. Ein furche-Gespräch zu diesem Vorwurf, zum neuen Rassismus nach dem Terror von Madrid und Europas Fähigkeiten, mit kultureller Vielfalt umzugehen.

Die Furche: Jüdische Organisationen haben der EU Anfang des Jahres wegen einer Studie Ihres Büros Antisemitismus vorgeworfen. Dieser Tage präsentieren Sie den endgültigen Antisemitismus-Bericht - sind die Differenzen damit beigelegt?

Beate Winkler: Unsere Arbeit und unsere Berichte zeigen, wie wichtig die EU das Thema Antisemitismus nimmt und welche Anstrengungen wir in diesem Bereich unternehmen. Die Vorwürfe haben Einzelpersonen vorgebracht, wobei die kritisierte Studie als solche gar nicht für den Antisemitismus-Bericht verwendet wurde.

Die Furche: Was ist das Besondere am aktuellen Bericht?

Winkler: Der 350 Seiten starke Bericht besticht durch seine Ausführlichkeit. Zum ersten Mal wurden in den letzten zwei Jahren in allen 15 EU-Mitgliedsländern auf systematische Weise Daten zum Thema Antisemitismus gesammelt. Hinzu kommen die Ergebnisse zahlreicher Interviews, die wir mit Vertretern jüdischer Gemeinden in Europa geführt haben.

Die Furche: Welche Stimmung herrscht unter jüdischen Mitbürgern?

Winkler: Es gibt eine Verängstigung durch Rechtsextremismus und den islamischen Fundamentalismus - und dazu dieses Gefühl, wieder nicht dazuzugehören, nicht gewollt zu sein. Die Erfahrung von Juden in EU-Staaten, von Mitbürgern angegriffen zu werden, war traumatisch. In Deutschland und Österreich taucht bei manchen die Frage auf: "Habe ich die richtige Entscheidung getroffen, als ich beschlossen habe, hier zu bleiben?"

Die Furche: Fördert die Politik der israelischen Regierung Sharon - der Mauerbau, die gezielte Liquidierung palästinensischer Politiker - den Antisemitismus in Europa?

Winkler: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es beispielsweise nach dem Einmarsch der israelischen Armee in Djenin im Westjordanland einen Anstieg an Antisemitismus in Europa gegeben hat. Die Gefahr, dass sich auch jetzt wieder antisemitische Vorfälle häufen werden, ist für mich daher eindeutig gegeben.

Die Furche: Wie gelingt es, dass Kritik an Israel, an einzelnen israelischen Politikern, nicht in Antisemitismus abgleitet beziehungsweise als solcher verstanden wird?

Winkler: Wir müssen sehr fein differenzieren, Altes und Neues auseinander halten. Diese Krise wird ja oft nur benutzt. Auch ohne den Nahost-Konflikt wird es Antisemitismus geben. Unsere Aufgabe ist, Lösungen zu finden, wie wir diesem Phänomen wirksam entgegentreten - dazu bietet der Antisemitismus-Bericht das nötige Ausgangsmaterial.

Die Furche: Fürchten Sie nach den Terroranschlägen von Madrid auch einen Anstieg der Übergriffe auf Muslime in Europa?

Winkler: Davon müssen wir leider ausgehen. Das war schon unsere Erfahrung nach dem 11. September. Innerhalb kürzester Zeit ist es damals zu einem sehr hohen Anstieg an Übergriffen gegenüber Muslimen gekommen - vor allem in den Niederlanden, in Großbritannien, Belgien und Dänemark. Geblieben ist ein Klima der Verdächtigung und ein Klima, in dem sich mancher, der fremd aussieht, rechtfertigen muss, kein Terrorist zu sein.

Die Furche: Entsteht da ein neuer, bisher unbekannter Rassismus?

Winkler: Der 11. September war ein Meilenstein im Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten, aber auch im Verhältnis der Minderheiten untereinander. Eine enorme Verunsicherung in der Mehrheitsgesellschaft greift um sich. Die Sehnsucht nach Homogenität, nach Eindeutigkeit wird größer. In vielen Mitgliedsländern wird Zuwanderung verstärkt und aus einem neuen Blickwinkel heraus diskutiert; Attacken auf religiöse Symbole nehmen zu - alles Auswirkungen der Terroranschläge.

Die Furche: Kann mehr interreligiöser Dialog dieser Entwicklung entgegensteuern?

Winkler: Im verstärkten interreligiösen und interkulturellen Dialog sehe ich eine sehr positive Entwicklung: Diese Gespräche sind eine ganz klare positive politische Aussage, ohne die Probleme zu verschweigen. Diesen Dialog zu forcieren, wird entscheidend für unsere Zukunft sein.

Die Furche: Bleiben wir bei der allernächsten Zukunft: Wie wird die EU-Erweiterung die Arbeit der Beobachtungsstelle verändern?

Winkler: In den Ländern, in denen es kaum Erfassungsmethoden für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gibt, haben wir keine aussagekräftige Daten. Es entsteht dann leicht der Eindruck, diese Länder haben keine Probleme. Das ist aber nicht der Fall. In den bisherigen EU-Ländern sind es vor allem Zuwanderer, in den neuen Ländern jedoch sind es die vielen autochthonen Minderheiten, die es zu integrieren gilt. Wir müssen da von europäischen Ebene her klare Vorgaben machen und sagen, was menschenrechtswidrig ist.

Die Furche: Gibt es ein Vorbild für die Arbeit der EU-Beobachtungsstelle?

Winkler: Unsere Stelle ist weltweit einzigartig und darauf kann die EU stolz sein. Die Union zeigt damit, dass sie ihre Prinzipien sehr ernst nimmt - sonst hätte sie uns ja nicht eingerichtet.

Die Furche: Konzentrieren Sie sich nur auf die negativen Entwicklungen?

Winkler: Nein, wir behandeln nicht nur Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus etc., sondern wir zeigen auch, wie Europa mit kultureller und ethnischer Vielfalt umgeht. Das ist ganz wichtig, sonst wird unsere Arbeit kontraproduktiv. Es soll nicht der Eindruck entstehen, die Schwierigkeiten sind unüberwindbar - dann bleiben die Menschen entmutigt zurück. Europa hat zu jeder Zeit großes Integrationspotenzial gezeigt. Zusammenhalt, Zusammenwirken zwischen Juden, Christen und Muslimen hat es immer wieder gegeben - warum sollte uns das nicht gelingen.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Der Antisemitismus-Report findet sich vom 31. März 2004, ab 14.30, Uhr auf der Homepage: www.eumc.eu.int

Eine, die sich einmischt

"Wir haben ein sehr gutes Arbeitsverhältnis", antwortet Direktorin Beate Winkler auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen österreichischer Bundesregierung und der EU-Anti-Rassismus-Behörde. Das war nicht immer so: Nach der schwarz-blauen Wende im Februar 2000 ließen Regierungsvertreter kein gutes Haar am EU-Institut: Von "berüchtigter Stelle", die "jeden Kredit verspielt hat", war die Rede und der Vorwurf lautete, die Einrichtung betreibe "politische Agitation gegen Österreich und seine Bundesregierung". - "Wer sich einmischt, wird entwertet", antwortete Winkler auf die Kritik. Heute überwiegen für sie die positiven Effekte der Sanktionen: "Als Folge der Maßnahmen gegen Österreich, sind seither alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, Antidiskriminierungsgesetze zu implementieren."

Die Europäische Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wurde 1997als unabhängige Institution zum Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus geschaffen. Die in Wien angesiedelte Beobachtungsstelle ist die erste und einzige EU-Institution mit Sitz in Österreich. Seit Juli 1998 leitet Beate Winkler, mit einem Verwaltungsrat an ihrer Seite, die Beobachtungsstelle. Momentan freut sich die deutsche Juristin vor allem über ein großes Erfolgserlebnis: "Dass unsere Stelle zu einer Europäischen Menschenrechtsagentur ausgeweitet wird."

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