Rede von Gott als Knetmasse

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Der Augustiner Chorherr und emeritierte Professor für Gesellschaftslehre Ferdinand Reisinger feiert 65. Geburtstag. Ein Streiflicht auf 40 Jahre Lehrtätigkeit eines kritischen Querdenkers.

Letzten Sonntag feierte die Ordensgemeinschaft des oberösterreichischen Stiftes St. Florian gemeinsam mit zahlreichen Gästen ihren Mitbruder und Jubilar, der auch nach seiner Emeritierung der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz als Lehrender zur Verfügung stehen wird. Immerhin hat der vielseitig begabte Theologe das wissenschaftliche Spektrum seiner Fakultät in den Disziplinen der Soziallehre, Wirtschaftsethik und Pastoralsoziologie prägend mitgestaltet.

Indes, die Karriere als Wissenschafter hat Reisinger nie angestrebt. Als Schüler warben die Jesuiten um ihn. "Die wollten mir Gusto aufs Theaterspielen machen“; neben der Bildenden Kunst die zweite große Leidenschaft des Malers und kunstaffinen Seelsorgers. Schließlich entbrennt im Theologiestudenten der sogenannten 68er-Generation an der Universität Salzburg das politische Interesse. Reisinger beschäftigt sich intensiv mit dem Atheismus von Sartre, Cioran und Marx, erforscht die "Lebenswelt des Geldes“ und den Stellenwert des Menschen in der Arbeit. Der spätere Experte der Soziallehre der Kirche gerät dadurch in intensive Auseinandersetzung mit den kritischen Argumenten, Plausibilitäten und Geltungsansprüchen des Nichtglaubens, die den jungen Theologen in eine manifeste Glaubenskrise stürzen. "Ich war ursprünglich auf eine relativ streng religiöse Schiene programmiert und habe mich auch irgendwie als Missionar in der Zone des Unglaubens verstanden, habe kiloweise das religionskritische Zeug in mich hineingefressen. Die scharf konturierten atheistischen Argumente begannen an meinem eigenen Selbst zu beißen. So schlitterte ich 1983 in eine seelische Krise; eher eine religiöse Neurose, die sich dann, Gott sei Dank, gelöst hat.“

Feindesliebe als politische Frage

Reisingers Gesellschaftsanalysen sind häufig im Gerechtigkeitsthema verankert und interdisziplinär verwoben: die Marx’sche Analyse, die Politische Theologie (J. B. Metz) und die Theologie der Befreiung, deren Gottesreich-Spiritualität in ihrer Option für die Armen eindeutig Partei ergreift und Stellung bezieht. Kirche müsse für jene Menschen da sein, die auch Jesus vorrangig am Herzen lagen, ist sich Reisinger sicher. "Theologen sollten nicht politisieren, sich aber stets der politischen und sozialen Bedingtheiten bewusst sein. Ich möchte die theologische und philosophische Kompetenz der Kirche nicht auf ethische Fragen beschränken. Das wäre mir zu wenig“, gibt sich Reisinger glaubenskämpferisch. "Ja, ich bin ein unangenehmer Fighter. Ich kämpfe bis zum Umfallen oder bis ich gesiegt habe.“ Den Einwand, dieser Fatalismus sei mit dem ausgeglichen wirkenden Äußerem nicht in Deckung zu bringen, lässt Reisinger nicht gelten. "Ein falscher Schein. Ich habe in mir ein Friedensbedürfnis, wiewohl mir auch nachgesagt wird: ‚Der lässt keinen Streit aus.‘ In Sachen Friede gilt es, an die Wurzel zu gehen. Meine erste Lehrveranstaltung in Linz war: ‚Die jesuanische Feindesliebe als politische Frage‘.“ Eugen Biser schrieb in seinem Buch "Er ist unser Friede“, dass der Mensch, so wie er ist, nicht friedensfähig sei. Diese Behauptung versetzte Reisinger in Rage. "Im ersten Moment dachte ich, ich spring’ ihm an die Gurgel. Ich glaube nämlich, dass es so etwas gibt, was im Evangelium angesprochen wird: einen Frieden, den sich die Welt selber nicht geben kann, der von Gott kommt, wenn meine eigene Friedensfähigkeit schwächelt. Das ist für mich ein wesentlicher Inhalt der christlichen Botschaft.“ Auf die jesuanische Feindesliebe angesprochen, räumt Reisinger ein, dass es in der Praxis wohl schwer ist, "bis auf den Grund des Herzens verzeihen zu können“, wie es seine Ordensregel fordert. Auch wenn es gelingt, den Feind zu lieben, "es wird sich wieder einer finden“, gibt Reisinger augenzwinkernd zu bedenken.

Immer wieder beschäftigt ihn auch der reiche Fundus des Hl. Augustinus, wenn es darum geht, "die Sache mit Gott zu verstehen und durchzukneten, die direkte und indirekte Rede von Gott gedanklich sensibel zu begleiten“. Diese Methode setzt freilich voraus, der "Knetmasse“ ein hohes Maß an Plastizität und somit Verformbarkeit zuzutrauen und in Kauf zu nehmen, dass dieser Vorgang auch neue Formen hervorbringt, mit denen man sich - als Wissenschafter und als Glaubender - kritisch auseinanderzusetzen, viel mehr noch: denen man sich auch selbst auszusetzen hat.

Durchgeknetetes birgt Überraschungen. Man sollte dabei keine allzu starren Muster in sich haben, empfiehlt Reisinger aus eigener leidvoller Erfahrung: "Bei mir geht das auf Biegen und Brechen. Ich bin in Mauthausen, gleich neben dem traurig-berühmten Steinbruch, aufgewachsen. Anfang der 1990er-Jahre wollte ich einen Stein bearbeiten. Also fing ich an zu klopfen und fragte mich: Folgt der Stein mir oder muss ich dem Stein folgen? Die Frage nach Gott ist oftmals so eine sperrige, versteinerte Angelegenheit. Darum geht es mir zunächst einmal nicht um die Sache von Gott, sondern um die Rede von Gott, und die ist sehr wohl durchknetbar.“ Reisingers theologisches Kochrezept zeitigt Rückwirkungen auf die Frage, wie vom Menschen oder von der Natur gesprochen werden kann. Ist Seiendes gefügig zu machendes Material oder selbstbestimmte Materie?

Seelsorge im Zentrum des Priesterseins

Diese Überlegungen charakterisieren gleichsam den intellektuellen Anspruch des Lehrenden: "Stereotyp brachte ich jeweils in den ersten Vorlesungen pro Semester mein Hauptanliegen vor: zu begreifen, was wir meinen, wenn wir reden. Ich wollte Professor sein, der kompetent und verstehbar vorstellt, wozu er sich existenziell bekennt. Ein Professor soll auch etwas von der eigenen Haut auf den Markt tragen. Wenn Studierende sagen, beim Reisinger haben wir denken gelernt, dann ist das für mich das größte Kompliment.“

Am Ende seiner universitären Laufbahn stehend, tritt die seelsorgliche Frage deutlicher denn je in die explizite Mitte seiner Existenz. Sie zeichnet, so Reisinger, das Eigentliche des Priesterseins aus: von Gott reden, jedoch nicht demonstrativ, sondern appellativ und inspirativ.

Als Kunstsammler kann sich Reisinger rühmen, das gesamte religiöse Œuvre des Malers Hans Fronius im Stift St. Florian zu beherbergen. "Das geschah überraschend“, erinnert sich Reisinger an die ersten Briefwechsel mit dem Künstler, dessen existenzielle und teilweise religiös konnotierte Botschaft ihn immer schon angerührt hat. 1991, etwa drei Jahre nach Fronius’ Tod, äußerte seine Witwe den Wunsch, die religiösen Arbeiten ihres Mannes dem Stift als Schenkung zu vermachen. Als andere Künstler davon erfuhren, spendeten auch sie einige ihrer Werke, wie zum Beispiel Alfred Hrdlicka, dessen beeindruckende Karfreitagsradierung zu den Lieblingsbildern Reisingers zählt, der seit der Jahrtausendwende wieder selbst zum Pinsel greift. Obwohl viele Galeristen ihr Interesse am künstlerischen Schaffen des Stiftsdechants angemeldet haben, gibt sich der Künstler selbst bescheiden. Danach gefragt, was er mit seiner Kunst ausdrückt, antwortet er schlicht: "Farbtuben.“

Ferdinand Reisinger CanReg

Geboren 24. 7. 1946 in Mauthausen, Augustiner Chorherr des Stiftes St. Florian, em. Professor der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz, Professor für Geschichte und Politik an der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz, Professor für Gesellschaftslehre und Sozialethik der Religionspädagogischen Hochschule.

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