Reformbedarf in Thailand

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Der Buddhismus kämpft in seinen angestammten Ländern mit ähnlichen Strukturen - Hierarchien, Institutionen, Traditionen - wie Religion hierzulande .

Der Buddhismus hat im Westen den Ruf, weniger als andere Religionen verinstitutionalisiert beziehungsweise mit politischen Systemen verflochten zu sein. Das Beispiel Thailand zeigt, wie in einem Land des Theravada-Buddhismus Staat und Sangha (Mönchsorden) im Laufe der Jahrhunderte eine Symbiose eingingen. Als nationale Institution geriet der Buddhismus zusehends unter staatliche Kontrolle. Reformbedarf ist wieder einmal angesagt.

Buddhismus im Tief

"Der Buddhismus in Thailand befindet sich an einem historischen Tiefpunkt. Mönche folgen dem Trend der Gesellschaft. Sie haben ein Naheverhältnis zu Politik, Kapitalismus und Konsumismus. Sie verlieren ihr spirituelles Ziel aus den Augen." So lautet die Analyse von Santikaro Bhikku, amerikanischer Theravadamönch, der seit 20 Jahren im "Garten der Befreiung" bei Chaiya im Süden Thailands lebt. Nur wenige hätten wie sein Lehrer Ajahn Buddhadasha ( 1993) den Weg vorbei an der "etablierten Religion zurück zu den Quellen des buddhistischen Kanons" gefunden.

Santikaro, der aus einem protestantischen Elternhaus stammt, kam in den siebziger Jahren mit dem US Peace Corps als Englischlehrer. Thailand zählt zu den Ländern des Theravada-Buddhismus ("Schule der Älteren"), dessen Kernstück der Sangha, die Mönchsorden, ausmacht. Der mönchische Weg wird als der eigentliche, der zur Erleuchtung führt, gesehen. Das religiöse Leben außerhalb der Klöster ist weithin von volkstümlichen Frömmigkeitsformen geprägt. Die Thais nehmen Zuflucht nicht allein zum Buddha, zur Gemeinde und zur Lehre, sondern auch zu Hindugottheiten, zu den Ahnen, zu Schutzgeistern oder zu magischen Praktiken.

Szenenwechsel: Professor Saeng Chandrangam entzündet Räucherstäbchen am Altar an der Stirnseite des Konferenzsaales. In der Mitte ist ein Buddha-Bild angebracht, rechts davon die thailändische Flagge, links das Bild von König Bhumipol. Lotusblumen und drei Räucherstäbchen vervollständigen das Arrangement, das bei offiziellen Anlässen vorgeschrieben ist. Für den Dekan der geisteswissenschaftlichen Fakultät an der Universität in Chiang Mai im Norden Thailands ist der Buddhismus, zu dem 95 Prozent der 60 Millionen Einwohner des Landes zählen, eine nationale Institution: "Der Buddhismus ist die Nationalreligion Thailands, auch wenn es so nicht in der Verfassung steht. Diese gewährt Religionsfreiheit für jedermann. Von einer Staatsreligion zu sprechen ist deshalb nicht korrekt", so Saeng, der in England und in den USA studierte.

Der moderne thailändische Staat versteht sich als Schutzherr des Dhamma ("Lehre des Buddha"). Er hat diese Funktion von den Thai-Königen geerbt. Die Herrscher unterstützten aktiv den Buddhismus, förderten den Sangha (die Mönchsorden) und wachten über die Disziplin in den Klöstern. Sangha-Reformen durch die Könige sind in Thailand an der Tagesordnung.

Im Dienst der Nation

In der jüngeren Geschichte wurde die einschneidendste durch Prinz Mongkut, den späteren Rama IV. (1851-68), durchgeführt. Er war selbst 27 Jahre Mönch gewesen, bevor er auf den Thron kam. Er gründete den Dhammayut-Orden, der einer strikten Observanz des vinaya (Mönchsregeln, die bereits im Pali-Kanon niedergelegt sind) folgt. Dhammayut und der nicht reformierte Mehrheitsorden der Mahanikaya unterscheiden sich allerdings nicht im Lehrsystem. Der Sangha wird seit den Tagen Mongkuts staatlicherseits beaufsichtigt.

Seit 1902 regeln Gesetze seine Verwaltung. Analog zur Staatsbürokratie zwängten die Könige die Mönchsorden in ein hierarchisches Korsett mit Rangordnungen, Titeln, Privilegien und Insignien. Sie überwachten in der Folge nicht nur die Disziplin, sondern auch die Inhalte der buddhistischen Lehre. Die Orden wurden auf die Ergebenheit zu Vaterland und Thron eingeschworen. Die Untertanen sollten durch eine Art "vaterländischen" Buddhismus (Rama VI. 1910-1925) diszipliniert werden. Der Buddhismus wurde in der Folge immer mehr in den Dienst nationalistischer Ziele gestellt. Im Jahre 1939 wurde den Mönchen befohlen, die Nationalflagge zu grüßen. Als sich Thailand 1941 mit Japan verbündete (das Thailand 1942 militärisch besetzte), betete der Sangha-Rat für den Sieg.

Der König wurde mit der Einführung der konstitutionellen Monarchie im Jahre 1932 (nach dem Vorbild der englischen Konstitution) zum Oberhaupt des Sangha, der Mönchsorden. Laut Konstitution hat der König Buddhist zu sein (im Übrigen trägt er den Titel "Hüter aller Religionen"). Er ernennt den Obersten Patriarchen, den Vorsitzenden des Sangha-Rates, des höchsten Entscheidungsgremiums der Mönchsorden, einer Art Ältestenrat. Für administrative, gesetzliche und disziplinäre Belange des Sangha ist das Department für Religiöse Angelegenheiten im Erziehungsministerium zuständig. Verordnungen, die den Sangha betreffen, werden von Beamten des Ministeriums konzipiert, dem Sangha-Rat zur Zustimmung vorgelegt und dann durch die Bürokratie umgesetzt.

Zwei Drittel Hallodris

Der Alltag der Mönche ist so nicht allein durch die vinaya (die Ordensregeln) geprägt, sondern auch durch die Sangha-Gesetze und die Bestimmungen des Erziehungsministeriums. Staatliche Autoritäten haben somit das Recht der Kontrolle und Intervention in Angelegenheiten des Sangha. In Anlehnung an den christlich-abendländischen Begriff der Staatskirche könnte man den Sangha als "Staatsorden" bezeichnen.

Die Öffentlichkeit beschäftigt in der Hauptsache der Niedergang der Mönchsdisziplin. Nur in 1.000 der 30.000 Klöster herrsche strenge Disziplin. Zwei Drittel der rund 300.000 Mönche (davon sind 30.000 Langzeit-Mönche) sollen es im Jahr sein, die Einladungen zum Dinner annehmen, Prostituierte anmieten, Vorlieben für das Nightlife haben, einen luxuriösen Lebensstil pflegen, in dubiose Geschäfte verwickelt sind ...

Die wachsende Zahl an Skandalen ließ bei der Bevölkerung das Gefühl hochkommen, dass weder der Sangha-Rat noch das Department für religiöse Angelegenheiten genug zum Schutz der Religion tun.

2001 wurde der Ruf nach einer Reform des Sangha-Gesetzes, das aus dem Jahre 1992 stammt, laut. Nach den Vorstellungen der Reform-Kommission im Erziehungsministerium sollten die Agenden des Sangha in Hinkunft von einem regierungsunabhängigen Komitee geregelt werden. In diesem sollten neben Buddhisten auch Muslime, Christen, Sikhs, Hindus sowie Vertreter von NGOs, Bildungseinrichtungen et cetera sitzen.

Der Gesetzesentwurf entfachte bei Vertretern buddhistischer Institutionen einen Sturm der Entrüstung. Sie fanden es nicht annehmbar, dass sie in Zukunft ihrer Meinung nach von "Laien und Angehörigen anderer Religionen regiert würden". Der Sangha-Rat selbst fürchtete um seinen Einfluss und plädierte in einem eigenen Entwurf für die Errichtung eines unabhängigen "Nationalen Büro des Buddhismus", das direkt dem Premierminister unterstellt werden sollte. Zur Festigung des Buddhismus als Thailands "Nationalreligion" sollten Buddhismuskurse in die Lehrpläne aufgenommen werden.

Um der Skandale, in die Mönche involviert sind, Herr zu werden, wurde die Errichtung eines neuen Komitees, das sich aus Klerikern zusammensetzt, vorgeschlagen. Gleichzeitig forderte der Sangha-Rat mehr staatliche Mittel und den Beschluss eines Gesetzes, das denjenigen unter Strafe stellt, der den Buddhismus, den Sangha-Rat oder die Mönchsorden kritisiert. Das veranlasste Sanitsuda Ekachai, den stellvertretenden Herausgeber der Bangkok Post, zur Feststellung, der Sangha wolle anstatt einer Reform der Öffentlichkeit Augen und Ohren zudrücken, wenn er eine einjährige Gefängnisstrafe und/ oder 20.000 Baht (458 Euro/6.300 Schilling) Strafe für jemanden fordere, der "Neuigkeiten verbreitet", die für die Religion "schädigend sind".

Die enge Verflechtung von Staat und Sangha in Thailand gerät zusehends unter Kritik. Enttäuschung wird bei denen laut, die in der Vorlage für ein neues Sangha-Gesetz Fortschritte in Richtung Reform erwarten. Fast scheint es, als solle die feudale, hierarchische Struktur der Sangha unangetastet bleiben - und damit die Abhängigkeit von den staatlichen Behörden. Das Management der öffentlichen Spenden und des Tempeleigentums wird als unprofessionell bezeichnet. Mit den vorhandenen finanziellen Ressourcen könne der Sangha seine Angelegenheiten ohne staatliche Hilfen führen. Der Sangha-Rat wird von vielen als wirkungslos, überaltert, patriarchalisch und als reformunwillig betrachtet. Eine Trennung von Religion und Staat, die eine Auflösung der Verknüpfung von religiöser und politischer Sphäre mit sich brächte, steht allerdings nicht zur Diskussion.

Soziales. Frauen. Dialog

"Es ist zu anstrengend und zu zeitaufwendig gegen das System anzukämpfen", so der amerikanische Waldmönch Santikaro Bhikku, Schüler, Dolmetscher und Übersetzer Ajahn Buddadashas, der weit über die Grenzen Thailands hinaus als radikaler Reformer des Theravada-Buddhismus gilt. "Du solltest die kurze Zeit, die dir zur Verfügung steht, schöpferischer verwenden!"

Nach zwei Jahrzehnten im "Garten der Befreiung" sieht Santikaro das soziale Engagement der Mönchsorden, die volle Ordination von Frauen und die interreligiöse Begegnung als Gebot der Stunde. Die gegenwärtige Krise "angesichts der Skandale des 20. und der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts" biete die Chance, dem Thai-Buddhismus neues Leben einzuhauchen.

Der Autor ist freier Journalist und Mitarbeiter der Kontaktstelle für Weltreligionen der Österreichischen Bischofskonferenz.

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