Reise zum Titicacasee

Werbung
Werbung
Werbung

Die Fischer des Titicacasees lieben es bunt. Lila, grün, weiß und rot sind die Segel ihrer kleinen Boote, die auf dem tiefblauen See vor sich hin dümpeln. Vor den weißen Gipfeln der Königskordillere wirkt diese Segelfarbenpracht wie für einen Hochglanz-Reiseprospekt gestellt.

Leider sind wir nicht mit einem dieser gemütlichen Segelboote unterwegs, sondern mit einem kleinen, lauten Motorboot. Unterwegs von dem zwei Busstunden nördlich der bolivianischen Hauptstadt La Paz gelegenen Fischerdorf Huatajáta zu zwei kleinen Inseln im südlichen Teil des Titicacasees. Etwa eine Stunde tuckert unsere kleine Reisegesellschaft über den See. Rosemarie, die bolivianische Führerin, zwei Australierinnen, ich und unser Bootsführer, ein alter Indio. Sein sonnengegerbtes Gesicht verschwindet fast unter der ausgebleichten Militärmütze mit aufklappbaren Ohrenklappen. Die Ruderstange bedient er am liebsten mit seinen nackten Füßen. Mit beeindruckender Geschicklichkeit steuert er so das Boot durch eine kleine Schneise im dichten, grünen Schilf, das die Insel Kalahúta umringt.

"Kalahúta" heißt in der Indiosprache Aymára "Steinhaus". Die Steinhäuser und -türme der Inkas aus dem 15. Jahrhundert sind auch die Hauptattraktion der Insel. Ein kurzer Fußweg durch duftende Kräuterwiesen, und vor uns ragen etwa zwei Dutzend fünf Meter hohe Türme aus groben Steinen auf. Grabbauten der adeligen Inka-Familien, erklärt uns Rosemarie. Das Obergeschoß war dem Familienoberhaupt vorbehalten, der Rest der Familie und Diener wurden im Untergeschoß bestattet. Man nimmt an, dass sie in einigen Fällen dem Oberhaupt freiwillig in den Tod nachgefolgt sind. In Embryostellung erwarten die Toten ihre Wiedergeburt im Jenseits. Beigaben wie Kleidung und Schmuck machten die Türme zu einem beliebten Ziel für Grabräuber. So mussten sich die Archäologen meist mit Alltagsutensilien, Kokablättern und mumifizierten Lamaembryos begnügen.

Kalahúta war schon lange vor den Inkas bewohnt. Vom 4. bis ins 12. Jahrhundert war die Stadt Tiwanaku am Südufer des Titicacasees das Zentrum eines riesigen Imperiums. Die Träger dieser geheimnisvollen und kaum erforschten Zivilisation, die genaue Kenntnisse über Astronomie, Medizin und Architektur hatten und geniale Ackerbaumethoden kannten, haben sich zuerst auf der Insel niedergelassen. Weit ziehen sich die in unendlicher Mühe angelegten Terrassen die Hänge hinauf und zeugen von dichter Besiedelung. Heute sind nur noch die untersten Terrassen bewirtschaftet. Die jungen Leute bleiben nicht mehr auf der Insel.

Auch auf Suriki, der nahegelegenen zweiten Insel, ist das nicht anders. Hier gibt es allerdings noch einen speziellen Grund dafür, dass einige junge Männer die Insel verlassen, zumindest zeitweilig. Sie sind die besten Schilfbootbauer der Welt. In einem kleinen Museum am Hafen dokumentieren eine Fotoausstellung und kleine Modellboote die Expeditionen, für die die Bootsbauer von Suriki Schilfboote gebaut haben. Der bekannteste Auftraggeber ist der Norweger Thor Heyerdahl. Mit dem Schilfboot Ra II segelte er 1970 von Marokko nach Barbados, um zu beweisen, dass Menschen mit diesen Booten von Nordafrika nach Amerika fahren konnten.

Legenden & Mythen

Bei der Rückkehr nach Huatajáta sind wir dann doch froh, nicht mit einem der Segelboote unterwegs zu sein, denn sonst hätten die herrlichen Lachsforellen noch länger auf uns warten müssen. Die Forellen des Titicacasees sind größer als alle, die mir bisher begegnet sind und ungeheuer schmackhaft. Als Beilage gibt es - wie sollte es anders sein - "papas", Kartoffeln. Schließlich sind wir hier in der Heimat der Kartoffeln. Nicht weniger als 200 verschiedene Sorten zählt man in Bolivien. Eine Tasse wohlschmeckender Tee aus Kokablättern, dann ist das Mittagessen und auch der gemeinsame Teil der Reise zu Ende. Rosemarie und die Australierinnen kehren nach La Paz zurück, und mir hilft ein kauziger alter Indio, einen der Kleinbusse zum Wallfahrtsort Copacabana anzuhalten.

Nur den phantastischen Ausblicken auf den See und die weißen Andengipfel ist es zu verdanken, dass mir die endlose Serpentinenschaukelei in positiver Erinnerung geblieben ist. Das Städtchen Copacabana liegt in einer lieblichen Bucht, zu der Terrassen wie eine Treppe für Riesen hinunter führen. Das weiche Licht der Nachmittagssonne taucht die große Kathedrale, die den Ort beherrscht, in leuchtendes Orange. Am Ortsrand ragt ein Kamelrückenhügel auf, zu dem ein Kreuzweg hinaufführt.

Es ist kurz vor Sonnenuntergang, und ich mache mich auf den Weg, um den Sonnenuntergang über dem See von dem Kalvarienberg aus genießen zu können. Auf einer Höhe von knapp 4000 Metern komme ich von Station zu Station immer mehr aus der Puste. Bis ich schließlich ganz außer Atem am Gipfel des Hügels angelangt bin, ist die Sonne weg. Der majestätische Blick über den höchstgelegenen schiffbaren See der Erde und die wohltuende Stille entschädigen aber dennoch für die Mühe.

Fest beim Pumafelsen

Viele Legenden und Mythen ranken sich um die Sonneninsel. Für die Inka-Priester war hier das spirituelle Zentrum der Welt. Der Schöpfergott der Inkas, Viracocha, soll hier Sonne und Mond und die Urbilder der Menschen erschaffen haben, von hier soll er zum Himmel aufgefahren sein. Und hier hinterließ er auch einen Abdruck im Fels.

Ein kultisches Zentrum war die Sonneninsel jedoch schon lange vor den Inkas. Davon zeugen die vielen Kultgeräte der Tiwanakuzeit, die in dem kleinen archäologischen Museum der Insel zu bewundern sind: Weihrauchgefäße in Pumaform, fein bemalte Keramiktrinkbecher und filigraner Goldschmuck. Das Ausflugsboot von Copacabana braucht zur Sonneninsel eineinhalb Stunden. Der Kapitän vom Volk der Aymara, wie er mit Stolz erzählt, lässt es sich nicht nehmen, seinen Passagieren noch die Hauptsehenswürdigkeiten selbst zu zeigen.

Und so bewundern wir den Felsen "Titicala", zu deutsch "Pumafelsen". Dieser rote Felsblock, in dem ich auch bei bestem Willen keinen Puma erblicken kann, ist das Hauptheiligtum der Insel. Noch heute, so der Kapitän, träfen sich dort zur Wintersonnenwende der Südhalbkugel, am 21. Juni, viele Aymára zu einem großen Fest. Bevor sich der Kapitän mit seinen Ausflugsgästen wieder auf den Rückweg nach Copacabana macht, lasse ich mir noch den Fußweg zum Südteil der Insel erklären.

Steinmäuerchen, über die Eidechsen huschen, Esel, Schweinepferche, kleine Steinhäuser und Gemüsegärten, Kakteen, Agaven, dazu der würzige Geruch nach Thymian und Rosmarin und schließlich der blaue See - wären da nicht die Indiofrauen mit ihren Bowlerhüten, weiten Röcken und farbenprächtigen Tragetüchern und die Schneegipfel der Anden am Horizont, man könnte glauben, am Mittelmeer zu sein. Die so fotogene, traditionelle Kleidung der Aymara- und Quechuafrauen ist übrigens ein Relikt der spanischen Kolonialherren. Am Ende des 18. Jahrhunderts schrieb Karl III. den indianischen Stämmen diese Kleidung vor, die, so heißt es, "das getreue Abbild der Landestrachten der Bäuerinnen der Estremadura, Andalusiens oder der Baskenlande war." Ein letzter Schluck aus der "fuente del Inca" - der Quelle des Inka, aus der selbst zur Trockenzeit das Wasser reichlich strömt, dann geht es mit dem Ausflugsboot wieder nach Copacabana.

Zum Abschluss meiner Reise zu den heiligen Stätten des Titicacasees statte ich noch der schwarzen Madonna, der Schutzpatronin Boliviens, einen Besuch ab, der die Marien-Basilika in Copacabana geweiht ist. Der Enkel des Inka Tupac Yupanqui hat die schwarze Jungfrau geschnitzt, die an Maria Lichtmess 1583 von Potosí nach Copacabana gebracht wurde. Bald haben sich viele Wunder ereignet. Am Anfang des 17. Jahrhunderts hat man dann die große Basilika gebaut, die noch heute den Ort beherrscht. Von weit her kommen die Indiofrauen, knien vor der schwarzen Madonna nieder und richten an sie voll Vertrauen ihre Gebete. Der Schriftsteller Eduardo Galeano schreibt über ihre Entstehung: "Indianer dürfen beim Heiligenmalen oder Schnitzen nur europäische Vorbilder nachahmen, und Francisco Tito Yupanqui wollte nicht gegen das Verbot verstoßen. Darum nahm er sich zwar vor, eine Madonna herzustellen, die der Jungfrau von Candelaria bis aufs Haar gleicht. Dann formten seine Hände aber doch diese Hochgebirgsgestalt mit ihren luftgierigen großen Lungen, ihrem starken Rumpf und ihren kurzen Beinen und diesem volllippigen, mandeläugigen breiten Indianergesicht, das traurig auf die geschundene Erde blickt."

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung