"Religion hat Recht auf Öffentlichkeit"

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Religionsfreiheit ist ein elementares Recht, meint der katholische Ökumeniker Wolfgang Thönissen. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Religionen - auch der Islam! - darauf verzichten müssen, ihren Wahrheitsanspruch öffentlich darzulegen. Religion darf auch im modernen säkularen Staat nicht ins Private zurückgedrängt werden.

Die Furche: Herr Professor Thönissen, das Schlagwort von der Rückkehr der Religion in den öffentlichen Raum geistert herum. Es wird dabei nicht zuletzt der Islam angeführt und argumentiert, dass dies gefährlich sei.

Wolfgang Thönissen: Ich denke nicht, dass religiöse Phänomene an sich gefährlich sind. Das sind Phänomene, die in den westlichen Gesellschaften kommen und gehen. Verschärft wird es in der Tat durch die Vielzahl bekennender Muslime in unseren Gesellschaften. Das Aufkommen oder das Öffentlichmachen des Religiösen ist nicht das Problem. Dieses besteht darin, dass es auch für politische Zwecke benutzt wird. Dann ist schnell der Gedanke da, das Aufkommen des Religiösen sei Ausdruck für die Radikalisierung der Gesellschaft.

Die Furche: Stimmt es überhaupt, dass das Religiöse wieder aufkommt?

Thönissen: Da muss man sehr vorsichtig sein. Was heißt "das Religiöse"? Es gibt auch das religiöse Design, die religiöse Ästhetik: Durch die Werbung und viele andere Elemente erscheinen Phänomene als religiös - das ist für mich aber noch keine Rückkehr des Religiösen, das sind religiöse Versatzstücke, die benutzt werden, weil es chic ist. Ich will aber nicht leugnen, dass viele Menschen damit ihrer religiösen Überzeugung Ausdruck verleihen. Was wir das Religiöse nennen, ist die spirituelle Kraft die sich im Kult, in den Gebetsräumen, in religiösen Gebräuchen widerspiegelt - etwa Wallfahrten. Da sind religiöse Phänomene erkennbar.

Die Furche: Viele meinen, der säkulare Staat solle die Religion ins Private zurückdrängen - damit die Religionen, die Menschen friedlich zusammenleben.

Thönissen: Das ist falsch. Der Ökumenische Rat der Kirchen bereits in den 50er Jahren und das II. Vatikanische Konzil dann zehn Jahre später haben das Recht auf religiöse Freiheit in ihrer säkularen Wirkung sehr genau verstanden und respektiert. Gleichzeitig haben die Kirchen klug darauf geachtet, dass die Anerkennung des Rechtes auf religiöse Freiheit für sie selbst nicht bedeutet, dass sie darauf verzichten müssten, ihren Wahrheitsanspruch in der Öffentlichkeit zu erheben.

Die Furche: Sehen Sie in Europa die Tendenz, dieses öffentliche Recht der Religion zu bestreiten?

Thönissen: Das sehe ich ganz deutlich: Sobald religiös angemutete Konflikte auftauchen, gehen unsere demokratischen Staaten und auch die Parteien, die den Auftrag haben, Regierungen zu stellen, hin und suchen, die - wie sie meinen - dahinter stehenden Konflikte möglichst zurückzudrängen, indem sie den Religionen - vor allem dem Islam - den Anspruch verbieten, sich öffentlich zu äußern. Das halte ich mit einem Grundrecht auf Religionsfreiheit für nicht vereinbar. In Deutschland zeigt das der Kopftuchstreit: Wenn eine christliche Nonne ihre Tracht in einer christlichen Schule trägt, regt sich niemand auf. Bei einer Muslimin wird gesagt, das sei einerseits Ausdruck der Unterdrückung der Frau und gleichzeitig werde damit eine fundamentalistische islamische Grundüberzeugung zur Schau getragen. Das muss beides nicht der Fall sein. Dass aber eine Muslimin innerhalb des öffentlichen Raumes ihre Grundüberzeugung zeigt, wird von vielen nicht akzeptiert.

Die Furche: Und weil man nicht will, dass Musliminnen das tun, fordern manche gar, auch einer Nonne zu verwehren, ihre Tracht in der Öffentlichkeit zu tragen.

Thönissen: In diesem Punkt überschreitet der Staat seine Kompetenz. Der Staat ist wertneutral, aber diese Wertneutralität bedeutet nicht, dass er damit zugleich den Wahrheitsanspruch der Religionen zurückdrängen darf.

Die Furche: In Österreich läuft diese Debatte zur Zeit um den Bau von Moscheen: Ein Teil der Politik und auch der katholischen Kirche versuchen zu verhindern, dass Moscheen mit Minaretten gebaut werden. Das ist also eine Verletzung der Religionsfreiheit.

Thönissen: Ja. Religionsfreiheit bedeutet: Alle Religionen haben das Recht, ihre Kirchen zu bauen und zugleich öffentlich einzuladen und Mission zu treiben. Das gilt auch für den Islam.

Die Furche: Es wäre also o.k., wenn neben dem Kölner Dom eine Moschee steht und dort der Muezzin ruft?

Thönissen: Prinzipiell gebe ich Ihnen Recht. Wenn eine solche Entscheidung ansteht, dann ist sie nach unserem Grundgesetz so zu treffen. Das andere ist die historische Perspektive, in der die christlichen Kirchen in Europa das Städtebild bestimmen: der Marktplatz mit der Kirche, dem Rathaus … Der Umgang damit ist eine Herausforderung für die abendländische Gesellschaft. Das Ansinnen, eine Moschee nicht unbedingt in der historischen Innenstadt zu bauen, kann ich verstehen - es ändert aber am prinzipiellen Recht nichts.

Die Furche: Sie sehen die Religionsfreiheit auch für die Kirche in ihrem Wahrheitsanspruch als notwendig an.

Thönissen: Das hat ja auch das II. Vatikanum in der Erklärung zur Religionsfreiheit "Dignitatis Humanae" getan. Diese weist auf eine zweifache Begründung der Religionsfreiheit hin. Zum einen wird dort das Recht auf Religionsfreiheit auf die Würde der menschlichen Person zurückgeführt, zum zweiten, dass diese Würde der menschlichen Person im Licht der Offenbarung gelesen wird. Das Recht auf Religionsfreiheit ist ja, historisch betrachtet, gegen die Kirche entwickelt worden. Heute muss man aber sagen: Die Art und Weise der Mission, wie sie über 1000 Jahre in Mitteleuropa betrieben wurde, ist ans Ende gekommen. Das, was wir als "Konstantinisches Zeitalter" benennen, ist zu Ende.

Die Furche: Auf einem Gebiet leben eben nicht nur Christen, sondern auch Nichtchristen und Agnostiker, und die sollen in Frieden miteinander leben.

Thönissen: Wenn ich diesen Frieden unter den Menschen will, dann muss ich das auch theologisch anerkennen. Das sind zwei Perspektiven, die komplementär gelesen werden. Das heißt also, der Wahrheitsanspruch, der so ausgedrückt werden kann, dass der Mensch zur Gemeinschaft mit Gott berufen ist, hat zugleich auch eine säkulare Außenseite. Das bedeutet dann, dass die religiöse Wahrheit sich nur auf dem Weg der Freiheit verbreiten kann. Das ist durch das II. Vatikanische Konzil wieder neu ins Bewusstsein gerufen worden: Der Glaube ist ein freiheitlicher Akt ist. Das gilt für die Kirche genauso wie für den einzelnen Gläubigen.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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