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Kontroverse um "Megatrend Spiritualität": Wiens Katholisch-Theologische Fakultät setzt sich damit auseinander (furche 38). Der evangelische Theologe ulrich h. j. körtner hält dagegen.

Glaubt man gewissen Religionssoziologen und Pastoraltheologen, dann liegt Religion voll im Trend unserer Zeit. Im Jargon moderner Trendforscher sprechen sie gar von einem "Megatrend Religion" bzw. einem "Megatrend Spiritualität". Die These von der Säkularisierung Europas scheint passé. Einziger Wermutstropfen: Von der Hausse am Markt der neuen Religiosität konnten die Kirchen bislang nicht recht profitieren. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten an Boden verloren. Die Mitgliederzahlen der großen Konfessionen sind rückläufig und die Bindung der verbliebenen Kirchenmitglieder hat sich teilweise bedrohlich gelockert. Darunter hat auch der konfessionelle Religionsunterricht an den Schulen zu leiden.

Die Botschaft der Trendforscher ist klar: Die Kirchen und auch der Religionsunterricht dürfen den Anschluss an den Megatrend Spiritualität nicht verpassen. Am besten wäre es natürlich, man könnte sich selbst als Trendsetter neu positionieren. Aber das ist leichter gesagt als getan. Der Verdacht, dass die Kirche unter dem Label "Spiritualität" nur alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen will, ist beim neureligiösen Publikum groß.

Alles Leben ist "religioid"

Um in der Sprache der Ökonomie zu bleiben: Das Geschäft einer kritischen Theologie besteht zunächst einmal in einer soliden Marktanalyse. Erfahrene Analysten aber lassen sich von der Euphorie, welche die neue Spiritualität erzeugt, nicht so leicht anstecken. Es stimmt zwar, dass der göttliche Geist weht, wo er will. Aber der Wind, den die neue Spiritualität macht, ist zum Teil von den Trendforschern selbst erzeugte heiße Luft. So wie die New Economy könnte auch der Megatrend Religion schon bald wie eine Blase zerplatzen. In beiden Fällen werden nämlich bis zu einem gewissen Grad virtuelle Welten erzeugt.

In der Religionsforschung spielt die Semantik eine zentrale Rolle. Was genau Religion ist, weiß niemand so recht zu sagen. Religionswissenschaft und Theologie haben unterschiedliche Definitionen parat, die sich nicht auf einen Nenner bringen lassen. So kann der Eindruck entstehen, Religion sei das, was von interessierter Seite zur Religion erklärt wird. Dazu zählen dann auch Phänomene oder Verhaltensweisen, die von den Betroffenen selbst gar nicht als religiös empfunden werden. Religionsforscher aber behaupten, diese Menschen besser zu verstehen, als sie sich selbst.

Auf diese Weise bringen es manche Religionssoziologen sogar fertig, eine früher unbekannte "unsichtbare Religion" (Thomas Luckmann) zu ihrem Forschungsgegenstand zu erklären. Für das Unsichtbare waren früher Theologie und Metaphysik zuständig, dann die moderne Physik und heute offenbar die Religionssoziologie. In die Blackbox einer unsichtbaren Religion kann man im Zweifelsfall alles und jedes hineinprojizieren. Man braucht dafür nur die neue Wortschöpfung "religioid", und schon sind je nach Belieben auch Museumsausstellungen, Marathonläufe und Massentourismus oder Fußballleidenschaft und Popkultur Erscheinungsformen des neureligiösen Megatrends.

Auch abgesehen von den Theorieproblemen, mit denen jede Religionstheorie zu kämpfen hat, stellt sich die Frage, wie gut die Kirchen beraten sind, wenn sie auf den vermeintlichen Megatrend setzen, um verlorenes Terrain zurückzuerobern. Christlicher Glaube unterscheidet sich von allen sonstigen Formen von Religion durch das Bekenntnis zu Jesus Christus als Heilsbringer. Dieses Bekenntnis aber schließt den Glauben an den von Jesus verkündigten Gott ein, der wiederum der Gott Israels ist.

Die neue Religiosität dagegen ist weithin eine Religion ohne Gott. Sie rechnet mit kosmischen Energien und Kraftfeldern, die man spirituell anzapfen kann, nicht aber mit einem personhaften Gott, der den Menschen als verantwortliches Gegenüber geschaffen hat. Wichtige Strömungen, die als neue Religiosität bezeichnet werden, laufen auf einen Pantheismus oder Monismus hinaus, der kein Gegenüber von Gott und Welt, Schöpfer und Schöpfung kennt, sondern nur ein kosmisches Einheitsprinzip. Umfragen zeigen, dass auch unter Kirchenmitgliedern solche neureligiösen Vorstellungen anzutreffen sind, während man dem Glauben an einen personhaften Gott mit wachsendem Unverständnis begegnet.

Megatrend Gottvergessenheit

Gleichzeitig wird die neue Religiosität durch einen massenhaften Gewohnheitsatheismus relativiert, der mit dem kirchlich repräsentierten Christentum jede Religion überhaupt verabschiedet. Dieser lebt ganz selbstverständlich ohne Gott und hat dabei nicht das Gefühl, irgendetwas zu vermissen. Nicht, dass der Gewohnheitsatheismus keine Sinnfragen kennen würde. Aber mit dem Tod und anderen Sinnwidrigkeiten kann man offenbar auch ohne Gott fertigwerden, wie schon der evangelische Dietrich Bonhoeffer in den vierziger Jahren hellsichtig vorausgesagt hat.

Über den damit verbundenen Traditionsabbruch kann auch die Renaissance des Religiösen nicht hinwegtäuschen. Sofern nicht alles und jedes für "religioid" erklärt wird, kann man statt von einem Megatrend Religion mit gleichem Recht von einem Megatrend Gottvergessenheit sprechen.

Theologie und christliche Religionspädagogik können darum nicht mehr selbstverständlich davon ausgehen, dass der biblische Gott zumindest im Modus einer offenen und offengehaltenen Frage präsent ist. Aus der Überzeugung, bessere Antworten auf die falsch gestellten Fragen des Christentums gefunden zu haben, speist sich das Selbstbewusstsein der Neuzeit. Nicht nur die christliche Antwort auf die Gottesfrage, sondern sogar diese selbst scheint in Vergessenheit zu geraten. Diese "Gotteskrise" (Johann Bapist Metz) wird durch ein schwammiges Gerede von Religion nur vernebelt, aber nicht behoben.

Nicht selten werden in der religionstheologischen Diskussion die Begriffe "Religion", "Transzendenz" und "Gott" vermengt. Dabei bleibt unklar, ob die Unvermeidbarkeit von Religion behauptet und aus ihr die Unvermeidbarkeit des menschlichen Gottesbezuges, oder ob aus der vom christlichen Glauben behaupteten Unvermeidbarkeit Gottes - jedenfalls für gebildete Menschen - die Unvermeidbarkeit von Religion abgeleitet werden soll. Weder das eine noch das andere trifft zu. Davon abgesehen darf die vom Glauben behauptete Unvermeidbarkeit Gottes nicht mit der Unvermeidbarkeit der Frage nach Gott verwechselt werden.

Misslungene Gottesrede

Unter neuzeitlichen Bedingungen hängt die Möglichkeit, von Gott zu reden, offensichtlich nicht von einer wie auch immer gearteten Frage nach Gott ab, sondern an der Erinnerungsspur der biblisch bezeugten Gottesoffenbarung, so gewiss es keinen natürlichen oder evolutionären Weg von einem allgemeinen Religionsbegriff zum Geltungs- und Wahrheitsanspruch jedes wirklichen Monotheismus gibt. Ludwig Wittgensteins philosophische Feststellung trifft auch auf den biblisch bezeugten Gott zu: "Zu einer Antwort, die man nicht aussprechen kann, kann man auch die Frage nicht aussprechen." Die Gottesfrage liegt der Offenbarung nicht voraus, sondern wird allererst durch sie in der angemessenen Weise provoziert. Andernfalls lässt sich nicht einmal die Frage nach Gott angemessen stellen.

Menschliche Rede von Gott, die seine Offenbarung bezeugen möchte, kann freilich misslingen. Aus dem Misslingen des Gotteswortes entsteht eigentlich erst die Frage nach Gott; so der evangelische Theologe Ernst Fuchs (1903-83). Es ist solches Misslingen, dass Theologie und Kirche beunruhigen muss. Denn das erschüttert beide bis ins Mark. Verglichen mit dieser fundamentalen Gotteskrise bleibt die Debatte um den Megatrend Religion ein Oberflächenphänomen.

Der Autor ist Professor für Systematische Theologie H.B. an der Evang.-Theol. Fakultät in Wien.

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