Fußball - © Foto: Pixabay

Religion und Fußball: Ein weites Feld

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Fans pilgern ins Stadion und stimmen Choräle an; auf dem heiligen Rasen geht es heiß her; in der Pause setzt es eine Kabinenpredigt, auf dass ein Wunder geschehe: Sage noch einer, Fußball habe nichts mit Religion zu tun...

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Fans pilgern ins Stadion und stimmen Choräle an; auf dem heiligen Rasen geht es heiß her; in der Pause setzt es eine Kabinenpredigt, auf dass ein Wunder geschehe: Sage noch einer, Fußball habe nichts mit Religion zu tun...

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Nun ist sie also voll im Gang, die 17. Fußballweltmeisterschaft. 32 Länder kämpfen um einen 36 Zentimeter hohen und fünf Kilo schweren Pokal aus 18-karätigem Gold. Und natürlich um viel Ehre und viel Geld. Die Fußballweltmeisterschaft ist das größte Medienereignis, das die Welt je gesehen hat. Milliarden Fußballfans auf der ganzen Welt verfolgen die Spiele per Television oder im Internet. Allein die feierliche Eröffnung der WM haben mehr als eine halbe Milliarde Menschen im Fernsehen gesehen.

Was im 19. Jahrhundert in England als exklusive bürgerliche Freizeitbeschäftigung einiger weniger begonnen hatte, ist längst zu einem weltumspannenden Medienspektakel geworden. Bei Fernseh- und Internetrechten geht es um Milliarden Dollar. Einer neuen Studie zufolge werden weltweit 200 Milliarden Dollar pro Jahr mit dem Fußball umgesetzt. Fußball ist ein knallharter Wirtschaftsfaktor. Dennoch sind im Fußballsport archaische und religiöse Strukturen nach wie vor wesentliche Bestandteile.

Der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner sieht gerade im Bereich der Rituale zahlreiche Parallelen zwischen Fußball und Religion: "Wenn man von Leuten hören kann, meine Religion ist Rapid, dann kann man zunächst lächeln über so einen solchen Satz. Aber er gewinnt Tiefe und Bedeutung, wenn man ansieht, welche Relevanz das Dazugehören zu dieser Rapid-Glaubensgemeinschaft und dem, was sie rituell inszeniert, hat. Ich glaube schon, dass die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft eines Fußballklubs in der Individualität eines Menschen das Herzstück seiner Identität sein kann. Und diese Personen werden das dann auch sakramental darstellen'. Sie werden mit einer hohen Regelmäßigkeit in den Gottesdienst gehen, sie werden darunter leiden, wenn es der eigenen Glaubensgemeinschaft schlecht geht. Und wenn sich bei einem Menschen der traditionell religiöse Lebenserfahrungsbereich zurückgebildet hat, dann kann es schon sein, dass für ihn das Überwichtige an die Stelle der Religion tritt."

Implizite Religiosität

In der Sprache, in den Symbolen und Ritualen kann man in Fußballstadien schon etwas Göttliches, etwas Religiöses entdecken. Massen von Fußballfans pilgern Woche für Woche zu Fußballspielen, unternehmen sozusagen Wallfahrten. Auf den mitgebrachten Transparenten sind auch Aufschriften wie "Fußball ist Religion" zu lesen. In den Stadien werden weihevolle Gesänge und Choräle angestimmt. Es ist vom heiligen Rasen die Rede, von Kabinenpredigten. Auf ein Fußballwunder kann man ja immer hoffen.

Und immer mehr Spieler versichern sich Gottes Hilfe, wenn sie einem Milliardenpublikum am heiligen Rasen ihre Kunststücke vorführen. Das Kreuzzeichen nach einem Torerfolg oder bei Einwechslung des Spielers soll die Verbindung zu Gott intensivieren. Es war nicht Diego Maradona, der ein ganz berühmtes Tor mit der Hand erzielt hat, nein, es war die Hand Gottes, die dabei im Spiel war ... Religion und Fußball ist ein weites Feld.

Was ist nun das Religiöse am Fußball? Hans Gerald Hödl vom Institut für Religionswissenschaft an der Universität Wien spricht im Zusammenhang von Fußball und Religion von "impliziter Religiosität", wenn es darum geht, Phänomene zu beschreiben, die man nicht innerhalb dessen, was man traditionellerweise als Religion bezeichnet, ansiedelt, die man aber dennoch als religiös bezeichnen müsste. Begriffe wie Säkularisierung oder Religionsersatz werden in der neueren religionswissenschaftlichen Literatur häufig durch "implizite Religiosität" ersetzt.

Hödl sieht eine Reihe an Merkmalen am Fußballsport als Indizien für implizite Religiosität. Etwa die Dimension der Transzendenz. Das Fußballspiel ist der Alltagswelt enthoben und findet in einem eigenen, quasi sakralen Rahmen statt. "Ein anderer Punkt ist die Ritualisierung. Es ist ganz offensichtlich ein ritueller Ablauf, der dazu dient, ein Gruppenbewusstsein zu stärken." Das rituelle Gemeinschaftserlebnis ist ein wesentlicher Bestandteil der Religion und des ganzheitlichen Fußballerlebnisses.

Kommunion der Masse

Der Stadionbesuch ist eine ritualisierte Inszenierung mit Volksfestcharakter. So der Wiener Germanist Wendelin Schmidt-Dengler, bekennender Rapid-Anhänger und regelmäßiger Rapidplatz-Besucher: "Das Stadion, das ist so, wie wenn man in eine Kirche kommt, nur etwas lauter und bunter. Ich bin überzeugt, dass Fußball für viele eine Art Religion ist. Die Kommunion der Masse, die an die Menge ausgeteilt wird, diese Heilserwartung, die man verbindet, wenn einer ein Tor schießt. Denken Sie an solche Formulierungen wie: Er erlöste die Mannschaft durch den siegbringenden Treffer.' Das sind Bilder, die aus einer religiösen Sphäre kommen."

Dieses Gemeinschaftserlebnis Fußball findet in einer eigenen abgeschlossenen, inszenierten Welt statt. Das Stadion ist gleichsam der Dom der eigenen Glaubensgemeinschaft, so Pastoraltheologe Zulehner: "Das Fußballfeld wäre dann der Altarraum, und die Tribünen wären der Raum für das fußballerische Kirchenvolk. Der Altarraum ist genau abgezirkelt, wer da hinein geht, betritt einen heiligen Boden. Hier gibt es klare rituelle Grenzziehungen zwischen dem aktiven Teil der Fußballkirche und dem passiven Volksteil der Fußballkirche. Es wird genau unterschieden zwischen dem Klerus und den Laien im Stadion. Und dann brauchen alle diese Räume eine spezielle Inszenierung. Hier gibt es viele Parallelen zum Gottesdienst." Hymnen und Choräle prägen die Fußballstadien. Das gemeinsame Singen ist aus den Stadien nicht mehr wegzudenken. "You never walk alone" ist die wohl berühmteste Hymne der Fußballfans. Ein Bekenntnis zur eigenen Glaubensgemeinschaft und ein Schwur, diese nie im Stich zu lassen. Auch nicht in schlechten Zeiten.

Moderne Volksreligion

Der Starkult, eine Art Heiligenverehrung, ist ein bedeutender Bestandteil des Fußballgeschäfts. Und die Spielergagen und Ablösen sind in kaum mehr greifbare Dimensionen gestiegen. Real Madrid hat etwa für den französischen Nationalspieler Zinedine Zidane 77 Millionen Euro Ablöse gezahlt. Paul M. Zulehner sieht im Umgang mit Stars ein latentes religiöses Bedürfnis der Massen, eine Art moderner Volksreligiosität: "Was sich da an kulturellen Äußerungen darstellt, die Fanpost oder dass man den Spieler treffen kann, dass er einen Autogramm gibt, dieses gebetsartige fürbittende Wechselspiel, ich glaube schon, dass hier sehr viele religiöse Bedürfnisse latenter Art mit im Spiel sind. Je archaischer diese Verhältnisse gestaltet werden, desto mehr haben sie die Chance, religiös aufgeladen zu sein."

Unterschriften oder Trikots von Spielern werden häufig wie Reliquien behandelt, die hohen Verehrungswert genießen und vielfach insgeheim auch mit magischen Kräften in Zusammenhang gebracht werden. Archaische Vorgänge, wie mit den "Heiligen des Fußballs" umgegangen wird. Rund um den Fußball hat sich ein riesiger "Devotionalienhandel" entwickelt. Merchandising ist neben den Sponsorgeldern und den Geldern für Fernsehübertragungen die wichtigste Einnahmequelle der Fußballvereine. Fanartikel, von Bett- und Unterwäsche über Kaffeehäferl und Aschenbecher, Fahnen und Schals, bis hin zu Vereinsdressen, erfreuen sich bei wahren Fans höchster Beliebtheit.

Jesus beim Fußball

Immer öfter aber tragen erfolgreiche Fußballspieler auch ihren Glauben öffentlich zur Schau. Besonders in der deutschen Bundesliga ist es eine Art Mode geworden, dass Spieler einen Torerfolg Gott oder Jesus widmen. Ein Trend, den Bundesligaprofis aus Südamerika nach Europa gebracht haben. "Jesus liebt Dich", "Gott ist treu", "Jesus rettet" oder "Soccer is not my life, Jesus is" ist auf Leibchen und Transparenten zu lesen, die nach Torerfolgen medienwirksam in die Fernsehkameras gehalten werden.

Das Schlagen des Kreuzzeichens, das Küssen des Rasens oder der flehende Blick gegen den Himmel. Ob derartige Botschaften bei der Weltmeisterschaft den Fußballgott gnädig stimmen, bleibt abzuwarten. Jedenfalls zieht das göttliche Spiel am heiligen Rasen ein Milliardenpublikum in seinen Bann. Und Ende Juni werden wir wissen, wem der Fußballgott besonders gesonnen war.

Der Autor ist Religionsjournalist beim ORF-Hörfunk.

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