Religion und Staat in den USA: Unkonventionelle Partner
Die US-amerikanische Weise des Umgangs des Staates mit der Religion kann auch für Europa als alternatives Konzept zur Trennung von Kirche und Staat herhalten.
Die US-amerikanische Weise des Umgangs des Staates mit der Religion kann auch für Europa als alternatives Konzept zur Trennung von Kirche und Staat herhalten.
Als der französische Historiker Alexis de Tocqueville 1831/32 seine berühmte Amerika-Reise unternahm, traute er seinen Augen nicht: Kirche und Staat erschienen als Teile einer „völlig vom französischen Modell unterschiedenen“ Realität. Der spätere Politiker und Staatsmann war in eine für ihn gänzlich neue Welt eingetreten, in der eine „Trennung“ von Religion und politischer Nation gelebt wurde, die er mit seiner Erfahrung des Pariser Republikanismus nur schwer vereinbaren konnte.
Nicht nur die Forderung einer massiven öffentlichen Zurückdrängung des Kirchlichen, eines laizistischen und in Teilen schier religionsfeindlichen Säkularismus schien er in den USA wahrzunehmen. Vielmehr, so Tocqueville selbst, „marschierten der Geist von Freiheit und jener der Religion in ein und dieselbe Richtung“. Diese Beobachtung hinterließ Spuren in seinem Denken – und wurde zu einer wichtigen Inspiration seines Werkes „Über die Demokratie in Amerika“, in dem Tocqueville das Funktionieren, aber auch die Grenzen des US-Politsystems analysierte. Das US-Modell zwischen Kirche und Staat könnte auf eine Kurzformel zusammengefasst werden: Zwischen den beiden in Europa zunehmend entfremdeten und verfeindeten Größen gebe es in Amerika eine eigenartige Symbiose, eine Koexistenz zwischen Religion und Politik, von der beide Seiten letztlich profitierten.
Koexistente Symbiose
In der amerikanischen Religions- und Politikwissenschaft des 20. Jahrhunderts wurden die Gedanken von Tocqueville in einer innovativen Form aufgenommen: Als zahlreiche Soziologen noch bis in die 1980er die These des „religiösen Amerika“ im Gegensatz zum „säkularen Europa“ (etwa Peter L. Berger) vertraten, rangen andere Wissenschafter um ein differenzierteres Bild, wenn sie auf das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in der Neuen Welt zu sprechen kamen. Einer der Vorreiter jener Gruppe, die die These der „koexistenten Symbiose“ aufgreifen und in eine komplexere religionspolitische Theorie überführen wollte, war Robert B. Fowler. In seinem Werk „Unconventional Partners“ (1989) knüpfte Fowler an diese Beobachtungen Tocquevilles an, um die Besonderheit der US-Gesellschaft herauszuarbeiten.
Für Fowler bestand die Faszination in der US-Religionspolitik weniger in einem durchdachten Plan zur „grenzübergreifenden Partnerschaft“ zwischen Kirche und Staat. Die Koexistenz der beiden Größen in der politischen Gesellschaft ließe sich vielmehr auf die geschichtlichen Umstände des amerikanischen „Staatsexperiments“ zurückführen: Dadurch, dass die USA als loser Staatenbund auf einer Vielzahl unterschiedlicher Kulturen und Konfessionen aufbauten, die anfangs nur von der gemeinsamen Idee der Lossagung von europäischen Kolonialstaaten getragen war, rückte die Religiosität in den Hintergrund der politischen Bestrebungen.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!