Religionen im UN-Hauptquartier

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Auch die Vereinten Nationen entdecken die Religionen als Partner: Am New Yorker UNO-Sitz fand der erste Religionsgipfel statt.

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Auch die Vereinten Nationen entdecken die Religionen als Partner: Am New Yorker UNO-Sitz fand der erste Religionsgipfel statt.

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Über tausend Religionsvertreter versammelten sich vergangene Woche auf Einladung der UNO in New York zum "Millennium World Peace Summit of Religious and Spiritual Leaders". Die UNO leitet mit dieser Veranstaltung eine neue Phase ihrer Politik ein: Religiöse Führer sollen aktiv in Friedens- und Konfliktlösungsprozesse eingebunden werden. Was bisher bereits auf lokaler Ebene funktionierte - dass Religionsvertreter Konflikte beruhigen, indem sie zu Frieden und Versöhnung aufrufen - soll in Zukunft von der UNO ausgehend mit den höchsten Stellen der jeweiligen Religion akkordiert werden.

Interreligiöse Großveranstaltungen von dieser Dimension hatte es in den letzten Jahren bereits einige gegeben: das Weltfriedensgebet in Assisi 1986, das Weltparlament der Religionen in Chicago 1993 oder das Treffen der Weltreligionen in Kapstadt letztes Jahr. Neu ist nun, dass erstmals die UNO ein solches interreligiöses Gespräch veranstaltet. Sie hat die Religionen als wichtiges friedenstiftendes Potential erkannt und will diese künftig in Konfliktlösungsprozessen nutzen. Immerhin gehören 83 Prozent der Menschheit einer Religion an.

Ab Montag nachmittag bot das UNO-Hauptquartier in New York ein beeindruckendes Bild. Indianerhäuptlinge in prächtigem Federschmuck, indische Swamis in orangen Gewändern, Sikhs mit königlichen Turbanen und rauschenden Bärten, japanische Zenmeister in ihren zeremoniellen Roben, orthodoxe Bischöfe in schwarzem Talar, Sufimeister in ihrem Wollkleid, Saamen aus Lappland in rot-gelb-blauer Tracht, Scheichs mit Kopftuch, Jains mit Mundschutz und viele weitere "exotische" Gestalten - sie alle füllten die große Versammlungshalle in einer nie zuvor dagewesenen Art und Weise.

Den Auftakt bildeten Gebete und rituelle Gesänge aus den einzelnen Religionen. Es war ein erhebender Moment, als - angefeuert durch die enthusiastischen Worte eines afroamerikanischen Reverends - das gesamte Auditorium ein gemeinsames "Amen, Amen" anstimmte. Und das unter dem goldenen UNO-Emblem, das am Kopf der Halle prangte.

Noch ein gemeinsames Element bestimmte von Anfang an die Versammlung: das Gedenken an die Abwesenheit des Dalai Lamas. Dieser war aufgrund des Druckes des UN-Sicherheitsratmitgliedes China nicht eingeladen worden. Doch 10.000 Protestbriefe aus aller Welt sowie Demonstrationen vor dem UNO-Gebäude ließen die Veranstalter nach einem Kompromiss suchen. Dem Dalai Lama wurde zuerst angeboten, nach Ende der Konferenz zu sprechen, dann an den letzten beiden Tagen teilzunehmen. Dies lehnte das religiöse Oberhaupt des tibetischen Buddhismus als "unseriös" ab.

Doch er sandte eine tibetische Delegation mit einer Grußbotschaft. Diese wurde von der Versammlung mit Standing ovations begrüßt, während die Chinesen protestierend den Saal verließen. Der Religionsgipfel wurde so zum eindrucksvollen Symbol der weltweiten Solidarität mit Tibet und dem Dalai Lama, der auch die Hauptnachrichten im internationalen Nachrichtensender CNN dominierte.

Ansprachen & Dialog Während die ersten beiden Konferenztage mit Gebeten und Ansprachen im UNO-Gebäude stattfanden, wurde der Dialog in Gesprächskreisen und Arbeitsgruppen im Waldorf Astoria-Hotel fortgesetzt. Dabei erwies sich das Programm als völlig überfrachtet. Die Ansprachen dauerten bis spät in die Nacht, das Publikum ermüdete zusehends. Jonathan Sacks, Oberrabbiner von England, formulierte es pointiert: "Es wurde bereits alles zum Thema gesagt, aber noch nicht alle haben es gesagt." Bei einem Pressegespräch betonte er - was auch von anderen Teilnehmern immer wieder zu hören war - den historischen Moment dieses Gipfeltreffens: "Wir haben viele Jahrhunderte an Kriegen hinter uns, von den Kreuzzügen bis zu den zwei Weltkriegen. Heute kommen erstmals in der Geschichte Vertreter aller Religionen im Rahmen der UNO, die den Weltfrieden anstrebt, zusammen und sprechen Worte des Friedens, der Toleranz und der Liebe. Das ist eine Wasserscheide, hinter die wir in Zukunft nicht mehr zurück können."

Viele Ansprachen waren bewegend und riefen tosenden Applaus hervor. Doch es gab auch konkrete Fortschritte im interreligiösen Dialog, die berührten. Auf Anregung von Pater Maximilian Mizzi, der in Assisi das Franziskanische Zentrum für den Dialog leitet, kamen christliche Priester aus Indien mit Vertretern bestimmter, rechtslastiger Hindu-Gruppen zusammen, um über die Ubergriffe auf Christen in Indien zu sprechen. Das Ergebnis: die Hindu-Führer entschuldigten sich, während die Christen klarstellten, dass sie karitative Hilfe und Ausbildungsprojekte nicht um der Bekehrung von Hindus wegen betrieben. Die spontan entstandene Dialoggruppe bereitete - unter der Mithilfe eines jüdischen Rabbiners - eine kurze Deklaration vor, die in der Schlussrunde des Summits verlesen wurde. Ein anderes Beispiel, das die Teilnehmer bewegte: bei der morgendlichen Meditation betete der Patriarch von Äthiopien gemeinsam mit dem Patriarchen von Eritrea für den Frieden in ihren verfeindeten und durch Krieg zerstörten Ländern.

Neuer UNO-Beirat Der Höhepunkt des Gipfels bestand in der gemeinsamen Unterzeichnung einer Deklaration, einer Verpflichtung, für den Frieden in der Welt zu arbeiten, bewaffnete Konflikte zu befrieden, Armut und Umweltzerstörung zu beseitigen und eine friedliche und tolerante Gesellschaft aufzubauen. Zum Abbau der nuklearen Waffen wurde darin ebenso aufgerufen wie zur Wiederaufforstung der Wälder. Die Unterzeichner bekennen, dass Mann und Frau in allen Aspekten des Lebens gleichrangige Partner sind und Kinder die Hoffnung für die Zukunft.

Ein weiteres Resultat des "World Peace Summit of Religious and Spiritual Leaders" ist die Einrichtung eines ständigen religiösen Beirates bei der UNO, dessen Aufgaben es sein sollen, potenzielle Konfliktherde rechtzeitig zu erkennen und zur Deeskalation beizutragen sowie nach bewaffneten Auseinandersetzungen die religiösen Gruppen zu Frieden und Toleranz zurückzuführen.

Mehr als alle Worte und Erklärungen zeigte vor allem das Ende des Gipfeltreffens, das in eine ausgelassene Party mündete, die Tragweite dieses interreligiösen Dialoges. Der Sikh tanzte mit dem Saamen, der Rabbi mit dem Swami, der Moslem mit dem Christen: Hier war die Erkenntnis, dass Verständigung und friedliches, ja sogar freudvolles Miteinander quer über alle kulturellen und religiösen Barrieren hinweg möglich ist, besonders augenfällig.

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