Religionen sind nicht einerlei

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Moderner Synkretismus als ökumenische Herausforderung: In der Debatte um den "Megatrend Spiritualität" (zuletzt: Kurt Remele in furche Nr. 3) meldet sich der evangelische Theologe ulrich h. j. körtner ein zweites Mal zu Wort.

Im allgemeinen Sprachgebrauch hat das Wort "Synkretismus" einen negativen Klang. Es steht für Religionsvermischung, um nicht zu sagen Religionsmischmasch. Synkretismus in diesem Sinne gilt insbesondere als Signatur der neuen Religiosität, die seit zwei Jahrzehnten von sich reden macht. Unter der Sammelbezeichnung "Spiritualität" firmieren die unterschiedlichsten Sinnangebote, von Esoterik über Naturheilverfahren bis zu westlichen Adaptionen des Buddhismus. Auf dem religiösen Markt kann jeder nach seiner Fasson selig werden und sich aus Versatzstücken aus unterschiedlichen Religionen seine Privatreligion zurechtzimmern.

Religionswissenschaftlich bezeichnet der Begriff "Synkretismus" einerseits die bewusste Harmonisierung verschiedener Religionen, andererseits das ungesteuerte organische Zusammenwachsen von Religionen oder religiösen Anschauungen und Praktiken. Speziell die religiöse Welt der Spätantike und des Hellenismus wird in der Religionswissenschaft als synkretistisch bezeichnet. Der Begriff selbst ist alt. Nach Plutarch handelt es sich um ein kretisches Wort, das ursprünglich den Zusammenschluss der zerstrittenen kretischen Gemeinden zur Verteidigung gegen einen gemeinsamen Feind bezeichnet habe.

Dalai Lama Superstar

Während die Bindung vieler Menschen zu den Kirchen und zur christlichen Tradition abnimmt, steigt europaweit die Zahl der Menschen, die einer anderen als der christlichen Religion angehören. Die meisten von ihnen sind Muslime. Das Christentum in Europa schwächelt, wogegen der Islam ein neues Selbstbewusstsein zeigt. Ähnliches gilt für asiatische Religionen, die auch auf die westliche Welt wachsende Faszination ausüben. Selbst auf Kirchentagen wird der Dalai Lama als religiöser Superstar gefeiert.

Eine produktive Auseinandersetzung mit dem Synkretismus ist theologisch schon allein deshalb notwendig, weil schon das Urchristentum, wie der evangelische Bibelwissenschaftler Hermann Gunkel zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb, eine synkretistische Religion war. Die Geschichte der Entstehung und Ausbreitung des Christentums ist durch Aufnahme und Ausschluss von Elementen aus anderen religiösen Traditionen gekennzeichnet. Ähnliches gilt aber schon für die Geschichte des Judentums, in dem das Christentum seine Wurzeln hat. Ohne die lebendige Auseinandersetzung mit anderen Religionen in Anknüpfung und Widerspruch wäre die Missionsgeschichte des Christentums undenkbar gewesen. Jede Weise der Inkulturation des Christentums ist in gewissem Grade eine Form des Synkretismus.

Legitimität und Grenzen

Was frühere Formen eines christlichen Synkretismus von der heutigen Situation des Christentums unterscheidet, ist der Umstand, dass die Volkskirchen in Europa viel von ihrer normierenden Kraft in Glaubensfragen verloren haben. Integration und Abstoßung außerchristlicher Vorstellungen in einen lebendigen christlichen Glauben lassen sich immer weniger durch eine kirchliche Dogmatik normieren, sondern erfolgen auf der Ebene individueller Aneignung. Der Vertrauensverlust der Institution Kirche bedeutet allerdings nicht, dass die Menschen kein Bedürfnis nach Orientierungshilfen in religiösen Fragen haben. Solche Hilfe wird aber nur dann angenommen, wenn sie nicht den Versuch einer dogmatischen Bevormundung macht.

Worin aber besteht das unterscheidend Christliche, das die Kirchen über Konfessionsgrenzen hinweg verbindet und von den übrigen Religionen unterscheidet? Was ist das theologische Kriterium für Legitimität und Grenzen des Synkretismus im Christentum? Für Gunkel war dies "das Evangelium Jesu". Das Christentum beginnt jedoch damit, dass der Verkündiger Jesus von Nazareth zum Gegenstand des Glaubens und der Verkündigung wurde. Formelhaft lautet das älteste christliche Bekenntnis, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat.

Im Bekenntnis zur universalen Heilsbedeutung der Person, des Todes und der Auferweckung Jesu von Nazareth, das sich in der Formel verdichtet, dass Jesus der Christus ist, haben wir das Eigentliche des Christentums vor uns, durch welches es sich von den anderen Religionen unterscheidet. Sofern man dieses jedoch nicht auf bloße Formeln reduzieren will, begegnet es uns wiederum nur in einer Vielzahl von Auslegungen, die immer auch geschichtlich bedingt und kulturell geprägt sind. An alle geschichtlichen und gegenwärtigen Transformationen ist aber das Kriterium anzulegen, ob Christus als letztgültige Heilsoffenbarung die Mitte des Glaubens bleibt. Nur wenn das der Fall ist, sind synkretistische Prozesse theologisch legitim und können den Horizont christlichen Glaubens erweitern.

In bestimmter Hinsicht lässt sich auch die moderne ökumenische Bewegung als Erscheinungsform des Synkretismus begreifen. In der multireligiösen Situation einer globalisierten Welt stellen die Kirchen das Gemeinsame über das Trennende. Die ökumenische Bewegung lebt vom Reichtum und der Vielfalt der unterschiedlichen christlichen Traditionen, die sich wechselseitig bereichern und befruchten, aber auch immer wieder neu theologisch zu gemeinsamer Wahrheitssuche herausfordern. Für die einzelnen Konfessionen ist das eine schwierige Gratwanderung. Gegenüber ihrer Umwelt versuchen sie das gemeinsam Christliche herauszustellen. Zugleich sind sie darum bemüht, ihr jeweiliges Profil zu schärfen und ihre Eigenständigkeit zu betonen.

Ökumene: Nur für Christen!

Dass das Christentum heute eine Religion unter Religionen ist, muss theologisch als Herausforderung des Geistes Gottes, welcher der Geist Christi ist, an seine Christen begriffen werden. Die eigentliche, theologisch relevante Frage lautet, "ob auf dem Wege z.B. über die nichtchristlichen Religionen der dreieine Gott selbst der Christenheit etwas sagen will", so der evangelische Dogmatiker Hans-Martin Barth.

Der Begriff der Ökumene sollte freilich auf die christlichen Konfessionen begrenzt bleiben. Wer eine Ökumene der Religionen behauptet, unterschätzt die zum Teil erheblichen Gegensätze zwischen den Religionen. Selbst dort, wo man Gemeinsamkeiten entdeckt, etwa im Schöpfungsglauben oder auch zwischen reformatorischer Rechtfertigungslehre und japanischem Amida-Buddhismus, sind bei näherem Hinsehen die Differenzen meist größer als die Gemeinsamkeiten. Die Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland hält die Idee einer Ökumene der Religionen auch in praktischer Hinsicht für einen Irrweg. Ihre Stellungnahme "Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen" vom August 2003 gibt zu bedenken, daß auch die Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten in ihrem jeweiligen religiösen Zusammenhang gewürdigt werden müssen und keinesfalls eine hinreichende Basis für die Teilnahme von Christen an der religiösen Praxis einer anderen Religion, z.B. an Opferriten oder Ahnenkulten bieten.

Keine Gebete mit Muslimen!

Meines Erachtens zu Recht empfiehlt die Evangelische Kirche in Deutschland auch in der Frage des interreligiösen Gebetes, zum Beispiel mit Muslimen, äußerste Zurückhaltung. In der Handreichung "Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland" aus dem Jahr 2000 heißt es dazu: "Die Unterschiede im Gebetsverständnis, die mit dem unterschiedlichen Gottes- und Menschenbild begründet sind, können nicht übergangen, sondern müssen respektiert werden. Weil diese Unterschiede nicht verwischt werden dürfen, haben wir uns zu bescheiden und die Grenzen zu akzeptieren, die es uns verwehren, uns im gemeinsamen Gebet mit Muslimen vor Gott zu vereinen. Doch können wir im Sinne menschlicher Verbundenheit in einer multireligiösen Situation mit innerer Anteilnahme gleichsam nebeneinander beten."

Dass ein und derselbe Gott hinter den verschiedenen, in den unterschiedlichen Religionen erfahrenen Gottheiten oder Offenbarung des Göttlichen, aus denen einander widersprechende Geltungsansprüche abgeleitet werden, stehen soll, gehört aus christlicher Sicht zur Verborgenheit Gottes. Mag ein Christ um seines Glaubens willen mit der Gegenwart des biblisch bezeugten Gottes auch in anderen Religionen rechnen, so ist doch die Konfrontation mit ihm fremden Glaubensweisen nicht als göttlicher Aufruf zur Relativierung der eigenen Glaubensbindung zu verstehen, sondern als Ansporn, sich des eigenen Glaubens zu vergewissern und diesen umso bewusster zu leben. Christlicher Glaube lebt von der Zuversicht, dass Gottes universaler Heilswille, wie er in Jesus von Nazareth offenbar geworden ist, sich letztlich nicht widersprechen kann und durch Gottes Verborgenheit in der widersprüchlichen Vielfalt der Religionen nicht dementiert werden kann.

Der Autor ist Professor für Systematische Theologie H.B. an der Evang.-Theol. Fakultät in Wien.

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