Religionsfreiheit in Hongkong bedroht

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Am 1. Juli 1997 fiel Hongkong an China zurück. Wie hat sich dort seither die Lage der Menschenrechte entwickelt? Die Bilanz eines Jahres.

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Am 1. Juli 1997 fiel Hongkong an China zurück. Wie hat sich dort seither die Lage der Menschenrechte entwickelt? Die Bilanz eines Jahres.

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dieFurche: Herr Hafen, als Hongkong zum 1. Juli vergangenen Jahres an China zurückfiel, rechneten viele mit wachsendem Wohlstand und schwindender Freiheit. Jetzt scheint es umgekehrt zu kommen: Die Wirtschaft schrumpft, aber es gab wie vereinbart freie Wahlen. War die Sorge um die Menschenrechte unbegründet?

Karl Hafen: Es wurde der Welt vorgegaukelt, daß jetzt mit wachsendem Wohlstand zu rechnen sei. Der Beweis, daß die Freiheit schwinden wird, wurde ja schon vor der Übergabe Hongkongs an China angetreten: Viele Zeitungen übten sich in Zurückhaltung und Selbstkritik, chinesische oder vietnamesische Flüchtlinge in Hongkong wurden in ihre Länder zurückgeschickt. Das frei gewählte Parlament wurde aufgelöst und durch ein Scheinparlament von Chinas Gnaden ersetzt.

dieFurche: Nun ist aber anstelle des Scheinparlaments ein Gremium mit gewählten Abgeordneten getreten. Die chinakritischen Parteien Hongkongs haben die Wahlen Ende Mai nicht boykottiert. Dennoch hat der Vorsitzende der siegreichen Democratic Party, Martin Lee, diese Wahlen als "Farce" bezeichnet. Mit Recht?

Hafen: Das Wahlergebnis hat zwei Gesichter: Die Mobilisierung von 50 Prozent der Wahlberechtigten, die zu über 60 Prozent für die Demokraten gestimmt haben, ist ein Zeugnis für die politische Reife der Menschen in Hongkong. Auf der anderen Seite spiegelt sich das Wahlergebnis nicht in der Zusammensetzung des Parlaments. Das neue Wahlgesetz bestimmte nämlich die Zusammensetzung schon vor der Wahl zu zwei Dritteln, weil die Kandidaten für diese Mandate durch Standesvertretungen verschiedener Berufsgruppen vergeben wurden. Zehn der sechzig Abgeordneten bestimmte gar das von China ernannte bisherige Übergangsparlament.

dieFurche: Wie schätzen die Demokraten Hongkongs die Lage ein, was sind ihre größten Sorgen?

Hafen: Bei jedem Auslandsbesuch steht zu befürchten, daß China diese Bürgerrechtler nicht mehr einreisen läßt. Jederzeit rechnen sie damit, daß die Gefahr ihrer Verhaftung wegen Regimekritik besteht, daß sie irgendwann zur Umerziehung geschickt und zur "Selbstkritik" gezwungen, daß ihre Familienangehörigen unter Druck gesetzt werden könnten, daß man sie durch Hausdurchsuchungen und Bespitzelung bis ins Unerträgliche hinein schikanieren könnte.

dieFurche: Wie steht es um die Pressefreiheit in Hongkong?

Hafen: Bereits vor dem 1. Juli letzten Jahres gab es die vorauseilende Selbstkritik nach diskreten und offenen Hinweisen auf wirtschaftliche Konsequenzen. Jetzt gibt es Zensur. Die neuen Pressegesetze verbieten jegliche Kritik an der Pekinger Regierung und am Nationalen Volkskongreß, an der kommunistischen Partei und ihren Funktionären. Verboten sind auch Berichte über Tibet, Taiwan und die Mongolei oder auch ungünstige Berichte über Arbeitsbedingungen oder Umweltschäden auf dem chinesischen Festland.

dieFurche: Gibt es Hinweise auf Einschränkungen der Religionsfreiheit?

Hafen: Wenn auch die Kirchen noch nicht von massiver Verfolgung reden, so werden die Gläubigen doch beobachtet. Mittelfristig muß man damit rechnen, daß die Schrauben angezogen werden und die gleiche religiöse Unterdrückung wie im chinesischen Kernland stattfindet. Es ist davon auszugehen, daß den unabhängigen Kirchen staatlich organisierte Parallelkirchen beigestellt werden, daß vakante Pfarrerstellen nicht mehr oder nur von regimetreuen Pfarrern besetzt und die Gläubigen mit starkem Druck in diese Parallelkirchen hineingezwungen werden. So wie im chinesischen Kernland müssen die unabhängigen Kirchen damit rechnen, als "schädliche Organisationen" eingestuft und entsprechend behandelt zu werden. Solange im Kernland Geistliche der romtreuen katholischen Kirche wie Bischof Zeng Jingmu oder evangelische Hauskirchenleiter wie Xu Yongzhe inhaftiert werden, solange droht den Geistlichen in Hongkong dasselbe Schicksal.

dieFurche: Was kann man im Westen für eine gedeihliche Entwicklung tun?

Hafen: Die größte Waffe der westlichen Staaten ist unsere Meinungs- und Pressefreiheit. Darum möchte ich dringend appellieren, daß die Presse weiterhin über unfreie Länder berichtet und die Politiker ermahnt, auf unhaltbare Zustände hinzuweisen und deren Beseitigung zu verlangen. Menschenrechtsverletzungen zu akzeptieren und das mit unterschiedlichen Kulturkreisen zu begründen, ist selbst ein Beitrag zur Unterdrückung.

dieFurche: Können in Hongkong tätige westliche Unternehmen zum Erhalt von Rechtsstaatlichkeit beitragen?

Hafen: Westliche Unternehmen können etwas tun durch Einführung und Durchhalten von Mindeststandards im Arbeitsleben. Auch Mitbestimmung, die Zulassung von Gewerkschaften, sind förderliche Maßnahmen.

dieFurche: Viele Beobachter vertrauen darauf, daß die Regierung in Peking die Freiheiten Hongkongs nicht antasten werde, weil China wirtschaftlich auf diese "Sonderverwaltungszone" angewiesen sei und sie als Muster für eine allfällige Wiedervereinigung mit Taiwan präsentieren möchte. Teilen Sie diesen Optimismus?

Hafen: Entgegen allen Versprechungen finden in China schwere Menschenrechtsverletzungen statt, die letztlich der Herrschaft der kommunistischen Partei dienen sollen. Die Menschen in China werden die gleichen Rechte wie die Hongkong-Chinesen verlangen. Entweder das Regime ändert sich radikal, oder es findet eine Anpassung der Verhältnisse in Hongkong statt. Ich glaube an letzteres.

dieFurche: Könnten umgekehrt von Hongkong Impulse für Demokratie und Menschenrechte auf dem chinesischen Festland ausgehen?

Hafen: Solange sich Bürgerrechtler in Hongkong noch äußern können - und die bemerkenswerte Demonstration am 4. Juni zur Erinnerung an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens zeigt, daß der Wille vorhanden ist - und solange die freie Presse darüber berichtet, solange gehen direkte Impulse ins chinesische Kernland.

dieFurche: Vieles wird für Hongkong von der weiteren Entwicklung in China abhängen. Gibt es dort Anzeichen für eine weitere Demokratisierung?

Hafen: Ich sehe wirtschaftliche Veränderungen und zwar in Form eines ganz starken Privatkapitalismus mit großen Auswirkungen auf Arbeitslosenzahlen in bisher nicht bekannter Höhe. Veränderungen in Richtung auf mehr Demokratie sehe ich nicht. Die Entlassung einzelner Bürgerrechtler aus der Haft scheint mir nur eine Ventilfunktion zu haben. Die vielen öffentlichen Vollstreckungen von Todesurteilen sprechen eine andere Sprache. Die Unterdrückung der Tibeter, Mongolen und Uiguren geht weiter. Die Eingriffe in die religiösen Bereiche werden größer. Hongkong wird davon nicht verschont bleiben.

dieFurche: Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte hat vor einem Jahr die UNO aufgefordert, einen Sonderberichterstatter für Hongkong einzusetzen. Halten Sie diese Forderung aufrecht?

Hafen: Ja, wir brauchen einen Sonderberichterstatter. Das Übereinkommen von 1984 zwischen Großbritannien und China mit der Bestimmung, daß die Verhältnisse in Hongkong im wesentlichen 50 Jahre lang so bleiben, wie sie waren, ist bereits gebrochen worden. Den Menschen dürfen nicht noch weitere Rechte abgenommen werden. Ein anerkanntes öffentliches Organ kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Das Gespräch führte Michael Ragg.

Zur Person Ein Vorkämpfer für die Menschenrechte in Hongkong Karl Hafen, 1941 in Unkel bei Bonn geboren, ist graduierter Sozialarbeiter. Seit zwanzig Jahren arbeitet er für die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main, einer Organisation mit weltweit mehr als dreißigtausend Mitgliedern. Seit 1994 ist Hafen als Geschäftsführender Vorsitzender der Gesellschaft tätig.

Zu den Schwerpunkten des Wirkens der IGFM gehören die Hilfe beim Aufbau bürgerlicher Gesellschaften in Osteuropa, der Einsatz für verfolgte Christen und humanitäre Hilfsaktionen. Mit der Forderung "Menschenrechte vor Landrechten" tritt die IGFM für die Selbstbestimmung der Bürger in Hongkong ein.

Die österreichische Sektion der Gesellschaft für Menschenrechte hat folgende Adresse: Untere Augartenstraße 21, 1020 Wien, Tel: 01 332 95 43.

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