Habermas - <strong>Jürgen Habermas</strong><br />
Der am 18. Juni 1929 in Düsseldorf Geborene war Assistent von Th. W. Adorno und Max Horkheimer in Frankfurt, auf dessen Lehrstuhl er 1964 folgte. 1971 wurde er Ko-Direktor des Max-Planck-Instituts in Starnberg, 1983 war er bis zu seiner Emeritierung 1994 wieder Professor für Philosophie in Frankfurt. - © picturedesk.com / Martin Gerten / EPA

Rendezvous mit der Religion

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Er galt als ein „Vorzeigedenker“ der Linken, um nicht die Punze „68er“ zu verwenden. In den letzten Lebensjahrzehnten hat sich Jürgen Habermas aber auf seine Weise der Religion angenähert. Am 18. Juni begeht der deutsche Philosoph seinen 90. Geburtstag.

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Er galt als ein „Vorzeigedenker“ der Linken, um nicht die Punze „68er“ zu verwenden. In den letzten Lebensjahrzehnten hat sich Jürgen Habermas aber auf seine Weise der Religion angenähert. Am 18. Juni begeht der deutsche Philosoph seinen 90. Geburtstag.

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Gewiss ist es in den letzten Jahren vergleichsweise still geworden um den einstigen Vorzeigedenker der politisch Linken. Dies gilt gleichermaßen für den vielfach für sein Werk ausgezeichneten Philosophen wie auch den sich nur allzu gerne in gesellschaftspolitische Fragen einmischenden Intellektuellen Jürgen Habermas. Das eine lässt sich bei Habermas vom anderen nicht trennen. So ist es, wie Habermas selbst betont, „diese Reizbarkeit, die Gelehrte zu Intellektuellen macht“. Zuletzt etwa war diese Reizbarkeit im März 2016 spürbar, als Jürgen Habermas, gemeinsam mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel und dem französischen Präsidentschaftskandidaten Emanuel Macron, in Berlin über die Zukunft Europas diskutierte. Ein Anliegen, das Habermas in Zeiten wiedererstarkender Rechtspopulisten keineswegs kalt lässt. Es geht ihm dabei weder um die aktuelle Tages- noch Parteipolitik, sondern um das Eingemachte, also darum, dass Europa den Punkt erreicht hat, an dem „moderne Gesellschaften zu entgleisen“ drohen.

Besagtes Anliegen indes ist nicht neu. Es verweist auf die Tradition der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, in der Jürgen Habermas als Schüler von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer tief verwurzelt ist. Seine Mentoren, die vor den Nationalsozialisten in die USA emigrieren mussten, legten 1944 mit der Dialektik der Aufklärung ein zum Klassiker des politischen Denkens avancierendes Manifest vor. Ihre Grundthese besagt, dass der Mythos als die Beschreibung von unzugänglichen, wundersam erscheinenden Naturphänomenen die erste Form der Aufklärung darstellt. Dieser Mythos wird in ausdifferenzierenden Gesellschaften Schritt für Schritt durch den Logos der Aufklärung abgelöst. Dabei wohnt aufgeklärten Gesellschaften eine Tendenz inne, den Moment zu übersehen, in dem der Logos der Aufklärung sich gegen sich selbst richtet und, entfremdet von seiner ursprünglichen Funktion, sich abermals zum Mythos verklärt.

Diese von Karl Marx inspirierte Entfremdungstheorie lässt sich paradigmatisch von den Fließbandarbeitern des frühen 20. Jahrhunderts bis zur industrialisierten Kriegsführung des Ersten Weltkriegs nachzeichnen. Und Auschwitz als Sinnbild des minutiös geplanten und durchgeführten Massenmordes steht für eine vollkommend entfesselte und gegen sich selbst gerichtete Aufklärung. Solche Mythen frühzeitig zu erspähen und als gesellschaftliche Pathologie zu zensurieren, verordnete sich Jürgen Habermas als Lebensaufgabe. Als Intellektueller, der am täglichen Leben teilnimmt und sich zu gesellschaftspolitischen Strömungen kritisch äußert, verfügt er über das notwendige Sensorium. Als Philosoph entwickelt er die dafür unerlässlichen theoretischen Grundlagen.

Die Differenzierung der Gesellschaften

Eine tragende Rolle spielt dabei seine 1981 erschienene, zweibändige „Theorie des kommunikativen Handelns“. In dieser dem Aufbau, der Form und dem sprachlichen Duktus geschuldetermaßen schwer zugänglichen Studie zeichnet Habermas in unmittelbarer Auseinandersetzung mit Denkern wie etwa Émile Durkheim, Georg Herbert Mead oder Max Weber nach, wie sich Gesellschaften in der Moderne zu rationalisierten Gefügen ausdifferenzieren.

Eine wesentliche Rolle fällt dabei der Religion zu. Der Geltungsanspruch von Religionen, so Habermas, die ihre normativen Aussagen stets auf das Sakrale stützen, wird in der Moderne durch eine deliberative, also konsensbasierende Meinungsbildung abgelöst. Im öffentlichen Diskurs eingebrachte Geltungsansprüche müssen sprachlich dermaßen konfiguriert sein, dass sie den Kriterien von intersubjektiver Verständlichkeit, objektiver Wahrheit, normativer Richtigkeit und subjektiver Wahrhaftigkeit entsprechen. Unter diesen Bedingungen lässt sich in Form eines „herrschaftsfreien Diskurses“ ein Konsens bilden, da jeder der Diskursteilnehmer, unabhängig davon, welche Rolle er innerhalb der Gesellschaft gerade einnimmt, sich auf die Autorität des besseren Arguments verpflichtet.

In diesem Sinn degradiert bei Habermas Religion – ganz in der Linie der damals verbreiteten Säkularisierungsthese, die von einer Aufhebung der Religion durch säkulare Institutionen ausgeht – zunächst zu einer vormodernen Instanz. Als solche zieht sich Religion auf Glaubenswahrheiten zurück und immunisiert sich gegenüber etwaigen Rechtfertigungsansprüchen des gesellschaftlichen Diskurses.

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