Requiem für eine Volkspartei

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Am Hamburger Jungfernstieg – dort, wo die Schwäne der Binnenalster die letzten warmen Herbsttage genießen – habe ich das Plakat zum ersten Mal entdeckt: „Weil Wirtschaft Maß und Regeln braucht – deshalb SPD“. Es hat mich begleitet – durch Hannover, Goslar, Göttingen …

Wahlkampf ist in Deutschland – und die Sozialdemokratie trommelt ihr Bekenntnis zu Solidarität, Gerechtigkeit und Reform. Auch vor dem Wohnhaus der Gebrüder Grimm in Göttingen stehen die Plakatständer – und ich denke an das Grimm-Märchen vom Mädchen mit den Sterntalern: Eigentlich müsste die große alte Arbeiterpartei jetzt nur ihre Schürze aufhalten, um – mitten im globalen Finanzdrama – die Stimmen der Enttäuschten und Verängstigten, der Arbeitslosen, Rentner u. a. einzufangen.

Schröders Erben

Aber die deutsche Wirklichkeit ist eine andere. Auf fast tragische Weise hat die SPD ihre historische Chance vertan: Nur knapp 20 Prozent der deutschen Wähler haben ihr zuletzt die Stimme gegeben. Das Nachdenken darüber könnte grenzüberschreitend sein.

„Requiem für eine Volkspartei“: Die große FAZ hat es nach den jüngsten deutschen Landtagswahlen auf den Punkt gebracht: Gerhard Schröders Erben haben sich zwischen Kapitalismuskritik und Wirtschaftsnähe, zwischen ideologischen Floskeln und rechter Verstrickung längst aufgerieben. Ideologisch eingezwängt zwischen Regierungsverantwortung und den sozialen und ökologischen Trompetentönen von Grün und „Links“, ist der Platz für sie eng geworden.

Und – o Wunder: Ausgerechnet die CDU-Kanzlerin Merkel und ihr adeliger Jung-Wirtschaftsminister zu Guttenberg (Deutschlands beliebtester Politiker!) fühlen sich – im Vermächtnis Ludwig Erhards – für die Zähmung des Finanzkapitalismus allein zuständig. „Schluss mit der Gier!“, sagt sie. Und: „Wir haben die Kraft dazu!“

Zurück nach Wien. Beim Buffet eines Botschaftsempfangs stehen zwei prominente heimische Sozialdemokraten ratlos vor demselben Thema: dem Zustand ihrer Partei im Zeichen der großen Finanzkrise. „Ich kenne keinen von uns, den wir dazu überzeugend ins Fernsehen schicken können“, sagt der eine resigniert. Namen werden gewälzt und wieder verworfen. „Dann lieber gleich jemanden von Attac“, sagt der andere.

Profillos in der Koalition

Im ORF-Sommergespräch bestätigt es dann Kanzler Faymann: Europas Sozialdemokraten sei es nicht gelungen, in der Krise klarzumachen, „wo wir stehen“.

Wieso das? Sind die Folgen noch nicht beim Bürger angekommen? Traut das Volk auch jetzt eher den Machern als den Kritikern? Ist die SPÖ – spätestens seit dem BAWAG-Debakel – den Zockern einfach zu nahe geraten? Gibt es überhaupt eine klare SP-Position zur Marktwirtschaft? Und wenn ja: Wird sie von „oben“ erkennbar transportiert? Ist – um noch einmal das Gespräch am Buffet zu zitieren – „die SPÖ heute wie die ÖVP, nur ohne Selbstbewusstsein“? Zwingt die Koalition die SPÖ in die Profillosigkeit – ohne eigene Mitte? Und: Lebt Demokratie nicht auch von einer differenzierten Parteienlandschaft?

Wenn Deutschland am 27. September gewählt hat, wird es auch in Österreich manches zu lernen geben.

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