Rettet die Purzelbäume ...

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... vor dem totalitären Zugriff der Kapitalismusreligion!

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... vor dem totalitären Zugriff der Kapitalismusreligion!

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Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Menschen gemeinhin mit falschen Maßstäben messen, Macht, Erfolg und Reichtum für sich anstreben und bei anderen bewundern, die wahren Werte des Lebens aber unterschätzen" (Sigmund Freud 1929).

Im Vorwort von Seidls und Beutelmeyers Erfolgs-Buch "Die Marke ICH" steht geschrieben: "Marken prägen unsere Welt. Ob wir wollen oder nicht. Denn Marken signalisieren uns, daß wir das Richtige tun, sie geben Vertrauen ... Den Marken entkommt nämlich keiner. Man kann Marken nicht übergehen, Menschen aber kann man übergehen ... Woran liegt das? Dieses Buch geht den Mechanismen nach, die hinter Erfolg und Mißerfolg von Marken liegen ... Und zwar für jeden von uns. In jeder Lebenssituation, beruflich oder privat. Wer versteht, was die Stärke von Marken ausmacht, kann auch mehr aus sich selber machen. Kann die Marke Ich entwickeln ... Wer auf diesen Märkten bestehen will, muß eine klare Markenpersönlichkeit haben ... Die Marke Ich ist der sicherste Weg, in dieser unsicheren Zeit zu bestehen. Dabei wünschen wir Ihnen nicht nur viel Erfolg. Wir wünschen auch viel Spaß - denn die Marke Ich ist ... eine Einladung zu Veränderungen, die Freude machen" (11f.) Später heißt es: "Große Marken sind robuste Naturen. Sie überleben Trends und Moden ... die Marke Jesus Christus hat noch nach 2000 Jahren beachtliche Anziehungskraft" (39).

Ein gutes Geschäft Ich las dieses vielversprechende Buch und staunte über die Oberflächlichkeit und Dummheit, die es zu vermarkten versucht. Das ist eine Behauptung, die der Begründung bedarf. Nach dem Zitat aus dem Vorwort bringe ich ein weiteres Beispiel: Die "Marke Jesus Christus" ist eine Sprachhülse, in der praktisch alles Platz findet, der Diktator Franco ebenso wie Mutter Teresa, todeswütige Fundamentalisten und Nationalisten ebenso wie friedliebende und für wirkliche Gerechtigkeit engagierte christliche Humanisten. Oder: "Wer als Marke Ich auftritt, muß seine Höherwertigkeit (!) von vornherein signalisieren. Das ist keine Aufforderung zum reinen Bluff" (48). Was dann? Was soll ein Begriff klären, der zugleich verdinglicht, vermenschlicht und vergöttlicht wird?

Diese Darstellungsweise ist insofern gefährlich, als sie praktisch die Lösung aller Probleme verspricht, primitive Allmachtsphantasien fördert und die Wirklichkeit verklärt und nicht erklärt. Das Buch dient der Verdummung, was die Autoren wohl nicht beabsichtigen. Und weil man landläufig unter Dummheit mangelnde Intelligenz versteht, möchte ich auch kurz auf das Wesen der Verdummung eingehen.

Das Buch ist vergriffen. Die Beschwichtigung von existentiellen Ängsten und die Förderung des Ego-Kultes ist heute ein gutes Geschäft. Paßt dazu ein Wort von Karl Kraus: "Je größer der Stiefel, desto größer der Absatz"?

Zur vorliegenden Ansammlung von Erfolgsgeschichten und zur Analyse der Mechanismen, wie man eine erfolgreiche "Marke Ich" entwickelt, fällt mir Bert Brecht ein: "Unsichtbar macht sich die Dummheit, indem sie sehr große Ausmaße annimmt."

Thomas v. Aquin faßte ihr Wesen in diese Worte. "Dummheit bedeutet eine Stumpfheit des Herzens und eine Abstumpfung der Sinne und deshalb wird die Dummheit mit Recht der Weisheit entgegengesetzt." Etymologisch leitet sich dumm von stumm (entmündigt), dumba (finster, dunkel) und taub (nicht hören wollen/können) her. Das Nicht-Hören, das Nicht-Vernehmen - von Vernehmen kommt Vernunft -, das Taubsein macht stumm, macht die Sinne stumpf und führt zur Erstarrung, Verstockung, Vertrottelung. Dummheit erfaßt den ganzen Menschen: sein Fühlen, Empfinden, Wahrnehmen, Wollen und Denken. Alle Sinnes- und Besinnungsorgane werden geschädigt. Der Kontakt mit der inneren und äußeren Wirklichkeit wird mehr oder weniger zerstört. Manipulation total wird möglich.

Und davon lebt die Kapitalismusreligion und ihre Dreifaltigkeit "Eigentum, Profit, Erfolg": Sie braucht "Gläubige", Menschen, die blind glauben, was die Obrigkeit sagt. Nicht Vernunft, Sensibilität und Phantasie, nicht Weisheit, Selbstentfaltung und Solidarität mit der Menschheitsfamilie sind notwendig, sondern marktgerechte Selbstvermarktung, die essentielle Dummheit voraussetzt und fördert.

Ich fasse meine Eindrücke zusammen: Ein sprachlicher Hollywood-Film wird über die globale Wirklichkeit eines Brutalkapitalismus gelegt und es entstehen glückliche Marke-Ich-Menschen. So einfach ist das. Die Menschen-Würde verwandelt sich in Marken-Würde. Die Autoren entpuppen sich als Hohepriester der Kapitalismusreligion. Wer von diesem Weltheilsystem nicht profitiert, ist selber schuld.

Ein Bild drängt sich mir auf: Wenn man die hier angepriesene Wirklichkeitsorientierung mit der Realität vergleicht - die Landkarten sind nicht die Landschaft -, dann kommt dies raus: Junge Leute werden in Sommerkleidung auf Nordpolexpedition geschickt, ausgerüstet mit Wanderkarten der Kärntner Seegebiete!

Ich verabschiede mich bei Seidl und Beutelmeyer, denen ich gerne freundlicher begegnet wäre, und begrüße den Autor Greisinger, der auch das Sprachspiel "Marke Ich" benützt, aber in einem anderen Sinn. Er ist kein Priester der Kapitalismusreligion, könnte aber als Ministrant mißbraucht werden. Seine Ausführungen sind vielschichtig, witzig, oft anregend, und er liebt pointenreiche Sprüche, zum Beispiel Peter Turrini: "Wenn wer überlegt, wie er zur Marke werden kann, wird er ein Depp oder ein Funktionär" (160).

Das Ego und das Ich Greisinger verwendet das ökonomische Sprachspiel "Marke Ich" als reflektierte Metapher, nicht als verdinglichtes Wesen. Er versteht sein Buch als "Plädoyer für den aufrechten Gang": "Es soll Mut zum eigenen Weg machen. Denn Markenpersönlichkeiten sind Menschen mit Ecken und Kanten, mit Intellekt und Humor, sie sind unbequem, ... sie haben was zu sagen und sie tun, was sie tun müssen - das macht ihren Erfolg aus" (175). Er unterscheidet zwischen dem "Ego", das den Schein liebt, und dem "Ich", das das Sein und die Entfaltung bevorzugt: "Ich lasse mich nicht (extern) vom Markt leiten, und von den sich selbst aufschaukelnden Prinzipien der Gewinnmaximierung, sondern ergründe (intern) meine urtypischen Stärken und Werte" (116). Und: "Die Markenpersönlichkeit ,verkauft' sich nicht, sondern weist gezielt und wertorientiert auf sich hin" (37).

Der auch für das Waldviertel engagierte Waldviertler verbindet in seinem Konzept authentische Selbstentfaltung mit politökonomischer Öffentlichkeitsarbeit. Die "Landschaft" ist ihm wichtiger als die "Landkarten", die Wirtschaftskapitäne zusammenlügen und vermarkten.

Der Autor ist Dr. theol., Dr. phil. (Psychologie, Soziologie), Akad.-Prof. f. Psychologie an der Bundesakademie für Sozialarbeit in St. Pölten, Psychoanalytiker in freier Praxis, Wissenschaftspublizist.

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