Ricardo Loewe: Ankläger gegen Folter

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Folter, Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung. Der Bürgerrechtsaktivist Ricardo Loewe erhebt schwere Vorwürfe gegen Mexikos Sicherheitsbehörden und die Oligarchen des Landes.

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Folter, Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung. Der Bürgerrechtsaktivist Ricardo Loewe erhebt schwere Vorwürfe gegen Mexikos Sicherheitsbehörden und die Oligarchen des Landes.

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Mexikos Sicherheitskräfte sind nicht nur wegen der blutigen Auseinandersetzung mit Drogenkartellen in die Schlagzeilen geraten. Immer wieder gibt es massive Kritik wegen Folterungen und Misshandlungen in den Gefängnissen. Ricardo Loewe, ein aus Österreich stammender Arzt, kämpft seit Jahren gegen die Missstände.

DIE FURCHE: Wann hat Ihrer Meinung nach der Einsatz der Folter in Mexiko begonnen?

Loewe: Das ist eine alte Geschichte. Denken Sie an die Behandlung durch die Spanier, die Cuauhtémoc mitgemacht hat, der letzte Herrscher des Aztekenreiches. Hernán Cortés wollte unbedingt sein Gold haben, und so haben sie ihm die Füße verbrannt, damit er mit dem Gold herausrückt. Seither sind die Machtstrukturen in Mexiko folterorientiert. In Mexiko herrschte lange die Inquisition, die bekanntlich auch nicht zimperlich war und die erst 1836 abgeschafft wurde. In den 60er-Jahren wurde die Folter bei Guerilla-Aufständen eingesetzt, und auch bei Streiks und Widerstandsbewegungen wie der schon erwähnten Ärztebewegung und den Studentenprotesten 1968. Mexiko hat alle entsprechenden internationalen Abkommen gegen Folter unterschrieben, doch gefoltert wird weiterhin. Das kommt immer wieder so in Wellenbewegungen, und in letzter Zeit ist es ganz schlimm geworden.

DIE FURCHE: Hat diese Arbeit mit den Folteropfern mit der Geschichte Ihrer Eltern und Großeltern zu tun?

Loewe: Ja, absolut. Mein Großvater, der der Direktor des größten Spitals in Frankfurt war, wurde zu Tode gefoltert. Es gibt sogar einen Obduktionsbericht darüber. Als Mahnung und Drohung wurde seine Leiche in einen Park bei der Christuskirche geworfen. Ich habe auch einen indianischen Ziehsohn, der vom Militär gefoltert wurde. Er ist deshalb querschnittsgelähmt. Das ist mir sehr nahe gegangen. Außerdem wurden viele meiner politischen Kollegen und Kolleginnen eingesperrt und gefoltert.

DIE FURCHE: Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Mexiko beschreiben? Auf der einen Seite ist es ein Land, das Tausenden Menschen auf der Flucht vor dem Nazi-Regime das Leben gerettet hat, auf der anderen Seite sind Sie heute einer der schärfsten Kritiker der Menschenrechtspolitik der Regierung.

Loewe: Das ist eine gute Frage. Man darf über Mexiko nicht pauschal urteilen. Auf der einen Seite gab es damals die Politik des Präsidenten Lázaro Cárdenas und von Gilberto Bosques, dem mexikanischen Konsul in Paris, durch den unter anderem meine Eltern nach Mexiko gekommen sind. Allerdings muss man dazu sagen, dass es die Bauern und armen Arbeiter sehr schwer gehabt haben, ein Einreisevisum zu erhalten. Diese Politik mit den Einwanderern war schon ziemlich elitär. Ich habe mich dann in Mexiko engagiert, aber nicht für die Regierung, sondern für die "Bewegung von unten links“. Mexiko ist ein Land der Kontraste. Der reichste Mensch der Welt ist ein Mexikaner, Carlos Slim, der in den letzten 20 Jahren ein Vermögen von 70 Milliarden Dollar angehäuft hat. Die 80 Familien der Oligarchie und die großen internationalen Unternehmen, in deren Interesse eine quasi-autoritäre Machtstruktur errichtet wurde. Diese Struktur ist gegen die Mehrheit der Bevölkerung gerichtet. Da muss man sich schon genau überlegen, wo man sich hinstellt. Aber ich bin weiterhin in Mexiko engagiert und werde es auch bleiben. Ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Die österreichische habe ich im Jahr 2000 erhalten, kurz nachdem Haider praktisch an die Macht kam. Das hat mir schon ein wenig weh getan.

DIE FURCHE: Beschreiben Sie doch Ihre Beziehung zu Österreich. Wie sehen Sie die politische Lage des Landes?

Loewe: Das ist eine schwierige Sache. Ich war noch nie länger als ein halbes Jahr in Österreich, doch sind in letzter Zeit meine Aufenthalte häufiger geworden. Die Tochter meiner Frau ist hier mit ihrer ganzen Familie, ich habe eine Cousine hier. Meine Frau würde ganz gerne wieder hierher zurückkehren. Aber wenn ich mir vorstelle, für immer in Österreich zu leben ... In Mexiko ist ja noch so viel zu tun!

DIE FURCHE: Sie behaupten, Mexiko sei eine regelrechte Diktatur. Touristen sehen Mexiko hingegen als wunderschönes Urlaubsparadies. Worauf gründet sich dieses Auseinanderklaffen in der Wahrnehmung der Besucher und Ihrer Erfahrung der Realität?

Loewe: Die Geschichten, die mir meine Eltern von Nazi-Deutschland erzählt haben, die sehe ich jetzt wieder in Mexiko. Wo fängt die Diktatur an, wo hört die Demokratie auf? Bei sozialen Protesten werden in Mexiko immer wieder Dutzende Menschen ermordet, Hunderte gefoltert. Der Staatsterrorismus in Mexiko ist sehr stark geworden.

DIE FURCHE: Über das Drogenthema hört man immer wieder in den Medien. Von der Repression, den Menschenrechtsverletzungen nichts. Warum?

Loewe: Wenn man in Mexiko lebt, hört man immer mehr Stimmen, die sagen, dass der Drogenkrieg eigentlich eine Tarnung ist für einen Krieg gegen das Volk. Immer mehr Oppositionelle werden des Drogenhandels bezichtigt und eingesperrt. Der größte Drogenboss, den es in Mexiko gibt, Chapo Guzmán, ist unantastbar. Jeder weiß, wo er ist, aber ihm passiert nichts. Ich glaube, dass der ganze Repressionsapparat in Mexiko nicht unterwandert wird vom Drogenhandel, sondern dass er dazu gehört. Ich wiederhole: Es ist kein Krieg gegen die Drogen, sondern das ist nur ein Vorwand, um die Opposition zu terrorisieren.

DIE FURCHE: Warum können breite zivilgesellschaftliche Bewegungen, wie jüngst die des Dichters Javier Sicilia, nicht ein Ende des Blutvergießens, der Gewalt bringen?

Loewe: Die Zapatisten sagen schon seit einiger Zeit, es sei nutzlos, mit den Behörden zu sprechen. Da muss man einen Gegendruck von unten aufbauen. Immer mehr Gemeinden sagen, wir müssen uns selbst verwalten. Dass die Menschen die Nase voll haben, das ist ganz klar.

DIE FURCHE: Können wir von Europa aus irgendwie in diese Situation eingreifen?

Loewe: Die Bevölkerung ist sehr aktiv. Eine wichtige Unterstützung dabei ist die Menschenrechtsbeobachtung. Menschen aus Europa reisen nach Mexiko und begleiten dort Gemeinden und Aktivisten der sozialen Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen. In Österreich gibt es mehrere Organisationen, die solche Begleitungen durchführen, und zwar die Mexiko-Plattform Österreich ( www.mexiko-plattform.org) und das Solidaritätskomitee Salzburg ( www.solinetz.at). Dadurch werden die Aktivisten in Mexiko geschützt, und die Besucher können dann später in Europa aussagen, was sich in Mexiko abspielt.

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