"Rohstoff Brainpower zu wenig wertgeschätzt"

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Zwei Zellforscher am Vienna Biocenter erhielten Österreichs höchste Wissenschaftsauszeichnung, den Wittgensteinpreis. Neben dem Genetiker Heribert Hirt wurde auch Meinrad Busslinger vom Institut für Molekulare Pathologie für seine Arbeiten über die Zelldeterminierung geehrt.

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Zwei Zellforscher am Vienna Biocenter erhielten Österreichs höchste Wissenschaftsauszeichnung, den Wittgensteinpreis. Neben dem Genetiker Heribert Hirt wurde auch Meinrad Busslinger vom Institut für Molekulare Pathologie für seine Arbeiten über die Zelldeterminierung geehrt.

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die furche: Sie wurden für die Entdeckung des Faktors Pax5 ausgezeichnet, der die Differenzierung von Blut-stammzellen in Immunzellen steuert. Wie genau wirkt diese Substanz?

Meinrad Busslinger: Es handelt sich dabei um einen Transkriptionsfaktor, also ein Protein, das sich an ein Gen binden kann und dafür sorgt, dass die Erbinformation abgelesen wird, also das Gen exprimiert wird. Den Faktor haben wir schon 1990 entdeckt und nur in B-Zellen vorgefunden, jenen Zellen im Blut, die Antikörper produzieren und für die Immunabwehr verantwortlich sind. Wir wussten, dass dieser Faktor durch eines der neun Pax-Gene im Humangenom und im Maus-Genom kodiert wird und nannten ihn deshalb Pax5. Wie er aber genau wirkte, wussten wir nicht.

die furche: Wie sind Sie weiter vorgegangen?

Busslinger: Wir haben eine "Knock-out-Maus" erstellt, der man nur das Pax5-Gen entfernt hat. In der Folge konnten keine B-Zellen mehr gebildet werden. Aber wie der Faktor genau wirkt, wussten wir noch immer nicht. Entweder ist er notwendig, damit die Zelle überhaupt am Leben bleibt, oder er steuert die Zellteilung, oder aber er gibt der Zelle ihre Identität. Entscheidend war unsere Entdeckung, dass Blutstammzellen ohne den Faktor Pax5 alle verschiedenen Blutzelltypen ausbilden konnten, nur keine B-Zellen. Wenn aber Pax5 wieder eingeschleust wurde, konnten nur B-Zellen entstehen - alle anderen Optionen wurden unterdrückt. Damit war klar: Pax5 gibt der Zelle ihre Identität. Er sagt ihr: Jetzt bist du eine B-Zelle.

die furche: Das heißt, dass es ähnliche Faktoren auch für die Differenzierung in andere Zelltypen geben müsste?

Busslinger: Wir glauben, dass das ein genereller Mechanismus ist. Deshalb versuchen wir auch herauszufinden, wie wichtig das verwandte Pax2 für die Nierenentwicklung ist oder welchen Stellenwert die Pax-Faktoren bei der Entstehung des Mittel- und Kleinhirns während der Embryonalentwicklung haben.

die furche: Welche Folgen hätte das Fehlen von Pax5 beim Menschen?

Busslinger: Bis jetzt hat man Pax5 keiner Erbkrankheit zuordnen können, weil wir glauben, dass das zu keinem lebensfähigen Organismus führen würde. Auf der anderen Seite kann das Pax5-Gen durch Mutation überaktiv werden, indem es in der falschen Zelle abgelesen wird. In diesem Fall kommt es zu einem speziellen B-Zell-Tumor, einem so genannten Non-Hodgkin-Lymphom (Anm.: bösartige Lymphknotenvergrößerung).

die furche: Sie forschen an Mäuseembryonen. Wäre es für Sie interessant, an humanen Embryonen zu forschen ?

Busslinger: Ich glaube nicht, dass wir dadurch neue Erkenntnisse gewinnen würden, wie sich etwa das Mittel- oder Kleinhirn entwickelt. Die Mechanismen sind so grundlegend, dass wir das sehr wohl an der Maus herausfinden können. Wenn man aber aus Stammzellen irgendwelche Blutzellen herstellen und damit einem Patienten helfen kann, schaut die Sache anders aus.

die furche: Verschafft einem die Kenntnis dieses Differenzierungsmechanismus nicht die Möglichkeit, aus Stammzellen alle möglichen Gewebe zu gewinnen und tatsächlich ein menschliches Ersatzteillager zu schaffen?

Busslinger: Ich glaube, das wird kommen, aber nicht in dem Sinne, dass man ganze neue Organe in Kultur etablieren kann. Denn letztlich ist die Information für die Organogenese in der Entwicklung niedergeschrieben. Man kann nicht die ganze Entwicklung im Reagenzglas nachvollziehen. Sehr wohl kann man aber ganz gezielt Zelltypen ersetzen, etwa Nervenzellen transplantieren.

die furche: Bei Parkinson?

Busslinger: Ja. Oder man könnte bei Leukämie im blutbildenden System gewisse Zelltypen ersetzen. Doch bei Leukämie werden ja schon jetzt Stammzellen verwendet, jedoch nicht in gereinigter Form, sondern in Form einer Knochenmarktransplantation.

die furche: In welchen Bereichen wäre die Forschung an embryonalen Stammzellen überhaupt nötig?

Busslinger: Erst kürzlich wurde publiziert, dass man aus embryonalen Stammzellen der Maus insulinproduzierende Zellen herstellen kann. Und jetzt möchte man versuchen, ob das im humanen System auch funktioniert. Sollte es gelingen, derartige insulinreproduzierende Zellen in Diabetes-Patienten zu implantieren, könnten sie möglicherweise wieder unabhängig von der täglichen Insulinspritze werden und ein normales Leben führen. Hier sehen wir Aussicht auf einen Erfolg. Die Frage ist natürlich: Braucht man dazu embryonale Stammzellen oder adulte? Mittlerweile hat man gemerkt, dass adulte Stammzellen viel mehr können, als man früher dachte.

die furche: Wäre also Nabelschnurblut eine Alternative?

Busslinger: Irgendwann könnte es möglich sein, adulte Stammzellen für solche Differenzierungsprogramme spezieller Zellen heranzuziehen. Aber das braucht noch viel Arbeit. Es ist auch nicht sicher, ob man adulte Stammzellen in ausreichender Menge gewinnen kann. Das humane System hinkt weit hinten nach - mit gutem Recht, weil es klare moralische Bedenken gibt.

die furche: Wofür würden Sie plädieren?

Busslinger: Ich bin gegen die uneingeschränkte Freigabe dieser Forschung. Aber wenn man fundamentalistisch sagt, das kommt grundsätzlich nicht in Frage, dann schüttet man das Kind mit dem Bade aus. Abtreibungen sind bis zum dritten Monat möglich, und wir diskutieren jetzt darüber, ob überzählige Embryonen vernichtet werden müssen oder ob man an ihnen forschen darf. Die Diskussion zeigt, wie vielschichtig das Problem ist und wie sehr die Gesellschaft schon in eine Richtung gegangen ist.

die furche: Sie sind mittlerweile der dritte Wissenschafter am Institut für Molekulare Pathologie, der den Wittgensteinpreis gewonnen hat. Worin besteht das Geheimnis dieses Instituts?

Busslinger: Einerseits haben wir die Narrenfreiheit der akademischen Forschung. Andererseits sind wir zu über 80 Prozent von Boehringer Ingelheim finanziert. Und wir haben eine sehr schlanke Führungsstruktur. Bei den Universitäten ist es in ganz Europa immer dasselbe: Entscheidungsprozesse sind ausgesprochen schwerfällig. Vor zweieinhalb Jahren wollte ich etwa eine neue Chiptechnologie hier einführen. Das kostete natürlich einen Batzen Geld - rund 160.000 Dollar. Wir haben kurz darüber beraten. Zwei Wochen später war der Fall geritzt. An der Universität müssen zuvor alle möglichen Meinungen eingeholt werden. Aber auch Internationalität gehört zum Erfolgsrezept. In meiner Gruppe kommt fast jeder aus einem anderen Land.

die furche: EU-weit prognostiziert man im Bereich Naturwissenschaften einen Forschermangel von einer halben Million. Viele beklagen den Brain-Drain in die USA...

Busslinger: Amerika krankt am gleichen Syndrom. Auch dort wollen talentierte junge Leute nicht mehr in die Forschung gehen und sagen, das ist uns zu hart, wir werden nicht so gut bezahlt, wie etwa im Consulting-Bereich. In Amerika hat man sich halt dazu entschieden, Asiaten zu rekrutieren. Wenn man dort in ein Labor geht, besteht das meist zur Hälfte aus Asiaten. Auch für uns wird es immer schwieriger, Postdoktoranden zu bekommen. Vielleicht kommt es ja dadurch zur Trendwende, dass sich immer mehr Startup-Biotechnologiefirmen um die Unis bilden und neue Jobmöglichkeiten entstehen.

die furche: Nun will man in Österreich aufholen und die Forschungsquote von 1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2005 auf 2,5 Prozent heben.

Busslinger: Bis jetzt sind das nur große Worte gewesen. Österreich liegt fast auf dem letzten Platz. Aber das hat auch mit der Art zu tun, wie die Leute hier aufwachsen. In der Schweiz haben wir immer gehört, dass wir keine Rohstoffe haben, nur Brainpower, und daher müssen wir in Universitäten investieren und versuchen, vorne in der Technologie dabeizusein. Dieser Gedanke scheint mir in Österreich nicht besonders vorzuherrschen. Wenn man fragt, wo man investieren sollte, heißt es, in Kultur oder Tourismus. Nichts gegen Kultur, die ich in Wien sehr schätze, aber der Rohstoff Brainpower wird hier zu wenig wertgeschätzt.

die furche: Der Wittgensteinpreis ist mit 15 Millionen Schilling dotiert. Wofür wollen Sie diese Mittel verwenden?

Busslinger: Ich möchte einem höchsttalentierten Nachwuchsforscher die Chance geben, seine eigene Gruppe hier am Institut zu gründen, auf meinem Gebiet der Immunologie oder Stammzellbiologie. Wir werden das international ausschreiben und den auswählen, der am ehesten inhaltlich überzeugt und in unser Team passt.

Das Gespräch führte Doris Helmberger Zur Person: Arbeiten im Forscherparadies 190 Mitarbeiter aus 25 Nationen, Forschungsfreiheit und ein Jahresbudget von 237 Millionen Schilling: Die Eckdaten des Instituts für Molekulare Pathologie (IMP), beheimatet im Vienna Bio Center im dritten Wiener Gemeindebezirk, lassen Forscheraugen glänzen. Und so fiel es auch Meinrad Busslinger nicht schwer, dem Ruf seines Doktorvaters und Begründers des IMP, Max L. Birnstiel, nach Wien zu folgen. 1952 im Aargau (Schweiz) geboren, studierte Busslinger an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und absolvierte ein Doktorat am Institut für Molekularbiologie der Universität Zürich. Nach Postdoc- und Forschungsaufenthalten in London und San Francisco kam Busslinger 1988 als Senior Scientist an das IMP - ein joint-venture zwischen den Firmen Boehringer Ingelheim (Deutschland) und Genentech (USA). Seit 1996 ist Busslinger außerordentlicher Professor der Universität Wien. Nach Erwin Friedrich Wagner (1996) und IMP-Chef Kim Ashley Nasmyth (1999) wurde Busslinger als dritter Forscher des IMP mit dem Wittgensteinpreis (15 Millionen Schilling) ausgezeichnet. Neben ihm erhielt auch der Genetiker Heribert Hirt für seine Forschungen über die Regulation der Zellteilung bei Pflanzen einen mit 20 Millionen Schilling dotierten Preis.

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