Rom setzt ein Zeichen

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Kardinal Walter Kaspar wird in Moskau die wertvolle "Kasaner Muttergottes" wieder der russischen Orthodoxie übergeben. Doch Moskaus Patriarch Aleksij II. bagatellisiert den zeichenträchtigen Akt.

Das Szenario hatte sich der Vatikan anders vorgestellt. Nicht dass es bereits zu einer eigenen Russlandreise von Papst Johannes Paul II. kommen werde. Diesen langjährigen Herzenswunsch wird die russisch-orthodoxe Kirche dem römisch-katholischen Oberhaupt kaum erfüllen. Aber man hatte im Vorjahr diskutiert, dass der Papst in Zusammenhang mit einer geplanten Reise in die Mongolei einen Zwischenstopp in Kasan an der Wolga, der Hauptstadt der russischen Republik Tatarstan, einlegen werde, um die wertvolle Ikone persönlich zu übergeben. Die Reise wurde aus gesundheitlichen Gründen des Papstes abgesagt. Aleksij II. hätte den Zwischenstopp ohnehin verweigert - die Orthodoxie sieht die Zeit für einen Papstbesuch noch nicht für gekommen.

Höchstverehrte Ikone

Mitte Juli wurde das Tauziehen um die Rückgabe der Muttergottesikone mit der Entscheidung beendet, das Marienbild am 28. August, dem orthodoxen Fest Maria Himmelfahrt, in einer feierlichen Zeremonie in der Himmelfahrtskathedrale des Moskauer Kreml der östlichen Schwesternkirche zu übergeben. Mit der "Kasaner Muttergottes" oder der "Kasaner", wie man sie in Russland nennt, erhält die Orthodoxie einer ihrer höchstverehrten Heiligenbilder zurück.

Über die Entstehung der "Kasaner" ist nichts bekannt. 1597 tauchte sie plötzlich in Kasan auf. Alsbald wurde ihr außergewöhnliche Energie zugesprochen und sie erhielt das Attribut "wundertätig". Auch galt sie als Beschützerin des Vaterlandes. Russische Heerestruppen führten sie mit sich ins Schlachtfeld. 1904 schließlich verschwand die Ikone.

Ihre hohe Popularität hatte schon sehr früh dazu geführt, dass zahlreiche Kopien angefertigt wurden. Wie nun eine Untersuchungskommission - bestehend aus Spezialisten des Vatikan, des russischen Kulturministeriums und des kirchlich-wissenschaftlichen Zentrums "Orthodoxe Enzyklopädie" - jüngst feststellte, handelt es sich bei der jetzt überstellten Ikone nicht um das Original aus dem 16. Jahrhundert, sondern um eben eine solche Kopie, eine so genannte "authentische Ikone", aus dem 18. Jahrhundert. Diese wiederum war 1918 in der Zeit nach der Oktoberrevolution aus Russland in den Westen verschwunden, 1962 in San Francisco aufgetaucht, wo sie zusammen mit anderen Ikonen von einer katholischen Organisation namens "Blue Army of Our Lady in Fatima" aufgekauft und anschließend dem portugiesischen Marienwallfahrtsort Fatima geschenkt wurde.

In des Papstes Gemächern

Von dort wurde sie an den Papst weitergegeben, der sie seither in seiner Privatwohnung aufbewahrte. Die Marienerscheinung von Fatima hatte 1917 kundgetan, dass die Ikone an Russland zurückgegeben werde, sobald das atheistische Land wieder zur Religion zurückgefunden habe.

Die Ikone in den Gemächern des Papstes ist "eine von vielen Kopien", betonte Patriarch Aleksij II. dieser Tage: "Deshalb besteht für den römischen Papst auch keine Notwendigkeit, die Nachbildung der Ikone persönlich nach Russland zu bringen". Ein Papstbesuch wäre gemäß dieser Argumentationslinie nur für den Fall, dass es sich um das Original gehandelt hätte, gerechtfertigt gewesen. Mit der - kürzlich auch bei einem Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin wiederholten - Betonung dieses Umstandes will Aleksij II. nach Meinung ökumenischer Beobachter den Symbolakt bagatellisieren. Unmissverständlich sagte das Oberhaupt der russischen Orthodoxie dieser Tage denn auch, dass abgesehen von der Übergabe der Marienikone "in den Beziehungen zur römisch-katholischen Kirche nichts Neues festzustellen ist".

Tatsächlich gibt es in den Beziehungen der beiden Schwesternkirchen keine Bewegung. Das Verhältnis war auf einen Tiefpunkt gesunken, als Rom Anfang 2002 die Apostolischen Administraturen in Russland in den Status vollwertiger Diözesen erhob. Die russisch-orthodoxe Kirche, der ein blendendes Verhältnis zu staatlichen Behörden nachgesagt wird, reagierte umgehend mit der Ausweisung einiger katholischer Geistlicher und mit aggressivdemonstrativen Aktionen gegenüber katholischen Gemeinden. Generell wirft die Russische Orthodoxie Rom Proselytismus, d.h. die gezielte Abwerbung orthodoxer Gläubiger zum Katholizismus vor. Rom hat diesen Vorwurf stets dementiert. In Russland leben ca. 600.000 Katholiken, großzügige Schätzungen gehen maximal auf eine Million. Interessanterweise hält sich die Orthodoxie gegenüber den Protestanten, die tatsächlich eifrige Missionstätigkeit betreiben, mit Kritik zurück. Das Moskauer Patriarchat stößt sich darüberhinaus an der Existenz der mit Rom unierten Ostkirche in der Ukraine.

"Extremistische Gefahr"

Generell argumentiert die Orthodoxie mit der Prämisse, dass Russland und in Verlängerung auch die Ukraine ihr "kanonisches Territorium" ist. Der Kampf mit dem Katholizismus ging Ende 2002 so weit, dass ein Dokumentenentwurf für eine Sitzung des Rates zur Kooperation mit religiösen Organisationen beim russischen Präsidenten die katholische Kirche als "extremistische Gefahr für Russlands Sicherheit" nannte.

Johannes Paul II. hingegen gab in den letzten Jahren klar zu verstehen, dass die Aussöhnung mit der Orthodoxie eines seiner Hauptziele ist. In der Erklärung des Vatikansprechers zur Rückgabe der Kasaner Muttergottesikone heißt es, der Papst hoffe, dass die "römische Pilgerfahrt der Madonna von Kasan" die ersehnte Einheit zwischen Katholiken und Orthodoxen fördere. Unter Insidern der orthodoxen Religionspolitik in Russland kursiert die Vermutung, dass der potenzielle Nachfolger Aleksijs II. mit einer Aussöhnung in die Kirchengeschichte eingehen wolle, eine solche also derzeit noch hinausgezögert werde.

Jenseits der Spekulationen wird Kurienkardinal Walter Kasper mit einer römischen Abordnung die "Kasaner Muttergottes" am Samstag in Moskau überbringen.

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