Rütteln am Fundament der Waldorfschulen

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Waldorfschulen sind auch hierzulande populär. Wie gehen diese Bildungsinstitutionen in der Tradition Rudolf Steiners aber mit Vorwürfen um, sie würden Okkultismus und Rassismus verbreiten?

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Waldorfschulen sind auch hierzulande populär. Wie gehen diese Bildungsinstitutionen in der Tradition Rudolf Steiners aber mit Vorwürfen um, sie würden Okkultismus und Rassismus verbreiten?

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Als praktizierende Anthroposophen bewähren sie sich tagtäglich in der Hinwendung zum Kind - zum jungen Menschen", lobte Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer die Waldorfpädagogen anläßlich der österreichischen Waldorftage 1997. Und auch der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll sprach bei der Eröffnung der Rudolf Steiner Landschule Schönau vor drei Jahren vom "faszinierenden Modell Waldorfschule". Waldorfschulen genießen nicht nur bei Politikern hohes Ansehen. Für viele Kinder sind sie eine Alternative zum staatlichen Bildungssystem: Herkömmliche Schulen setzen auf Leistung, Druck und intellektuelle Entwicklung - Waldorfschulen auf Musik, Kreativität und Ganzheitlichkeit. Das sagen jedenfalls überzeugte Waldorfeltern.

Doch das Idyll Waldorfschule hat einen Riß bekommen. Schuld daran sind die beiden deutschen Journalisten Guido und Michael Grandt: sie behaupteten 1997 in ihrem "Schwarzbuch Anthroposophie", daß der Gründer der Waldorfschulen, Rudolf Steiner (1861-1925), Okkultist und Rassist gewesen sei. Und noch schlimmer: die Grandts werfen Waldorfpädagogen vor, daß sie in ihrem Unterricht die rassistischen Geheimlehren Steiners einfließen ließen. Als Beweise führen sie Hefte deutscher Waldorfschüler an, in denen Sätze wie der folgende zu lesen seien: "Am Rande des Regenwaldes leben die Neger, wenn ein Forscher dort hingeht und einem Neger zum Beispiel eine Stereoanlage schenkt, kann er in drei Minuten alle Knöpfe und Schalter gut bedienen." Solche Äußerungen seien - so die beiden Brüder Grandt - kein Einzelfall und auch kein Wunder. Viele Waldorflehrer würden nämlich als überzeugte Anhänger Steiners sein rassistisches Welt- und Menschenbild kritiklos übernehmen und an Kinder weitergeben.

Nicht nur deutsche Waldorfschulen wehrten sich gegen diese Vorwürfe. Der Rudolf Steiner-Schulverein Wien-Mauer und die übrigen österreichischen Waldorfschulen erreichten vor dem Oberlandesgericht Wien 1998 eine einstweilige Verfügung gegen das "Schwarzbuch". Der Carl Ueberreuter Verlag, in dem das Buch erschienen war, akzeptierte einen Vergleich und nahm es vom Markt. Doch im selben Jahr erschien ein neues Buch der Brüder Grandt: Titel und Verlag haben sich zwar geändert, doch "Waldorf-Connection" (Alibri-Verlag, Aschaffenburg 1998) erhebt dieselben Vorwürfe wie das "Schwarzbuch". Und auch die Reaktion der Waldorfschulen ist dieselbe: Die Prozeßlawine gegen "Waldorf-Connection" ist in Deutschland bereits angelaufen.

Im gerichtlichen Schlagabtausch droht eine Frage unterzugehen: Sind die Brüder Grandt nur zwei sensationslüsterne Journalisten, die keine Ahnung haben, wovon sie reden? Oder ist doch etwas dran an den Vorwürfen?

62 Stellen inkriminiert Petrus van der Let, Regisseur der Filme "Erlöser" und "Rasse Mensch", fordert schon seit Jahren einen kritischen Umgang der Anthroposophen mit dem geistigen Erbe ihres Gründervaters. "Es geht nicht darum, die gesamte Anthroposophie auszuleeren!", betont er. "Aber eine Institution, die Schulen betreibt, sollte sich mit sowas auseinandersetzen. Auch das Christentum setzt sich heute mit Antijudaismus auseinander. Nur bei den Anthroposophen herrscht Redeverbot. Sie halten an ihrem Guru Rudolf Steiner fest und gehen sektenartig gegen Kritiker vor."

Van der Let macht auch darauf aufmerksam, daß 1996 die Holländische Anthroposophische Gesellschaft selbst eine Untersuchung zu Steiners Vorstellungen über Rassen in Auftrag gegeben habe. Das Ergebnis: 62 Textstellen sind aus heutiger Sicht diskriminierend, ja sogar strafbar. Dabei sind Zitate wie dieses: "... wir geben diese Negerromane den schwangeren Frauen zu lesen, da braucht gar nicht dafür gesorgt zu werden, daß Neger nach Europa kommen, damit Mulatten entstehen."

Wieso ist in den Niederlanden eine kritische Auseinandersetzung mit solchen Aussagen Steiners möglich, in Deutschland oder Österreich aber nicht? "Wir würden ja bei acht bis zehn Stellen, die man gerne draußen hätte, etwas eingestehen, was für das ganze Denksystem Steiners falsch ist", erklärt Elisabeth Gergely, Vorsitzende des Österreichischen Dachverbandes der Waldorfschulen. Sie ist überzeugt davon, daß Steiner in seinem Gesamtwerk keine nationalistischen und ethnischen Grenzen kennt. Sein Credo liege vielmehr in einem "menschheitlichen, kosmopolitischen Ansatz", sagt Gergely. "Das ist auch das Credo der Waldorfpädagogik. Natürlich sind Stellen wie dieses sogenannte Negerzitat auch für uns nicht so leicht zu schlucken. Es entstand im Kontext der Arbeitervorträge, von denen ich persönlich sagen würde, daß man die nie hätte drucken sollen. Aber abgesehen von der Diktion seiner Zeit ist Steiner in seinem Gesamtwerk nicht rassistisch." Allerdings - die Kritiklosigkeit gegenüber Rudolf Steiner müsse in anthroposphischen Kreisen zum Teil erst noch überwunden werden. Gergely: "Wir sind da in einem Generationenwechsel. Rudolf Steiner wollte kein Guru sein. Er hat immer gesagt: Prüfen sie selbst!"

Solch selbstkritisches Bewußtsein teilen durchaus nicht alle Anhänger Rudolf Steiners. Das zeigt sich besonders im Streit um seine "Akasha-Chronik", die er 1904 - 08 geschrieben hat. Nur der Eingeweihte kann Steiners visionäres kosmisches Weltengedächtnis lesen: die Entwicklung der "Wurzelrassen" von den Lemuriern über die Atlantier zu den Ariern; die Höherentwicklung der Menschheit durch die Selektion "der Besten" unter der Anleitung des "Hauptführers" Manu; die Vorstellung vom Verfall minderer Rassen "bis auf die "Stufe der Tierheit"; die Fortentwicklung der höchsten Rasse der Arier auf Kosten der niederer Rassen und das Leben im sagenhaften Atlantis.

Daß Sprache und Gedankengut der Akasha-Chronik eng mit gängigen okkulten und rassistischen Ideen der damaligen Zeit verwandt sind, ist von Religionswissenschaftlern wie Harald Strohm eingehend untersucht worden ("Die Gnosis und der Nationalsozialismus". Von Harald Strohm, Suhrkamp TB, Frankfurt 1997, 292 Seiten, öS 167,-/e 12,14).

Atlantis - wertfrei Doch in den Reihen der Waldorflehrer scheint sich diese Erkenntnis noch nicht überall durchgesetzt zu haben. "Die Akasha-Chronik hat doch nichts mit Rassismus zu tun", sagt die Horterzieherin der Rudolf Steiner Landschule Schönau, Sylvia Pozvek: "Man muß sie wertfrei anschauen. Immer wieder wurden Kulturen aufgebaut und zerstört, wie das bei Griechen und Römer zu sehen ist. Rudolf Steiner hat das wahrgenommen. Diese Kulturen, angefangen bei Atlantis, werden als Geschichtsabläufe in den unteren Klassen einfach wertfrei dargelegt." Später, so Pozvek, müsse man sich dann allerdings damit auseinandersetzen, was Menschen aus einer Sache machen." Und sie fügt hinzu: "Ich kann nicht in der Akasha-Chronik lesen, das eine oder andere kann ich nicht nachempfinden. Wir müssten unsere Kräfte entwickeln, dann könnten wir das auch lesen - wie Rudolf Steiner, der seine Fähigkeiten entwickelt hat."

Nächste Woche in der Furche: Verschleiert die Waldorfpädagogik eine okkulte, esoterische Weltanschauung?

ZUM THEMA ANTHROPOSOPHIE Ihr Begründer, der altösterreichische Denker, Naturbeobachter und Pädagoge Rudolf Steiner (1861-1925), verstand die Anthroposophie als Geisteswissenschaft, die das Tor zu einer übersinnlichen Welt öffnen kann. Nach Darstellung ihrer Vertreter ist Anthroposophie ein "kulturerneuernder christlicher Impuls im umfassenden Sinn".

Grundlagen der Anthroposophie sind: * Die Anschauung von Reinkarnation und Karma, von Wiederverkörperung und Schicksal: Die Geistseele des Menschen existiert schon vor der Geburt, verbindet sich dann mit dem Leib und tritt in ihr selbständiges irdisches Dasein ein. Sie erlebt ihr Schicksal und verläßt im Tod die irdische Hülle. In den ersten drei Tagen danach erblickt der Mensch sein vergangenes Erdenleben. Er erlebt die Schmerzen, die er seinen Mitmenschen zugefügt hat als seine eigenen. Dies weckt in ihm den Willen zur Wiedergutmachung in seinem nächsten Erdenleben.

* Die Auffassung vom Menschen als einer Dreiheit von Leib, Seele und Geist.

* Die Verwandtschaft des Menschen mit den Naturreichen: sein physischer Leib ist verbunden mit dem Mineralreich, sein Ätherleib (Wachsen, Fortpflanzungsfähigkeit) mit dem Pflanzenreich und sein Astralleib (Sinneswahrnehmungen, Empfindungen) mit dem Tierreich; die leibliche Grundlage seines Ichs gehört dem Menschenreich an.

* Die Auffassung von der gegenwärtigen Welt als Teil eines Weltsystems, das in ständiger Entwicklung ist.

* Die Siebenjahres-Perioden in der Entwicklung des einzelnen Menschen: Mit dem siebten Lebensjahr, der Zeit des Zahnwechsels und der Schulreife, werden die "Lebensbildekräfte" frei, die Grundlage für alles Lernen, für Gedanken und Gedächtnis sind. Mit dem 14. Lebensjahr entfaltet sich das persönliche Seelenleben; seine Ich-Reife erlangt der Mensch mit dem 21. Lebensjahr.

A. W.

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