Rütteln an geglaubten Wahrheiten

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Anna Badora spricht im Interview mit der FURCHE über ihre Kindheit und Jugend in Polen, ihre emotionale Bindung an das Volkstheater sowie eine Bühne der Diversität und Vielfalt.

Die Furche: Welche Erlebnisse haben Sie als Kind geprägt?

Anna Badora: Die Kontraste im kommunistischen Polen. Da streute ich als 14-Jährige im weißen Kleid am Vormittag Blumen bei einer kirchlichen Prozession, und nachmittags nahm ich in Uniform am Militärunterricht mit Waffe teil. Wir bekamen früh Verantwortung für die Gemeinschaft und die Schwächeren beigebracht, säuberten Parkanlagen und lasen Alten in Heimen Geschichten vor. Bei meiner Oma dagegen musste ich gesellschaftlichen Anstand lernen.

Die Furche: Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Badora: Ich hatte damals unterschiedliche Interessen und Talente, war eine erfolgreiche Leistungssportlerin, hatte aber auch große Freude an den Naturwissenschaften, hätte also vieles machen können. Bei einem Rezitationswettbewerb, den ich als 16-Jährige unbedingt gewinnen wollte, um mit dem Preisgeld meinem jungen Onkel einen Reifen für sein Motorrad ersetzen zu können, stand ich dann erstmals auf der Bühne. Ich gewann, weil ich die Zuschauer zu Tränen rührte mit den vorgetragenen Gedichten. Diese Erfahrung hat mich zum Theater gebracht. Die Begeisterung ist geblieben.

Die Furche: Wie war die Veränderung für Sie, von Polen wegzugehen und in Wien anzukommen?

Badora: Nach meinem Magister als Schauspielerin in Krakau besuchte ich als Touristin Wien und verliebte mich sofort in die Stadt. Ein Jahr später gelang es mir, mit einem Rucksack und 100 Dollar ausgestattet den eisernen Vorhang über unglaubliche Umwege und unter größten Schwierigkeiten zu überwinden. Ich brauchte knapp zwei Jahre, um Deutsch zu lernen, mir das Geld für das Max Reinhardt-Seminar mit Putzen und als Regieassistentin in St. Pölten zu verdienen, um endlich wagen zu können, die Aufnahmeprüfung als Regiestudentin anzugehen.

Die Furche: Sie beweisen viel Mut und haben gesagt, dass Sie die "Komfortzone Graz“ dafür verlassen. Was reizt Sie am Volkstheater, diesem in Wien finanziell und künstlerisch so schwierig aufgestellten Haus?

Badora: Ich habe zugesagt, weil es eine riesige neue Herausforderung für mich und mein Team sein wird und ich in dem großen, traditionsreichen Volkstheater sehr viel Potenzial sehe. Eine Neudefinition des Begriffs "Volkstheater“ und davon abhängig dem Haus ein neues künstlerisches Profil zu geben ist notwendig, aber reicht noch nicht aus. Viel Potenzial ist in einigen bislang einzementierten Strukturen verborgen, die wir rigoros und ergebnisoffen überprüfen müssen, um die notwendige Flexibilität für den künstlerischen Etat zu verbessern. Das ist eine gigantische Aufgabe, für die ich jegliche Unterstützung benötige, die ich kriegen kann, insbesondere Geduld und Vertrauen, nicht nur von den Verantwortlichen und Beteiligten, sondern besonders von den Wienern. Außerdem habe ich eine emotionale Bindung an das Haus aus meiner Zeit als Regiestudentin und durch meine beiden Inszenierungen als junge Regisseurin.

Die Furche: Was bedeutet "VOLKSTHEATER“ für Sie?

Badora: Die Globalisierung ist nicht mehr nur ein Begriff aus den Medien, sondern erreicht in den Auswirkungen längst die Menschen in ihren Stadtteilen und Communities. Wenn in Syrien ein Bürgerkrieg tobt, tauchen eben über kurz oder lang auch syrische Flüchtlinge mit ihrer eigenen Kultur in der realen Nachbarschaft auf und ändern langfristig die Bevölkerungs- und damit auch die Gesellschaftsstruktur. Das "Volk“ ist eben längst nicht mehr eine homogene Zielgruppe mit gemeinsamen nationalen und kulturellen Wurzeln, Sozialisationen und Erfahrungen, sondern wir haben es mit vielen "Völkern“ zu tun.

Das Volkstheater muss mit seinen Themen und auch Formaten dieser Diversität der sich ständig wandelnden Gesellschaft Rechnung tragen. Trotzdem muss möglichst großen Zuschauerkreisen die Möglichkeit der Identifikation mit den auf der Bühne aufgegriffenen Themen gegeben werden. Dem entspricht eine angestrebte ästhetische Vielfalt - vom klassischen Stückbegriff, darin auch das österreichische Volksstück, dem großen Drama des handelnden Subjekts in der Geschichte bis zu neuen Formaten und Forschungsprojekten.

Die Furche: Innerhalb der sehr stark männlich dominierten Intendanzen stellt sich natürlich die Frage, ob und wie Sie sich dem Thema Geschlechterverhältnisse widmen werden.

Badora: Ich bin ja nicht die erste Frau am Volkstheater. Mit Emmy Werner hatte das Volkstheater ja bereits eine hervorragende Chefin und zwar 17 Jahre lang. Künstlerisch unterscheide ich nicht zwischen weiblichen oder männlichen Regisseuren, sondern zwischen guten und schlechten. Natürlich ist mir bewusst, dass viele junge Regisseurinnen immer noch initiale Akzeptanzprobleme haben. Denen den Start zu erleichtern, ist mir ein großes Anliegen. Ich widme mich bevorzugt zeitgenössischen Themen, wie aus meinen Spielplänen der letzten Jahre deutlich erkennbar ist. "Geschlechterverhältnisse“ ist nach wie vor eins der Themen, das die Diskussion in der Gesellschaft beherrscht, daher werde ich mich diesem Thema natürlich ebenfalls widmen. Als Stichworte seien hier nur einige genannt: unterschiedliche Bezahlung von Mann und Frau in vergleichbaren Positionen; deutlich geringerer prozentualer Anteil von weiblichen Führungskräften; die aktuelle Diskussion einer gesetzlich vorgeschriebenen Frauenquote in Aufsichtsgremien in Deutschland usw.

Die Furche: Welches Profil möchten Sie dem Volkstheater geben? Wie und wohin denken Sie, kann man es neu positionieren?

Badora: Das Volkstheater muss eine sinnvolle Bereicherung der Theaterlandschaft der Stadt Wien darstellen. Ich sehe vier Eckpunkte, die das Volkstheater diesbezüglich profilieren werden. Der Vorteil ist, dass ich dabei auf meine Erfahrungen aus Düsseldorf und zuletzt sieben Jahre in Graz bauen kann:

* Internationale Regisseure und nachhaltige internationale Kooperationen. Ausländische Autoren werfen einen Blick von außen auf die Stadt und das Land.

* Das Theater der Stadt gegenüber öffnen, in die Stadt und Stadtteile hinein gehen, Themen der Stadt auf die Bühne holen.

* Junges Volkstheater: nicht nur Jugend ansprechen, sondern auch einbeziehen. Neue von der Jugend bevorzugte digitale Kommunikationsstrukturen und -mittel theatral nutzen.

* Pflege zeitgenössischer österreichischer Autoren, auch Nachwuchsautoren, um die Diskussion über regionale Aspekte und zur Identitätsfindung anzustoßen. Pflege und Neuaneignung des kulturellen Erbes unter dem Blickwinkel heutiger gesellschaftlicher Entwicklungen.

Die Furche: Welche Rolle nimmt das Theater aus Ihrer Sicht ein?

Badora: Theater, wie ich es verstehe, bringt die aktuellen Fragestellungen auf die Bühne, die die Gesellschaft und den einzelnen Menschen beschäftigen. Es macht auf vernachlässigte, verdrängte oder künftige Problematiken aufmerksam, erweitert Horizonte und rüttelt an fest geglaubten Wahrheiten. Es bietet zwar keine Rezepte für die Lösung der Probleme der Gesellschaft, es fördert aber die Diskussion darüber und zeigt Alternativen und Utopien auf, auch wenn sie politisch unkorrekt sein sollten. Indirekt verändert die Bühne damit auch die Wirklichkeit.

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