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Ruf nach einem einfachsten Sozialprogramm

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Das soziale und ökonomische Geschehen zeigt sich dem Betrachter stet6 als ein Komplex von Tatsachen, den in seine Bestandteile und letzte Einheiten aufzulösen und zu deuten der wissenschaftlichen Forschung überlassen bleiben muß. Hier liegt unbestritten die große und verpflichtende Aufgabe der Sozialwissenschaften. Ihre Sprache aber ist notwendig eine Fachsprache, für den Laien voll von dunklen, vieldeutigen Ausdrücken, ihre Formulierungen, Modelle und Rezepte sind nur dem Spezialisten verständlich.

Der Christ in der Welt, sagen wir besser: der durchschnittlich gebildete

Christ, steht aber, trotz brennendem Interesse an den sozialen Fragen, vor der Sprache der sozialen Wissenschaft ohne rechtes Verständnis. Wer wie der Autor in der Bildungsarbeit steht und um einem Teil die elementaren Anliegen des christlichen Volkes zu kennen glaubt, weiß, wie sehr dieses christliche Volk heute nach einer Antwort insbesondere in dpn sozialen Fragen drängt, aber einer Antwort, die ihm verständlich und plastisch anschaulich vorgetragen wird. Hat doch die Gegenseite ihre wahrhaft klassischen und einfachen Formulierungen jederzeit und in einer verwirrend überzeugenden Sprache zur Hand. Bei uns aber werden, wenn über soziale Fragen gesprochen wird, immer wieder alle Register hohen Intellekts gezogen und Formulierungen gewählt, die oft auch dem gebildeten Nichtfachmann unverständlich sind. Daher der Ruf der Volksbildung und der Kanzel nach einer S i m p 1 i f i- k a t i o n in der katholischen Diskussion.

Vereinfachung bedeutet aber beileibe nicht eine Häufung von substanzlosen Phrasen (so jene vom „Antreten zur Erfüllung ewigen Gesetzes), wie sie von den wahrlich „schrecklichen" Simplifica- teurs formuliert werden, nicht das Arbeiten mit sogenannten Idealtypen (dem „Kapitalisten , dem „Manager“), die mehr aussagen sollen, als der Wirklichkeit entspricht, sondern eine Reduktion des sachlichen Wahrheitsgehalts auf seine geradezu repräsentativen Merkmale und zudem die Darstellung in einer Sprache, die jedem, der gewillt ist, die soziale Botschaft aus dem Glauben zu hören, auch ausreichend verständlich erscheint, so verständlich, daß er in der Welt nach dieser Botschaft zu handeln vermag. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, anzunehmen, es sei nicht möglich, wissenschaftliche Wahrheiten in der Sprache des Durchschnittsmenschen zu sagen. Im katholischen Bereich hat die fatale Verkennung der Wirklichkeits- bezogenheit gerade der Sozialwissenschaften (die doch Gegenwartswissenschaften sind) daziu geführt, daß die sozialen Forderungen der Christen in der Welt lediglich in der dünnen Luft akademi scher nur-geistreicher Kamindiskussion3n ausgesprochen und den Angehörigen diverser Gehirntrusts zur weiteren Meditation übergeben wurden. Nichts gegen die unerläßliche wissenschaftliche Grundlagenforschung, aber sie ist qicht um ihrer selbst willen da. Wäre es so, dann könnte man hier die Wurzel zu der skandalösen Minderbewertung der wissenschaftlichen Arbeit finden. Die Sozial- reform ist primär ein Anliegen aus christlichem Gewissen und nicht eine Sache von Meditationen allein; sie ist etwa nicht vom gleichen sachlichen und aktuellen Gehalt wie zum Beispiel die Frage der Sozialmetaphysik des Mittelalters, sondern gegenwartsbezogen aus dem

Willen geboren, die Erlösungstat im Bereich des gesellschaftlichen Lebens konkret zur Auswirkung zu bringen.

Wir brauchen also die Simplifikationen, so etwas wie in einfachsten Worten eine Generallinie des katholisch-sozialen Denkens, das aber keineswegs getrennt werden darf von seinen sachlichen Hintergründen, der Wirklichkeit von Gesellschaft und Wirtschaft, und das die Vermengung von dem, was sein soll (den Postuiaten), mit dem, was ist, peinlichst vermeidet.

Ich weiß, man wird mir da sagen, daß ein solches Unterfangen nicht gut möglich sei, und wird in diesem Zusammenhang auf die Richtungen im modernen sozialen Katholizismus (von dem uns A. M. Knoll einen glänzenden dogmengeschichtlichen Grundriß gegeben hat) hinweisen. Der Richtungsstreit ist da, wenn er auch von seiner alten, bis in persönliche Auseinandersetzungen gehenden Schärfe verloren hat, aber der alte Kapitalismus", der durch seine Vertreter weithinein in das katholische Lager reichte, hat sich erheblich gewandelt und mit ihm sein Widerpart, der Sozialismus, der ihm in der Gegenwart beachtliche kollektivkapitalistische Institutionen entgegenzusetzen vermag. Die Christen von heute sind mehr denn je identisch mit der Masse der „kleinen“ Leute und leben nicht mehr in der kapitalistischen Befangenheit des vergangenen Jahrhunderts. Wir können sagen, daß der „Reiche" weithin am jenseitigen Ufer steht. Aber noch sind die Richtungen da, Gott sei Dank, zeugen sie doch von der Breite, die der innerkatholischen Diskussion eingeräumt ist. In der Analyse der sozial-

ökonomischen Wirklichkeit kann es keine Generąllinien geben.

Aber gerade wegen der Richtungen muß es möglich sein, vor das katholische Volk mit Formulierungen hinzutreten, die alle, die Wissenschafter und die Praktiker, die Konservativen und die Liberalen, gerade „noch" anzunehmen vermögen, wenn sie auch keinen ganz befriedigen werden. Genauer noch, muß es möglich sein, im Rahmen der sozialen Unterweisung zu derartigen Postuiaten vorzustoßen, bei denen ein Andersdenken einfach nicht mehr als christlich angesehen werden kann. Ich denke da etwa an die Elementarforderung, daß jeder Mensch die gleiche soziale Ausgangschance haben müsse, oder an das Verlangen nach dem Soziallohn. Ja, wir können annehmen, daß solche Grundforderungen die Menschen weit über den katholischen Raum anzusprechen vermögen, wenn sie sich ein gesundes Denken bewahrt haben. Diese Grundsatzforderungen könnten so formuliert sein, daß der sozialliberale Katholik, der an der gegebenen Ordnung unmittelbar interessiert ist und sie nur berichtigen will, ebenso „ja" zu sagen vermag wie der Sozialkonservative, dem daran gelegen ist, über die Sozialpolitik zur Sozialreform zu kommen und die bestehende Ordnung, als an sich schlecht, aus ihren Ansätzen heraus institutionell zu ändern. Aber auch der Sozialrevolutionäre, der, jedem Kompromiß mit der gegenwärtigen Ordnung abgeneigt, in ihr auch keine Ansätze für eine Neuordnung sieht, könnte wohl auf programmatische Formulierungen verpflichtet werden, die er mit seinen Thesen in Einklang zu bringen vermöchte.

Freilich, rund das ist ja die große Not der Vereinfacher, die Kirche hat kein konkretes, im Einzelfall unmittelbar anwendbares Sozialrezept, ganz abgesehen davon, daß wir erkennen müssen, daß die soziale Frage in ihrem Gesamt unlösbar ist und eine positive Ordnung immer nur einen Annäherungszustand gegenüber einer (gedachten) ailen Prinzipien gerecht werdenden Ordnung darstellt. Das, was wir soziale Frage nennen, ist ein von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit (wenn nicht gar von Betrachter zu Betrachter) durchaus verschiedener Index sozialer Zustände (Mißstände). Aber es geht bei unserem Anliegen auch nicht um die Rezepte, um die dosierten und für jede mögliche Phase menschlichen Handelns brauchbaren Verhaltensweisen, um einen neuen, kasuistischen Katalog sozialer Aktion, sondern um allgemeinste Richtlinien christlichen Verhaltens in der Welt, die da sein müssen, wenn nicht das Christliche an der Schwelle der kon kreten Bewährung aufgehalten und zu einer Methode von Selbstbetrachtungen werden oder in kultischer Übung erstarren soll.

Wenn auch das Interesse am Sozialen zugenommen hat, so doch nicht beim katholischen Volk schlechtweg, sondern bei den Intellektuellen, die jetzt selbst befangen sind, stehen sie doch teilweise bereits auf der untersten Stufe in der Einkommenshierarchie. Kein Wunder, daß sie, der Umklammerung ihres Milieus verfallen, in der sozialen Frage auch eine sie unmittelbar in ihrer ökonomischen Existenz, in ihrem Lebensstandard berührende Frage sehen, die sie unter anderem auch im Eigeninteresse zu lösen haben (ich erinnere daran, was H. de Man über das Idee-Interesse-Problem im Marxismus gesagt hat). Bei allen Kursen über soziale Fragen kann man das feststellen: Nur ein Bruchteil der Interessenten stammt aus dem Stand der Handarbeiter oder gehört zu jener Schichte, die man in einer verwaschenen Ausdrucksweise als „einfaches" Volk bezeichnet. Die Masse sind die Intellektuellen einschließlich jener, die sich dazu rechnen. Daher muß sich die Sprache nach ihnen, der Mehrheit, richten.

Ich meine also, daß wir versuchen sollten, für Österreich mit seinen konkreten Problemen von heute ein einfachstes Sozialprogramm zu geben, knapp formuliert, dem gesunden Menschenverstand einsichtig, so abgefaßt, daß die Katholiken in der Vielfalt ihrer Meinungen miteingefaßt werden können. Erst so wäre die katholische Sozialwissenschaft in Österreich mit ihrer hervorragenden Tradition und ihren großen Köpfen vor dem katholischen Volk gerechtfertigt und käme aus der Sackgasse einer oft unheilvollen, weil unfruchtbaren Diskussion zur Chance, eine in die Welt, auch in die industrielle Arbeitswelt hinein verlängerte Form der Lehrverkündigung zu werden. Gleichzeitig wäre dem Christen in der Welt in einer Zeit unerhört geschärften Sozialbewußtseins die Möglichkeit gegeben, aus seiner elementaren Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit heraus an der sozialen Neuordnung nicht nach privatem Ermessen allein, sondern unter Beachtung der Thesen des Dekalogs mitzuwirken

Auch für die Sozialwissenschaft gilt also der entschiedene Anruf der deutschen Katholiken: „Tut etwas.“

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