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Vor 800 Jahren wurde Rumi geboren. Ein Film spürt den Spuren des islamischen Mystikers nach.

Den islamischen Theologen, Dichter und Mystiker Dschallaludin Rumi würde man vielleicht nach heutigen Maßstäben einen hybriden Dichter nennen: er beherrschte Persisch, Türkisch und Griechisch und verwendete diese Sprachen auch in seiner Dichtung - und er war ein Migrant. Geboren wurde er 1207, vor 800 Jahren im heutigen Afghanistan, in der alten Kulturstadt Balkh an der Seidenstraße, in der hellenistische und buddhistische Traditionen damals noch immer lebendig waren. Die Elite von Balkh hatte erst um das Jahr 1100 den Islam angenommen. Balkh gehörte damals zum Herrschaftsgebiet der Seldschuken. Diese sunnitischen Dynastien, die in verschiedenen politischen Konstellationen die Gebiete zwischen Industal und Mittelmeer beherrschten, gingen nur gegen ihre politischen Gegner aus anderen islamischen Richtungen mit Gewalt vor, ansonsten ließen sie die Menschen gewähren.

Rumi emigrierte als Jugendlicher mit seinen Eltern nach Anatolien. Nach heutigen Maßstäben waren sie Flüchtlinge. Es scheint, dass sein Vater, der Gelehrte Baha'uddin Walad, sich und seine Familie vor den Mongolen in Sicherheit bringen wollte, noch bevor diese wilden Steppenkrieger ihre Heimatstadt dem Erdboden gleichgemacht und sie ermordet hätten. Die Familie wurde im Reich der Rum-Seldschuken in Konya ansässig, wo man gebildete Migranten gerne aufnahm.

Platons Philosophie und hellenistisch-christliches Gedankengut waren hier lebendig. Es gab eine theologische und eine naturwissenschaftliche Hochschule und eine ganze Reihe bedeutender Gelehrter, die ebenfalls vor den Mongolen nach Konya geflüchtet waren. In Konya ist Rumi auch begraben, bis heute pilgern jährlich Hunderttausende zu seinem Grab.

Von Konya nach Balkh

Houchang Allahyaris Semi-Dokumentar-Film Rumi - Poesie des Islam verfolgt Rumis Weg rückwärts, von Konya nach Balkh. In türkischen, iranischen und afghanischen Bazaren ist Rumi bis heute bekannt. Viele können auch seine Verse singen. Deutlich wird in den Interviews aber auch das west-östliche Reichtumsgefälle: ersichtlich an Kleidung, am Zustand der Zähne oder - vor allem in Afghanistan - der Häuser.

Wäre Rumi heute aus Afghanistan geflüchtet, hätte er wenig Chancen, als Gelehrter und Theologe unter guten Bedingungen arbeiten zu können. Im 13. Jahrhundert waren die Voraussetzungen besser - auch wenn die unterschiedlichen islamischen Herrscher unterschiedlichen Kulturen angehörten, spielten Ländergrenzen und Nationalitäten kaum eine Rolle.

Wer damals in Córdoba im maurischen Spanien einen Wechsel ausstellte, konnte darauf zählen, dass sein Geschäftspartner in Delhi diesen Wechsel einlösen würde.

Auch wenn die islamischen Reiche untereinander Kriege führten, die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der westlichen und östlichen islamischen Welt - letztere reichte bis an die Grenzen Indiens und Chinas - florierten, ebenso die Wissenschaften. Europa war damals ein Schwellenland, abhängig von Kultur-, Technologie- und Wissensimporten aus der westlichen islamischen Hemisphäre - vor allem aus dem maurischen Herrschaftsgebiet.

Der Gelehrte, Theologe und Mystiker Rumi gehörte dem östlichen islamischen Kulturraum an, der im 13. Jahrhundert in etwa vom östlichen Mittelmeer bis nach Bengalen reichte. In Europa wurde Rumi erst 600 Jahre später, Anfang des 19. Jahrhunderts durch den österreichischen Orient-Forscher Josef Freiherr von Hammer-Purgstall bekannt - und dann rasch unter gebildeten Liebhabern des Orients auch berühmt.

Rückerts Übersetzungen

Viel dazu beigetragen haben die Übersetzungen, die der Dichter Friedrich Rückert 1819 von Rumis Versen publizierte. Einer der bekanntesten ist wohl:

Siehe, ich starb als Stein und ging als Pflanze auf / starb als Pflanze und nahm darauf als Tier den Lauf / starb als Tier und ward ein Mensch. / Was fürcht ich dann / da ich durch Sterben nicht minder werden kann? / Wieder, wann ich werd als Mensch gestorben sein / wird ein Engelsfittich mir erworben sein /und als Engel muss geopfert sein ich auch /werden, was ich nicht begreif, ein Gotteshauch.

Man hat Rumi wegen dieser Zeilen unter anderem zum Darwinisten ernannt, aber auch zum Anwalt der Reinkarnationslehre. Beides ist falsch. Man muss auch die letzten Zeilen des Gedichts lesen, die Rückert nicht mehr übersetzt hat, wie Annemarie Schimmel schreibt: O lass mich nicht-sein! Denn das Nichtsein ruft / mit Orgeltönen aus: Zu Ihm kehrn wir zurück.

Rumi ist Mystiker - einer, dem nichts in der Welt so ordinär ist, dass er darin nicht den Geliebten sieht. Wie die Motte das Licht sucht er nichts anderes als Gott, um sein Ich in der Liebe Gottes zu verbrennen wie die Motte in der Flamme - ein Bild, das Rumi gebrauchte.

Neben den klassischen islamischen Wissenschaften - Theologie, Jurisprudenz und Medizin - gab es zu Rumis Zeiten auch eine breit gefächerte islamische Frömmigkeits-Bewegung, die ihre Wurzeln auf den Propheten Mohammed zurückführte-die Sufis. Ihnen ging es um die Erfahrung des tauhid, der Einheit und Einzigkeit Gottes. Sufis konnten schlichte Asketen sein, volkstümliche Figuren, aber auch große Gelehrte wie Rumi. Zwar gab es einige unter ihnen, die als Häretiker verurteilt wurden, wobei da oft politische Fragen mitgespielt haben dürften - etwa bei al-Halladsch, der 922 in Bagdad hingerichtet wurde. Im Großen und Ganzen waren die Sufis fromme Muslime, die nach besonderen Methoden suchten, um Gott zu erfahren. So wie christliche oder jüdische Mystiker kritisierten Sufis religiöse Buchstabengläubigkeit, doch nicht ihre Religion.

Der mystische Funke, der Rumi entfachte, war die Begegnung mit dem Wanderderwisch Shams aus Täbriz. Was für kritische westliche Augen wie eine homoerotische Leidenschaft aussehen mag, entsprach durchaus kulturellen Umgangsformen - einerseits. Doch die Ausschließlichkeit, mit der sich Rumi Shams zuwandte, führte andererseits zu Ärger und Eifersucht unter seinen Schülern und schließlich zur Ermordung von Shams. Die Beziehung zu einem Menschen wurde für Rumi zum Fokus des mystischen Verlangens nach Gott.

Liebende sehen die Dinge, so wie sie wirklich sind. Denn sie sehen mit der Klarheit göttlichen Lichts, und ihre Liebe spricht die Mängel frei, dichtete Rumi.

Der Islam der Sufis

In seinem Film lässt Allahyari die Geschichte von Rumi und Shams durch zwei Protagonisten nachstellen. Die beiden treffen einander in Konya: ein iranischer Gelehrter und Rumi-Kenner, der in Wien lebt, und ein junger bosnischer Muslim, der sich aus seiner noch immer zerstörten Heimat nach Konya aufgemacht hat, auf der Suche nach dem verlorenen Islam.

Denn Rumis Islam - und der Islam der Sufis - setzt andere Schwerpunkte als der fundamentalistische und legalistische Islam, der derzeit in den Medien lautstark in Erscheinung tritt. Bisweilen sind wir sichtbar, bisweilen verborgen, bisweilen Muslime, Christen oder Juden; wir durchlaufen viele Formen, bis unser Herz Zufluchtsstätte für alle wird, schreibt Rumi.

Ein Herz, das Zufluchtsstätte für alle ist - das klingt wie eine Utopie, ein Nirgendsort in Zeiten der interkontinentalen Raubritter und lokalen Bürgerkriege. Vor allem nimmt man nicht an, dass es im Islam einen breiten Traditionsstrom dieser Art gibt. Die Gegner des Sufi-Islam sind nicht nur die strengen Wahhabiten, sondern auch die gestrengen westlichen Aufklärer, denen ebenfalls die tanzende Derwische des auf Rumi zurückgehenden Mevlevi-Ordens, aber auch alle ähnlichen Formen dieser Art von Religion suspekt sind. Dass ein Herz, das Zufluchtsstätte für alle ist, heutzutage auch staatspolitische Dimensionen annehmen könnte, möchte Allahyari in seinem Film deutlich machen. Neben Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi lässt er auch den ehemaligen iranischen Staatspräsidenten Mohammed Khatami auftreten, um über Rumi zu sprechen. Dass die UNESCO 2007 zum Rumi-Gedenkjahr erklärt hat, lässt sich als Absichtserklärung verstehen. Das ist ja immerhin schon etwas.

Die Autorin ist Religionswissen-schafterin und Ö1-Journalistin.

RUMI - POESIE DES ISLAM

A 2007. Regie: Houchang Allahyari, Tom-Dariusch Allahyari. Erzähler: Karla Markovics, Bibiana Zeller. 87 Min.

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