Grande - © APA / AFP / Marvin Recinos    -  Eine Gläubige in El Salvador mit einem Bild von Rutilio Grande SJ, Nelson Rutilio und  Manuel Solórza.no

Rutilio Grande SJ, Nelson Rutilio, Manuel Solórzano: Drei neue Märtyrer

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Er wurde 1977, mit Mesner und ­Ministrant, in El ­Salvador ­ermordet und war Beispiel für den ­Märtyrerbischof Óscar ­Romero. Am 22. ­Jänner wird Rutilio Grande SJ seliggesprochen.

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Er wurde 1977, mit Mesner und ­Ministrant, in El ­Salvador ­ermordet und war Beispiel für den ­Märtyrerbischof Óscar ­Romero. Am 22. ­Jänner wird Rutilio Grande SJ seliggesprochen.

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Nein, diese Predigt stammt nicht aus der NS-Zeit. Könnte sie. Aber sie ist jüngeren Datums. Und führt in ein Land am Pazifik mit der höchsten Bevölkerungsdichte Zentralamerikas: Es ist gefährlich, Christ zu sein in unserer Mitte. Es ist gefährlich, wahrhaft katholisch zu sein! Es ist faktisch illegal, echter Christ zu sein in unserer Mitte, in unserem Land. Sie gipfelte – am 13. Februar 1977 – in einem Gedankenexperiment: der Wiederkunft Jesu in El Salvador („Der Erlöser“). Der Jesuit Rutilio Grande (49), „Padre Tilo“ genannt, nahm sich kein Blatt vor den Mund, als er auf das himmelschreiende Elend im kleinsten mittelamerikanischen Land hinwies, dessen Fläche in etwa der von Salzburg, Tirol und Vorarlberg entspricht.

Seit Anfang 1977 wurden in El Salvador Priester eingeschüchtert, gefoltert oder des Landes verwiesen. Unter ihnen der Kolumbianer Mario Bernal, Pfarrer in Apopa im Departamento San Salvador. Rutilio Grande hielt seine flammende Predigt beim Gottesdienst im Anschluss an eine Demonstration mit mehr als 6000 Teilnehmern, die gegen die Ausweisung protestierten. „Padre Tilo“ war Pfarrer im Nachbarort Aguilares, einer Stadt mit 10.000 Einwohnern, zu der auch El Paisnal gehörte, das Dorf, wo er am 5. Juli 1928 in einer armen Familie geboren worden war.

Eine Predigt als Todesurteil

Manche behaupten, Rutilio Grande habe damit sein eigenes Todesurteil unterschrieben: Sehr fürchte ich, Brüder und Schwestern, dass wenn Jesus von Nazaret zurückkehrte und wie in jener Zeit von Galiläa nach Jerusalem hinunterzöge, das heißt, wage ich zu sagen, von Chalatenango nach San Salvador, dass er dann mit seinen Predigten und seinen Werken nicht bis Apopa käme. Ich glaube, er würde aufgehalten auf der Höhe von Guazapa. Dort würde er festgenommen und in den Kerker geworfen. Sie würden ihn vor manches hohe Gericht bringen als Verfassungsbrecher, als Umstürzler. Der Gottmensch, der Prototyp des Menschen, er würde als Revolutionär angeklagt, als ausländischer Jude, als Ränkeschmied, mit fremden exotischen Ideen gegen die Demokratie, das heißt, gegen die Minderheit. Gottfeindlicher Ideen würden sie ihn bezichtigen, weil sie Clans von Kain sind. Ohne Zweifel, meine Brüder, würden sie ihn wieder ­kreuzigen.

Vier Wochen nach dieser Predigt, am 12. März 1977, wurde er auf dem Weg zu einer Messe in ­Auguilares zusammen mit zwei Begleitern von gedungenen Mördern der Großgrundbesitzer ermordet. Von mehreren Kugeln tödlich getroffen, verlor er die Herrschaft über den VW-Kübel-
wagen. Von den Gewehrsalven durchsiebt wurden auch der Mesner Manuel Solórzano (72) und der Ministrant Nelson Rutilio Lemus (16). Sie starben ebenfalls sofort. Zwei oder drei Kinder, die noch im Wagen saßen, konnten in dem Durcheinander durch die Zuckerrohr­felder entkommen.

Priester als „Kommunisten“

Der Hintergrund dieses Blutbads: Großgrundbesitzer sahen ihre Interessen bedroht. Sie beschuldigten die Kirche, mit ihren Pastoralteams ‒ zu „Boten des Wortes“ (Delegados de la palabra) ausgebildeten Frauen und Männern – Bauern aufzustacheln, sich gewerkschaftlich zu organisieren und ihr Recht auf gerechte Löhne und ein menschenwürdigen Leben einzuklagen. Die Campesinos lernten, ihr Dasein im Licht des Wortes Gottes zu lesen. Eines Gottes, der Partei ergreift für Arme. Den Oligarchen schwante: Wer erkennt, dass christlicher Glaube eine soziale und eine politische Dimension hat, nimmt Realität nicht länger als „gottgegeben“ hin. Schnell galten ausländische Priester als die Drahtzieher: Sie würden das einheimische Volk mit kommunistischen Ideen überziehen.

Noch in der Nacht reiste Óscar Arnulfo Romero an, ein enger Freund des ermordeten Jesuiten. Erst Anfang Februar war Romero zum Erzbischof der Hauptstadt ernannt worden. Zutiefst erschüttert stand er vor den drei aufgebahrten Leichen. Mitten in der Nacht feierte er eine Messe. Tags darauf wurden die Leichname nach San Salvador überführt. Am 14. März feierte Romero das Requiem in der Kathedrale. Es wurde im Radio übertragen (und vermutlich auch von den Attentätern gehört). Eine Woche später setzte er ein anderes Zeichen: In der ganzen Erz­diözese wurde nur eine einzige Messe gefeiert, an der über 100.000 Menschen teilnahmen. Die Regierung versuchte, das zu verhindern. Auch der Nuntius und der Militärbischof waren dagegen. Romero blieb stur. „Wer einen meiner Priester anrührt“, sagte er in der Predigt, „der rührt mich an.“

Schlüsselerlebnis für Romero

Die Ermordung von Rutilio Grande wurde zum Schlüsselerlebnis und Wendepunkt für Romero: „Rutilio hat mir die Augen geöffnet.“ Das nicht spannungsfreie Verhältnis der beiden wurde mit dem von Johannes dem Täufer und Jesus verglichen. Ab diesem Zeitpunkt tauchte das Wort „Bekehrung“ (conversión) in jeder seiner Predigten auf. Drei Jahre später, am 14. März 1980, wurde er selbst – während einer Messe – ermordet. Ein weiterer Tabubruch in El Salvador, wo von 1979 bis 1992 ein Bürgerkrieg wütete.

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