SAID - © Wikimedia / Kritzolina

SAID: Dialog heißt: Schwäche zeigen

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Der gegenwärtige Dialog zwischen dem Westen und dem Islam erinnert an ein Gespräch zwischen einem Tauben und einem Blinden. Der aus dem Iran gebürtige Lyriker SAID, der seit 40 Jahren in Deutschland lebt, äußert sich zur Islam-Debatte.

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Der gegenwärtige Dialog zwischen dem Westen und dem Islam erinnert an ein Gespräch zwischen einem Tauben und einem Blinden. Der aus dem Iran gebürtige Lyriker SAID, der seit 40 Jahren in Deutschland lebt, äußert sich zur Islam-Debatte.

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Irgendwann um das Jahr 1960, Teheran. Ein alter Mann, ein Verwandter. Er kam uns besuchen, einmal im Monat, zu Fuß. Sein Weg war sehr lang. Dann setzte er sich auf die Terrasse hin, holte aus seiner Tasche einen Aschenbecher und zündete sich eine Zigarette an. "mein Junge, diese Zigarette schmeckt; ich bin ja mehr als eine Stunde unterwegs und habe nicht geraucht." Ich war etwa 14 Jahre alt und fragte, warum er unterwegs nicht geraucht hatte. "Dies ist ein armes Volk. Wenn ein Bauarbeiter mich rauchen sieht, sich eine Zigarette wünscht und sich nicht traut, darum zu bitten; wie antworte ich dann Gott im Jenseits?"

Teheran, Anfang der 80er Jahre, nach dem Sieg der islamischen Revolution; der Terror hatte bereits begonnen. Ayatollah Chalchali, der Scharfrichter der Revolution, wurde berühmt durch den Spruch: "ich unterschreibe täglich mehrere Todesurteile, im Namen Gottes. Mein Gewissen ist rein. Wenn der Gefangene gegen den Gottesstaat gesündigt hat, so hat er seine gerechte Strafe verdient. Ist er aber unschuldig, kommt er ins Paradies."

Rückzug in die Seele

Ich persönlich habe diese Religion nie praktiziert; kann von ihr nicht einmal enttäuscht sein. Aber jener alte Mann und seinesgleichen, die an ihrer Religion festgehalten haben - müssen sie nicht verbittert sein? Sie verstecken sich heute vor den Hütern ihrer Religion und ziehen sich zurück, in ihre Seele - ein letztes Refugium.

Ich bin in einer liberalen Familie aufgewachsen. Dadurch hatte ich eine ungezwungene Haltung gegenüber Religionen. Dennoch, soziologisch bin ich Muslim. Denn es ist nicht entscheidend, was der Erwachsene später räsoniert, sondern was das Kind gesehen, gerochen und gehört hat. Das Huhn wurde lebendig gekauft und zu Hause geschächtet. Enthaupten ist im Islam verboten. Übrigens auch für Menschen - wenn da die Regierungen nicht wären. Das geschächtete Huhn gackert, zappelt und springt herum. Das Blut fließt und das Kind schaut zu. Das Kind sieht auch die Flagellanten, die sich Verletzungen zuführen. Das Blut fließt, das Kind schaut zu. Bekommt dieses Kind nicht ein anderes Verhältnis zum Blut? Zur Gewalt?

Das Kind betrat schon immer gerne die Moscheen; sie rochen - damals - nach Brüderlichkeit und Rosenwasser. Bis die Mullas an die Macht kamen und auch meine Freunde massakriert haben. Seither riechen Moscheen nach Blut, Schweiß und Folter.

Die Diktatur des Schahs ist gestürzt, die Diktatur von Chomeini ist gekommen - letztere legitimiert sich mit göttlichen Versprechungen. Damit ist die Geburt eines neuen Islam besiegelt. Ein Islam, der keine Religion mehr, aber eine Befreiungsbewegung sein will.

Welcher Islam?

Aber gibt es denn überhaupt einen, einzigen Islam?

Der Islam ist nicht als Kirche organisiert, er kennt kein Lehramt in Angelegenheiten der Dogmatik wie des Rechts. Und der Islam hat keine Zentrale. Weder Ayatollah Chomeini, noch Herr Bin Laden dürfen im Namen des Islam sprechen. Jeder Muslim kann, wo auch immer, seinen Imam - seinen religiösen Lehrer - frei wählen. Selbst heute in der islamischen Republik Iran. Dafür kann er allerdings auch ins Gefängnis kommen. Denn nun bestimmt die Politik, welcher Imam zu welchem Gläubigen passt.

Und, ist der Westen tatsächlich unbeteiligt an der Radikalisierung der islamischen Welt?

Als in Algerien die islamischen Parteien die demokratischen Wahlen gewinnen konnten, haben die Militärs die Wahlen kurzerhand annulliert - mit wohlwollendem Stillschweigen des Westens. Seither kommt Algerien nicht zur Ruhe. Freie Wahlen sind gut, aber nicht, wenn die anderen sie gewinnen.

Und dann die geistige Lethargie der Intellektuellen in den islamischen Ländern. Statt den Kolonialismus und seine Nachfolgeerscheinungen umfassend zu analysieren, flüchtet man in Larmoyanz und in Trugbilder. Der Kampf gegen den Terrorismus darf aber nicht allein von der westlichen Welt geführt werden, er muss auch in der muslimischen Welt ausgefochten werden. Ein Auftrag für die intellektuellen, gegen Korruption und Despotismus und für Pressefreiheit und mehr Demokratie zu allererst in ihren eigenen Ländern einzutreten, anstelle eines verbalen Antiimperialismus, der einer billigen Selbstbestätigung gleichkommt. Sie müssen klarstellen, dass religiös begründeter Terrorismus kein Heiliger Krieg, sondern eine Beleidigung des Islam ist. Dass Bomben und Attentate keine politischen Probleme lösen. Dass unsere Antwort nur eine gemeinsame Suche nach mehr Gerechtigkeit sein kann - sonst bricht die Stunde der Rattenfänger an. Seit dem 11. September hängen in den Straßen vieler Städte Porträts von Osama Bin Laden. Er ist für viele zum David geworden, der dem Goliath usa endlich die Stirn geboten hat.

Bin Laden und Bush

Bin Laden als Idol? Ein schauderhafter Gedanke. Ein Phantom, gezüchtet von der cia, aufgewertet von einem Präsidenten, der "die Achse des Bösen" erfunden hat, und gesucht vom fbi. Die Logik dieses Präsidenten, "wer nicht mit uns ist, ist für die Terroristen", kommt den Geschäften des Herrn Bin Laden sehr gelegen. So wie die Sprache des einen, mit dem Hinweis auf eine "göttliche Mission" sehr an die Sprache des anderen erinnert. Beide beziehen sich auf einen Gott. Kann man aber Gott lieben und seine Geschöpfe hassen?

Hat die islamische Revolution im Iran den Islam nicht vergewaltigt, indem sie ihn zur Staatsideologie erklärte und ihn seiner spirituellen Kraft beraubte? Der alte Mann, der uns besuchte, fürchtete seinen Gott und dessen Gerechtigkeit. Der Scharfrichter nahm die Gerechtigkeit selbst in die Hand und legitimierte sie posthum mit der göttlichen Fügung.

Neue Feindbilder

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus suchte der siegreiche Westen ein neues Feindbild. Seit den Selbstmordattentaten auf das World Trade Center und den in diversen Fernsehbildern dokumentierten Reaktionen islamischer Fanatiker scheint nun der Islam der Feind zu sein. Aus dem Nichts tauchen Schlagwörter auf wie Fundamentalismus. Kaum jemand ist imstande, diesen Begriff genau zu definieren. Kaum aber ist er in der politischen Diskussion aufgetreten, wird er gleichbedeutend mit Terrorismus, Fanatismus oder - wieder eine neue Mode - mit Islamismus verwendet.

Wenn aber islamische Extremisten siegen, dann müssen auch Demokraten versagt haben - nicht nur in islamischen Ländern. Landauf, landab wird, auch von ernstzunehmenden Intellektuellen, die These kolportiert: man müsse den Islam fürchten, weil er keine Aufklärung erlebt habe. Aufklärung als Allheilmittel? Deutschland hat sehr früh die Aufklärung für sich entdeckt. Trotzdem hat Deutschland 6 Millionen Juden ermordet. Frankreich hat durch die Revolution 1789 die Aufklärung auf das Banner der Republik geschrieben und dennoch im Krieg gegen Algerien 1,5 Millionen Algerier massakriert.

Die Religion innerhalb der Grenzen der praktischen Vernunft zu suchen - ist das überhaupt denkbar? Wer diesen Denkfehler begangen hat, meint dann auch bald, die menschliche Seele sei wissenschaftlich beschreibbar, also messbar. Der nächste Schritt führt in den puren Materialismus und zur Verneinung der Religion. Doch schon Novalis warnte: "Wo keine Götter sind, herrschen die Gespenster."

Die Französische Revolution, die die Aufklärung verkörperte, ließ Gott abschaffen und die Priester verfolgen. Doch schon im Jahre eins der Revolution proklamierte Robespierre das "höchste Wesen" und ordnete an, das Fest des höchsten Wesens stärker zu feiern als das der Revolution. Aber was ist das höchste Wesen? Ein Surrogat-Gott, um die Masse zu beschwichtigen?

Der entscheidende Gestus

Ist der Islam dialogfähig? Der Islam lässt Exegesen des Koran zu und fördert sie sogar. Dennoch, die iranischen Gefängnisse sind voll von Muslimen, auch hohen Geistlichen, die den herrschenden Islam in Iran scharf kritisieren und immer wieder nach mehr Freiheit und Demokratie verlangen. Ihre Argumente dafür beziehen sie meist aus dem Koran.

Doch Voraussetzung für einen Dialog ist, dass man Schwäche zeigt: die eigene. Und dass bei einem Dialog zwischen zwei Sprachen, zwischen zwei Kulturen, das Entscheidende oft der Gestus ist. Aber das Abendland - dieser Kampfbegriff aus der Zeit der Kreuzzüge - das Abendland, das auch die usa miteinschließt; zeigt es je Schwäche?

Der gegenwärtige Dialog zwischen dem Westen und dem Islam erinnert an ein Gespräch zwischen einem Tauben und einem Blinden. Der eine ist taub, weil saturiert; der andere blind, weil er nur auf sich schaut. Der Taube produziert zuweilen auch Waffen, der Blinde setzt sie ein. Zuweilen auch gegen den Tauben.

Der Autor, in Teheran geboren, lebt seit 1965 in Deutschland und war 2000/02 Präsident des deutschen PEN-Zentrums.

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