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Sakralbau in der Gegenwart

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Dem österreichischen Kirchenbau seit 1945 ist wenig Ruhmreiches nachzusagen. Es sind kaum fünf Prozent von den rund 150 erbauten Kirchen als geglückte Beispiele zu nennen. Dabei wird es in zunehmendem Maße möglich, durch das Studium der theoretischen Grundlagen und der hervorragenden Bauwerke sich einen Überblick zu verschaffen, der vor den ärgsten Entgleisungen bewahren müßte. Es erscheinen immer wieder Publikationen, deren Lektüre man nicht nur den Fachleuten oder Studierenden empfehlen kann, sondern vor allem auch den Bauherren, die als Geistliche oder Laien über Kirchenbauten zu entscheiden haben.

In diesem Zusammenhang sei zuerst auf ein Buch aufmerksam gemacht, das zwar nicht mehr zu den allerletzten Neuerscheinungen gehört, dem man aber dauernde Gültigkeit und noch eine lange Aktualität zumuten darf. Es handelt sich um die große, letzte Schrift von Rudolf Schwarz, die noch kurz vor seinem Tode erschienen ist und den knappen Titel „Kirchenbau“ trägt. (F.-H.-Kerle-Verlag, Heidelberg, 352 Seiten, rund 250 Photos und Zeichnungen, Bild und Text auf Kunstdruckpapier, Leinen. J9 DM.)

Dieses Buch hat den großen Vorzug, daß ein Baumeister, der an der Entwicklung des neuen Kirchenbaues großen Anteil hatte, zur eigenen Sache spricht. Er kann Jederzeit seinen Gedanken Werke zur Seite stellen, die dort eine eindeutigere und klarere Sprache sprechen, wo das Bild den Begriff zu ersetze beginnt. Schwarz charakterisiert den Sinn seines Buches selbst am besten, indem er schreibt: „Im diesem Buch möchte ich zu zeigen versuchen, wie einige tragende Gedanken schon in nieinen ersten baulichen Versuchen als Keim und heimlicher Antrieb ittuelagen und dann über Jahrzehnte hin in meinen Bauten aufwuchsen und so mindestens für mich ihre Richtigkeit erwiesen haben. Ob sie im gleichen Maße auch für andere gültig sein können, soll nicht gefragt werden, aber es mag gut sein, einmal zu sageuf was ich selbst mit meinen Bauten wollte, und das nicht den Auslegern zu überlassen.“ Am Beginn seines großen Werkes steht die aufsehenerregendes. FronleichnaVns-kirche von Aachen, di*Jwr .jfeejeh >SiS bischen, durch weiße F^'^en.JÄgrciKi^i Raum in den Kirchenbau einführt. Nach dem zweiten Weltkrieg widmet sich Rudolf Schwarz zunächst der Umgestaltung beschädigter und dem Wiederaufbau zerstörter Kirchen, deren Reste er mit großem Einfühlungsvermögen sichtbar und sinnvoll in die neuen Baugestalten einfügt.

Um 1950 setzt dann der Bau der großen Neuplanung ein: Maria Königin, in Frechen, St. Josef in Köln-Braunsfeld, St. Michael in Frankfurt, St. Anna in Düren, Heilig Kreuz in Bottrop, St. Andreas, St. Franziskus und St. Antonius in Essen, Heilige Familie in Oberhausen, Maria Königin in Saarbrücken und andere mehr. In Österreich entstehen zur Zeit St. Florian in Wien und die There-sien-Kirche von Linz. Beide Bauwerke gehören zu den bedeutendsten Ereignissen unseres neuen Kirchenbaues.

Rudolf Schwarz kam aus der Bündischen Jugend, als Baumeister aus der „Werktradition“ der Moderne. Er wir befreundet mit Dominikus Böhm, und gründete später mit Mies van der Rohe und Martin Wagner die „Deutsche Werkhütte“. Sein Denken stand in Nachbarschaft zu den deutschen Mystikern. Vielleicht konnte er sich gerade deshalb so frei jener baulichen Mittel bedienen, die heute noch vielfach einem Mißtrauen im Sakralbau begegnen: den Baustoffen und Bauweisen unserer technischen und technisierten Welt.

Das Buch „Kirchenbau“ ist nicht nur als persönliches Dokument von hohem Wert. Da es in einer meisterhaften Sprache Gedanken formuliert und fast alle wichtigen Fragen des Kirchenbaues behandelt, wird es zu einem grundlegenden Buch für den heutigen Sakralbau. Gerade Rudolf Schwarz ist es gelungen, durch seine strenge, bau-Pieisterliche Disziplin und durch seine klare Erkenntnis der Ziele einheitliche und überzeugende Bauwerke zu konzipieren. Seine Kirchen sind ein Beweis dafür, daß die vielen Mittel, die heute das Bauen verwirren, sinnvoll verwendet, Klarheit, Ruhe. Konzentration, Feierlichkeit und Würde schaffen können.

Der Verlag hat der Bedeutung dieses Werkes ausgezeichnet entsprochen. Das Buch kann in vieler Hinsicht als vorbildlich bezeichnet werden.

Man kann die Worte Mies van der Rohes zitieren, der in der englischen Ausgabe eines früheren Buches von Rudolf Schwarz geschrieben hat:

„. . . Dieses Buch wirft licht auf die Frage des Kirchenbaus und erhellt das ganze Problem der Architektur überhaupt. Es ist trotz seiner Klarheit nicht leicht zu lesen-, aber wer sich die Mühe macht es sorgfältig zu studieren, wird wirkliche Einsicht in die behandelten Probleme gewinnen. Ich habe es immer wieder gelesen, und ich kenne seine Kraft die Dinge zu klären. Ich glaube, es sollte nicht nur von denen gelesen werden, die mit Kirchen zu tun haben, sondern von jedem, der ein wirkliches Interesse für Architektur hat.“

..Sakralbau heute“ von Herbert Muck SJ., dem Leiter des Institutes für Kirchenbau und sakrale Kunst an der Wiener Kunstakademie, gibt nicht nur einen guten Überblick über die Entwicklung und Probleme des neuen Kirchenbaus, sondern bezieht auch Stellung dort, wo es heute noch notwendig ist. So ist das Buch auch für jene geschrieben, die dein Kirchenbau der Gegenwart skeptisch gegenüberstehen, nicht zuletzt, weil sie oft viele Fragen von ihrem Pfarrer oder Architekten nicht beantwortet bekommen. (Erschienen in „Christ in der Welt“, Reihe XV., Band 5, Verlag Pattloch, 150 Seiten, 16 Bildtafeln. Preis 3.80 DM.)

Der Autor verfügt über eine große Sachkenntnis, der man auch, im guten Sinn, den Umgang mit Architekten und ebenso die pädagogische Arbeit bei den Studierenden anmerkt. Im ganzen Buch gibt es kein auffallendes Fehlurteil, aber auch keine Frage, die nicht schon, bevor sie gestellt ist, beantwortet wäre. Das ist fast beängstigend: der moderne Kirchenbau ist theoretisch in eine Phase getreten, in der seine Werte geordnet und seine Möglichkeiten fixiert erscheinen.

Was bei Rudolf Schwarz noch Wagnis, Entscheidung, Ziel oder Fehlschlag war, verwandelt sich im Auge des kritischen Historikers zum „Vermeid- oder Erreichbaren“, wird in der Analyse zur Regel oder wenigstens zur Spielregel. Der Historiker besitzt eben Beispiele, deren Kombination eine endliche Zahl von Möglichkeiten ergibt, die in ihrer Fixierung aber schon wieder verdächtig werden.

So liegen im zurückblickenden und zusammenfassenden Buch von Rudolf Schwarz mehr Keime des Neuen, als in der „aktuelleren“. polemischeren Schrift Mucks, in der bereits die Zeichen eines neuen Akademismus sichtbar werden. Natürlich ist Muck weit entfernt von einer Katalogisierung der neuen Werte und Kriterien, und es ist ihm die Unbestimmbar-keit des Schöpferischen .genügend ver^ traut, so liegt auch dieser Unterschied der beiden Bücher mehr in dSr Stellung der Autoren zu ihrem Gegenstand, die der eine als Baumeister und der andere als Historiker einzunehmen hat.

Herbert Mucks Buch hat die Bedeutung, die ein historisches Werk im besten Sinne habe kann: Darstellung der verschiedenen Abläufe und ihre Zusammenhänge, Formulierung der Probleme, ihre Koordination zu einem überschaubaren, lebendigen Ganzen und nicht zuletzt die Bereitstellung der wichtigsten Unterlagen. Es ist damit auch ein Lehrbuch, das den Anschluß an die Gegenwart findet und damit einen Beitrag für den. kommenden Kirchenbau leistet. Es hat außerdem den Vorteil, daß es mit Schwung geschrieben ist und bis zum Schluß nichts an Frische und Schärfe verliert. Es hat einen logischen und übersichtlichen Aufbau und bleibt trotz der Schwierigkeiten des Themas verständlich.

Zahlreiche Abbildungen ergänzen den Text, der durch ein Literaturverzeichnis und ein Sachregister noch größeren Studienwert bekommt. Man sollte dieses Buch allen mit unserem Kirchenbau Beschäftigten auf den Tisch legen, aber auch jenen, die die letzte Entwicklung mit berechtigter oder unberechtigter Skepsis betrachten. *

Das Buch „Zur Situation der christlichen Kunst“ von Hugo Schnell (Verlag Schnell & Steiner, München. 228 Seiten. 20 Bildtafeln, 2 Textabbildungen -und 12 Grundrisse. Preis 12.40 DM) macht viel Mühe, obgleich nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, daß die Mühe sich lohnt. Es besteht teilweise aus Reden und Aufsätzen, die keine prinzipielle, konzentrierte und übersichtliche Darstellung der Situation der christlichen Kunst anstreben, sondern eher zufällig verschiedene Fragen behandeln. Dazwischen findet man viele Werke und Namen der heutigen deutschen Kirchenbauer und -maier, von denen man viele, wenigstens in Österreich, kaum kennt. Das würde auch weiter nicht stören, wenn zu den behandelten Detailfragen genügend Unterlagen (Bilder oder Zeichnungen) geliefert würden. TJie wenigen Bilder stehen fast beziehungslos im Text und haben eher einen „untermalenden“ Charakter. So bleibt das Buch streckenweise schwer oder fast unverständlich.

Vielleicht besitzt das Buch in der „Familie“ der deutschen, christlichen Künstler eine gewisse Aktualität. Das Fehlen jeglicher Nachschlagehilfcn macht auch das Zurückblättern zu jenen Gedanken schwierig, die den Autor als einen guten Kenner der Situation der christlichen Kunst ausweisen.

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