Der Salafismus strebt an, das Leben nach dem Vorbild des Propheten Mohammed und seiner Weggefährten grundlegend zu reformieren. Dabei geht er von einer konstruierten idealisierten Vorstellung der Gesellschaft des Frühislams aus. Denkt man an die blutigen Innenkonflikte zwischen den Gefährten des Propheten kurz nach seinem Tod, dann weiß man, dass die Frühgeschichte des Islams keineswegs ein goldenes Zeitalter darstellt.
Was den Salafismus gerade für junge Menschen so attraktiv macht, ist das von ihm vertretene theologische Dogma der religiösen Inklusion und Exklusion: Loyalität und Lossagung (al-wala' und al-bara'). Es impliziert bedingungslose Loyalität zu den Muslimen und bedingungslose Lossagung von den Nichtmuslimen. Als Muslime gelten aber nur die eigenen Anhänger. Und so wird die Welt in zwei Sphären geteilt: Gute (islamische) und schlechte (unislamische). Um sich von Nichtmuslimen loszusagen, muss man sich explizit von ihnen abgrenzen, auch in der äußeren Erscheinung. Salafisten tragen daher andere Kleider als die Menschen in ihrer Gesellschaft; dabei geht es weniger um eine Nachahmung des Propheten, sondern vielmehr darum, sich von der Gesellschaft abzusetzen. Der auffällig lange Bart, der Gebrauch bestimmter religiöser Floskeln, die Gesichtsverschleierung salafistischer Frauen: all diese Elemente machen den Salafismus gerade für diejenigen attraktiv, die keinen Platz in der Gesellschaft finden und ihre Identität daher über die Abgrenzung zu dieser bilden.
Die Frage, die uns beschäftigen sollte, lautet daher: Wie können wir den jungen Menschen (Muslimen wie Nichtmuslimen) den Raum garantieren, in dem sich ihre Identität auf konstruktive Weise entfalten kann? Diese Frage betrifft unser Bildungssystem, unsere Arbeitsmarktpolitik, unser Freizeitangebot usw., aber auch unsere Einstellung gegenüber dem "Anderen". .
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster
