Samtene Revolution – zerbrochener Konsens

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Vor 20 Jahren begann in Prag die Samtene Revolution der ÇCSSR. Zum Jahrestag hält sich die Freude der Tschechen aber in Grenzen. Historische Analyse einer 20-jährigen Entfremdung.

Prag, Nationalstraße, der Ort der Niederschlagung der Studentendemonstration von 1989, die den Anstoß zur „Samtenen Revolution“ gegeben hatte, im November 2009, ein paar Tage vor dem 20. Jahrestag. Vor einer Gedenktafel brennen wie immer einige wenige Kerzen. Plakate einer Musikbar laden zum Gedenktrinken ein: Mit dem Long-Drink „Cuba libre“ und dem Hinweis, dass der Eintritt für Kommunisten dabei nicht gestattet sei. Während der Fall der Berliner Mauer auch in Prag noch vor einigen Tagen mit einem Fest der deutschen Botschaft triumphal begangenen wurde, sind für den 17. November keine über das „normale“ Maß hinausgehenden staatlichen Feiern geplant. „Er wolle den Tag lieber im Kreis der Menschen verbringen als auf pompösen Festivitäten“, ließ Präsident Václav Klaus verlauten. Zwar sind die Zeitungen voll von Rückblicken auf die Ereignisse vom November 1989, doch von der Euphorie und Begeisterung, die 1989 geherrscht hatte, ist nur wenig zu spüren. Zwar begrüßt die Mehrheit der Tschechen die Wende, ist aber zugleich von der Entwicklung danach tief enttäuscht. Václav Havel, der Heros von damals, organisierte sich sein eigenes Gendenkkonzert. Würde nicht die von diversen konservativen und liberalen Kräften unterstützte Bürgerbewegung „Opona“ (Vorhang) eine Art Revival der Demo von 1989 veranstalten, die Feiern wären noch bescheidener. Dabei hätte ja im November 2009 beinahe statt eines parteilosen Übergangskabinetts eine Koalition aus Sozialdemokraten und Kommunisten regiert. JiÇrí Paroubek, der Parteichef der Sozialdemokraten, ließ zwar zuerst das rechtsliberale Kabinett Topolanek abwählen, die geplanten Neuwahlen mit dem voraussichtlichen Sieg der Linken dann aber platzen.

Paradigmenwechsel

Alleine schon die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung der einzigen kommunistischen Partei Ostmitteleuropas, die weder ihren Namen aufgab noch sich zur Sozialdemokratie transformierte, zeigt aber den tiefen Paradigmenwechsel in der tschechischen Gesellschaft. Lange Zeit galt von der Novemberrevolution abseits aller politischen Differenzen der Grundkonsens: Eine in ihren Wurzeln demokratische Nation habe innerhalb nur einer Woche das Regime niedergekämpft, dessen Leitidee – der Kommunismus – eine den Tschechen von außen aufgedrängte sowjetische Importware, das „Böse aus dem Osten“ gewesen sei.

Nach der Wende von 1989 wurde der gesellschaftliche antikommunistische Grundkonsens von Václav Havel und Václav Klaus, die trotz aller Konflikte über den Umgang mit der Vergangenheit und die Zukunft des Landes dennoch eher verteilte Rollen im Spiel mit den gleichen Gegner spielten, verkörpert. Während Havel für die großen moralischen Vorgaben und das Bild nach außen zuständig war, lieferte Klaus mit seiner ODS in den 90er Jahren die für den gesellschaftlichen Umbau nötige Wählerunterstützung. Diese sicherte er sich vor allem durch das Versprechen, dass es den Menschen nach dem Umbau von der gelenkten Ökonomie zur von ihm propagierten „Marktwirtschaft ohne Adjektive“ besser gehen würde.

Die noch schwache Sozialdemokratie teilte diesen Grundkonsens. Dass die Kommunistische Partei damals in ihrem Bestand nicht angetastet wurde, verdankte sie neben moralischen Motiven der Tatsache, dass sie dem Regimewechsel nicht im Wege stand und ihre Abgeordneten im Dezember 1989 nicht Alexander DuÇcek oder einen der anderen Alt-68er, sondern Havel einstimmig zum Staatspräsidenten wählten. Politisch und gesellschaftlich isoliert wurden sie zur emotionellen Wärmestube für den Rest der Rechtgläubigen, für die die neue Welt draußen nicht mehr verständlich war. Zehntausende ehemalige Parteimitglieder, für die das Bekenntnis zum „Sozialismus“ nichts anderes war als ein Vehikel für die Karriere, benutzten indessen die Gelegenheit, um sich von ihrem Parteibuch zu verabschieden und nunmehr nicht selten zu den eifrigsten Herolden (und Profiteuren) des neuen, „rechten“ Weges zu werden. Aus Mitgliedern der vorgeblichen Partei der „Arbeiterklasse“ wurden fanatische Neoliberale, die jede Regulierung des Marktes durch klare Spielregeln mit dem Hinweis auf die drohende Rückkehr des „Sozialismus“ ablehnten. Deren frühere Parteimitgliedschaft führte wiederum dazu, dass die von Havel inspirierten Kritiker an den „mafiösen Strukturen“ des wilden tschechischen Kapitalismus der 90er Jahre diese mit dem Fortwirken der „Kommunisten“ verbanden und dabei übersahen, dass es sich dabei viel eher um typische Funktionseliten handelt, die sich auch – oder gerade – im neuen System der unbegrenzten Marktwirtschaft am besten zurechtfanden. Ideologisch und realpolitisch als im rechten Lager nur die zweite Geige spielend ins Eck gedrängt, begnügte man sich mit moralischen Appellen. Mitte der 2000er Jahre war der Konsens brüchig geworden. Bereits 2003 hatte sich Václav Klaus mit Stimmen der kommunistischen Abgeordneten gegen den Gegenkandidaten aus dem Havel-Lager zum Präsidenten wählen lassen. Nach den für die Sozialdemokratie triumphalen Kreiswahlen 2008 regierten auf regionaler Ebene vielfach links-linke Bündnisse, weichten die Sozialdemokraten ihre strikte Abgrenzung zu den Kommunisten auf. Havel und seine Anhänger aus dem rechtsliberalen und grünen Spektrum hatten unterdessen durch ihre Treue zur Bush-Administration und die bedingungslose Unterstützung des US-Radars viel von ihrem früheren Nimbus verloren.

Erschütterter Glaube

Je stärker er realpolitisch ins Wanken kommt, umso intensiver wird der Antikommunismus vor allem von der Generation der erst nach 1989 ins Erwachsenenalter Gekommenen beschworen, die heute über die kulturelle Hegemonie und Diskurshoheit verfügen. Dass dabei oft in einem Aufwaschen aber auch jeder Ansatz von Kritik am bestehende System eines Kapitalismus, der ohne große Rücksicht auf sozialpolitische Interessen, Gewerkschaften und Medien agieren kann, als kryptokommunistisch angeprangert wird, ging solange gut, als die Menschen vom Regimewechsel profitierten. Oder zumindest glaubten, einmal davon profitieren zu können. Ein Glaube, der jedoch in den vergangenen Monaten und Jahren schwer erschüttert wurde. Dazu kommt, dass die vielen im Dunstkreis von Wirtschaft und Politik ablaufenden Skandale in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, dass zwischen dem alten und neuen Regime kein wirklich wesentlicher Unterschied bestünde – außer dem, dass jetzt „mehr gestohlen würde“.

Moralische Empörung aus der Position eines nachgeholten Antikommunismus heraus und die Dämonisierung von sozialen und ökologischen Regulativen des Marktes als erste Schritte auf den Weg in den Gulag werden da zu wenig sein, um dass schwer angeschlagene Vertrauen der Menschen in die Politik wiederherzustellen und dem November 1989 als der Stunde des demokratischen Neuanfangs seinen Platz in der tschechischen Geschichte zurückzugeben

* Niklas Perzi ist Historiker, Leiter der Waldviertelakademie und Autor des Buches „Die BeneÇs-Dekrete“.

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