Sanktionen töten täglich

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Die letzten Kriege sind in der irakischen Hafenstadt Basra noch lange nicht überwunden. Dabei hat der nächste noch gar nicht begonnen.Basras chaldäisch-katholischer Erzbischof Gabriel Kassab kämpft dennoch gegen die überbordende Not in seiner Stadt.

Eigentlich wollte er gar nicht Bischof werden, sondern lieber Priester in Bagdad bleiben. Erst als man ihn fragte, ob er armen Familien helfen wolle, stimmte er zu. Das war vor sieben Jahren, erzählt Gabriel Kassab, 63, chaldäisch-katholischer Erzbischof von Basra.

Sein Wunsch, für die Armen da zu sein, geht in Basra voll in Erfüllung. Von den etwa 700 chaldäischen Familien erhalten weit über 500 vom Bischof materielle Unterstützung: eine Unterkunft, finanzielle Unterstützung oder Lebensmittel. Oder alles zusammen.

Das war nicht immer so. Vor dem zermürbenden Krieg gegen den Iran lebten 2.700 chaldäisch-katholische Christen in Basra. Dann, in den achtziger Jahren, als in Spitzenzeiten bis zu 400 Bomben täglich in der Stadt einschlugen, verließen vor allem die das Land, die es sich leisten konnten. Die Armen blieben.

"Wir haben jeden Tag Krieg"

Der Stadt am Schatt el Arab sieht man heute an, dass sie wirtschaftlich am Ende ist. Sie scheint dem Verfall preisgegeben. Noch immer sind zerbombte Gebäude nicht wieder aufgebaut und bis heute stürzen Häuser ein. Das Wasser in den Kanälen der Stadt, die als das Venedig des Nahen Ostens galt, ist verseucht. Aus dem Wasserhahn zu trinken ist gefährlich. Pech für alle, die sich kein sauberes Wasser kaufen können. Lärmende Dieselgeneratoren springen in die Bresche, wenn der Strom aus dem öffentlichen Netz abgeschaltet wird. Die Regierung gibt Nahrungsmittelrationen aus, aber das ist zu wenig. Kinder leiden an Mangelernährung. In den Spitälern häufen sich Fälle der als Armenkrankheit bekannten Kala Azar-Infektion, die man im Irak bis vor kurzem für ausgerottet gehalten hatte. Eine galoppierende Inflation lässt die Geldberge wachsen. Etwa 2.200 Dinar bekommt man für einen Dollar.

Dennoch: "Der Irak ist eigentlich ein reiches Land", sagt der Erzbischof. Die Armut ist für ihn gemacht, und die Ursache liegt auf der Hand: das von den Vereinten Nationen nach dem Golfkrieg gegen den Irak verhängte Wirtschaftsembargo. "Die Sanktionen töten Menschen", sagt er. Wenn Kinder in den Spitälern sterben, weil notwendige Medikamente nicht importiert werden dürfen, wenn ihnen Mangelernährung die Abwehrkräfte gegen Infektionen raubt, dann ist diese Sicht der Dinge kaum von der Hand zu weisen. Das UNO-Programm "Oil for food" wischt er vom Tisch: Das sei zu wenig und kaum spürbar, sagt er. Manche sagen, sie würden einen 15 oder 50 Tage langen Krieg in Kauf nehmen, wenn dann die Sanktionen aufgehoben würden, erzählt Kassab. Denn: "Wir haben jeden Tag Krieg." Mindestens zweimal pro Tag gibt es Fliegeralarm. Niemand schert sich mehr darum, aber immer wieder werden auch Ziele bombardiert.

Aber natürlich macht Erzbischof Kassab nicht Stimmung für einen Militärschlag. Seiner Meinung nach soll beides geschehen: Der Krieg muss verhindert, die Sanktionen müssen abgeschafft werden.

Irakischer Realist

Ein Freund des Regimes ist der Bischof nicht. Aber er hat nur gelernt, mit der irakischen Realität der Saddam-Diktatur umzugehen. "Man muss klug sein", sagt er, und bezieht meisterhaft den offiziellen "Begleiter" des Berichterstatters immer wieder ins Gespräch ein. Woher kommst du, wie geht es dir, willst du noch Tee, "habibi", "mein Lieber"? An einer Stelle wird seine Distanz zur Regierung sogar im Interview deutlich: "Man kann nicht einen Fehler durch einen anderen korrigieren", sagt er und meint, man solle nicht mit dem Fehler Krieg den Fehler Regime bekämpfen. Aber es klingt glaubhaft, wenn er sagt: Ich mag die Politik nicht. (Zur Situation der Journalisten im Irak siehe Seite 21 dieser Furche).

Die Forderung des Erzbischofs nach einer Abschaffung der Sanktionen kommt auch nicht aus politischer Taktik, sondern aus seiner intimen Kenntnis menschlicher Lebenssituationen im heutigen Irak. Was er tun kann, um die Not zu lindern, tut er. Auch für die Muslime. In den beiden diözesanen Kindergärten sitzen christliche neben muslimischen Kindern. Neben der Erziehung wird ein Hauptaugenmerk auf gute Ernährung und medizinische Betreuung gelegt. Denn die Kinder leiden am meisten unter dem psychischen Druck, unter dem die Menschen stehen. Dreimal pro Woche hat die kirchliche Armenapotheke geöffnet. Alle, die kein Geld für Medikamente haben, bekommen hier gratis, was sie brauchen. Zur Fortbildung junger Erwachsener bietet die Kirche Computerkurse an. In einem öffentlichen Altenheim unterstützt sie Senioren, ausschließlich Muslime. Die letzte Jüdin von Basra, eine ältere Dame, erfreut sich der besonderen Zuwendung und Unterstützung des rührigen Erzbischofs.

Bauen, bauen, bauen

Zudem entfaltet Erzbischof Kassab eine umfangreiche Bautätigkeit. Seine derzeitige Bleibe, eine Kapelle mit Nebengebäuden, war eingestürzt und musste restauriert werden. Der Kathedrale ging es nicht besser: Kurz vor der Christmette des Jahres 2000 stürzte die Decke ein. Am 8. Dezember 2002 wurde die Kirche feierlich wieder eröffnet. Die Nebengebäude bei der Kathedrale sind hingegen völlig baufällig, ebenso das Haus des Erzbischofs, das zum Teil eingestürzt ist. Wo immer möglich, hat Kassab in den beschädigten Häusern obdachlose Familien untergebracht. Dort lebt es sich immer noch besser als auf der Straße. Er wird für sie eine neue Unterkunft finden, wenn er mit der Sanierung beginnen kann. Vorher aber möchte er noch ein Waisenhaus bauen.

Das alles kostet Geld. Der Erzbischof bekommt Unterstützung von kirchlichen Hilfsorganisationen wie Missio, Kirche in Not oder "Voices in the Wilderness". Auch chaldäische Gemeinden in Europa und Übersee - das ist der Vorteil der Emigration - überweisen Geld. Freilich: Von selbst kommt gar nichts. Es ist das unermüdliche Engagement des Erzbischofs, das die Finanzquellen nicht versiegen lässt.

Die Familie Kassabs lebt in den USA und organisiert Unterstützung. Er selbst studiert eifrig Englisch, täglich eine Stunde. Um noch besser auf die Not seines Landes aufmerksam machen zu können.

Gabriel Kassab selbst würde sein Land niemals verlassen, sagt er. Er ist stolz darauf, denn es ist biblischer Boden. Nicht weit von Basra liegt Ur in Chaldäa, von wo einst Abraham aufbrach. Kassab selbst stammt aus dem Nordirak, aus Ninive, das in der Jona-Erzählung zu Ehren gekommen ist. Nach Babylon wurde die jüdische Oberschicht ins Exil verschleppt, in Bagdad erzählte Schehrezade dem Kalifen tausendundeine Nachtgeschichten. Die chaldäische Kirche ist eine katholische Kirche mit orientalischem Ritus. Liturgiesprache ist - neben arabischen Teilen - Aramäisch, die Sprache Jesu.

Mit römisch-katholischen, syrischen, assyrischen oder armenischen Christen sowie mit der kleinen Religionsgemeinschaft der Mandäer, die sich in der Nachfolge Johannes des Täufers verstehen, unterhält der Erzbischof beste Kontakte. Und auch mit den Muslimen, die in Basra mehrheitlich Schiiten sind, ist er im Einvernehmen.

Dass er seine Hilfe auch Muslimen anbietet, hat ihm viel Anerkennung gebracht. Früher habe er von muslimischer Seite oft gehört, er werde als Anhänger einer falschen Religion in die Hölle kommen, erzählt Kassab. Aber das sei anders geworden, als man sah, dass er den Menschen ohne Ansehen der Konfession helfen wolle.

Die Angst der Christen

Auf die Frage nach dem Verhältnis von Christen und Muslimen im Irak erhält man mindestens zwei Antworten. Eine ist die offizielle: Die Religionen seien im besten Einvernehmen. Die andere hört man, wenn offizielle Begleiter nicht dabei sind. Da ist bei vielen Christen Angst zu spüren. Angst vor radikalen Strömungen im Islam, die durch die aktuelle Kriegsgefahr Auftrieb bekommen könnten. Ein besorgter Gottesdienstbesucher erzählt eine bedenkliche Geschichte: Zum letzten Fest der Auffindung des Kreuzes, zu dem die irakischen Christen traditionellerweise ihre Häuser mit Kreuzen schmücken, sei das böse Gerücht aufgekommen, die Christen wollten den amerikanischen Piloten signalisieren, welche Häuser sie im Fall eines Krieges schonen sollten ...

Auch der Erzbischof kann manche Besorgnis nicht unterdrücken. Was wird kommen? Würde eine politische Wende eine Verbesserung bringen? Oder neue Unterdrückung? Aber Gabriel Kassab weiß, was er tun wird. Auch wenn radikale und christenfeindliche Strömungen die Oberhand gewinnen sollten, er wird nicht aufhören, auch den Muslimen zu helfen, wo er kann. Und ist überzeugt: "Damit werden wir am Ende Erfolg haben.

Derzeit reist der Erzbischof durch Europa - vergangenes Wochenende war er auf Einladung der Stiftung "Pro Oriente" auch in Wien. Er will über sein Land erzählen und um Hilfe bitten. Er tut es für die Armen. Denn für die ist er ja schließlich Bischof geworden.

Der Autor ist Religions journalist beim ORF-Fernsehen.

Spenden für erzbischof kassabS Projekte sind möglich unter dem Kennwort "Irak" auf folgende Konten:

1. Gesellschaft für ÖsterreichischArabische Beziehungen

Bank Austria, Kto.Nr. 0055-52880/04

2. Caritas

PSK, Kto.Nr. 1260007

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