Scheidung, einvernehmlich ...

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Gemeinsam sind sie damals in Brünn unter einer Platane gesessen, viele Stunden lang. Im August 1992 -vor genau 25 Jahren. Zwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Václav Klaus, der neo-liberale Wirtschaftswissenschafter, damals Ministerpräsident der CSFR-Teilrepublik Tschechien, und Vladimír Mec iar, der bullige Regierungschef der Teilrepublik Slowakei. Knapp vor Mitternacht stand die Trennung der postkommunistischen "Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik" in zwei Nationalstaaten fest. Ohne jede Rücksprache bei den politischen Eliten -und ohne späteres Referendum durch das Volk, wie es in der Verfassung ausdrücklich vorgesehen war. Druck von unten hatte es keinen gegeben.

Die Folge: Wir Österreicher bekamen mit 1. Jänner 1993 zwei Nachbarn an unserer Nord-und Ostgrenze, wo bisher nur einer war.

Ob die Platane, in vielen Kulturen ein heiliger Baum, unter dem schon Hippokrates seine angehenden Mediziner und der Apostel Paulus die jungen Christen versammelt hatte, bei diesem einsamen Beschluss von Brünn ihre Magie entfalten konnte, ist bis heute nicht klar.

Sicher ist -und soll nicht in Vergessenheit geraten -, dass die Geschichte kaum andere Auflösungsprozesse von Staaten kennt, die so kultiviert und ohne jedes Blutvergießen gelungen sind. Zur Erinnerung: Allein die fünf Balkan-Kriege nach dem Ende Jugoslawiens haben nahe unserer Südgrenze mehr als 100.000 Tote gefordert!

Tschechen und Slowaken sind einander bis heute gute Nachbarn geblieben. Auch wenn ein gewisses Auseinanderleben -vor allem sprachlich und kulturell -unvermeidbar war. Mehr noch: Die Slowakei hat der Eigenständigkeit wohl auch ihren wirtschaftlichen Aufholprozess zu verdanken.

Václav Klaus als "Brexit"-Vermittler?

Bis heute ranken sich Legenden um das Gespräch unter der Platane und die Motivation der beiden Männer: Wollte jeder einem eigenen Staat vorstehen? War die Differenz zwischen Tschechiens West-Orientierung unter Klaus und Mec iars europakritischerem Kurs einfach zu groß? Wurden -nach Ende der KP-Zwangsverbrüderung -alte nationale Differenzen spürbar?

Beinahe wäre der 25. Jahrestag dieser für unsere Nachbarn schicksalhaften Entscheidung im Trubel der Nachrichtenflut untergegangen, wäre da nicht das aktuelle Ringen um den Abschied der Briten aus der EU. Eine Trennung, weit komplexer und folgenreicher als die Teilung der Tschechoslowakei vor einem Vierteljahrhundert. Dennoch hat sich Václav Klaus, umstrittener Alt-Präsident Tschechiens, kompetent gefühlt, seine Erfahrungen von einst als "Scheidungsanwalt" im "Brexit"-Dschungel anzubieten. Um wenig später im Streit um die Aufnahme von Flüchtlingen gleich den EU-Austritt Tschechiens zu fordern.

Ein neuer Anlass zur alten Überlegung, allzu selbstbewusste, medienhungrige Ex-Politiker um rhetorische Selbstbeschränkung zu bitten.

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