Schicksalsjahr für Österreichs Muslime

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Zurzeit finden in ganz Österreich Neuwahlen zur Islamischen Glaubensgemeinschaft statt. 2011 ist Chance, aber auch vielfältige Herausforderung für die Muslime des Landes.

Österreich steht mit der Anerkennung des Islam seit 1912 und mit der Etablierung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) seit 1979 als Körperschaft öffentlichen Rechts einzigartig in Europa da. Die IGGiÖ ist die staatlich anerkannte Religionsgesellschaft der Anhänger des Islam, die in der Republik Österreich ihren Wohnsitz oder Aufenthalt haben. Der Vertretungsanspruch der IGGiÖ gilt ausschließlich für die religiösen Belange und ist weder politisch noch ethnisch zu verstehen. Das heißt aber nicht, dass die IGGiÖ gesellschaftspolitisch leise auftreten sollte. Vielmehr ist sie wie die anderen Religionsgemeinschaften berufen, sich zu Wort zu melden, insbesondere wenn Menschen- und Minderheitenrechte berührt sind. Die Herausforderungen wurden 2010 nicht kleiner, zumal das "Monopol“ auf die Bezeichnung "islamisch“ gefallen ist, da Ende 2010 Österreichs Aleviten als religiöse Bekenntnisgemeinschaft anerkannt wurden - und zwar explizit mit dem Zusatz "islamisch“.

Wahlen für eine neue Führung

Für die Muslime Österreichs ist 2011 ein Schicksalsjahr: Heuer werden die Wahlen nach der neuen IGGiÖ-Verfassung von 2009 (Details dazu: www.derislam.at) abgehalten. Alle Bundesländer mit Ausnahme der Steiermark und Wiens haben gewählt. Wien spielt hier eine große Rolle, weil hier fast die Hälfte aller Muslime Österreichs leben. Da der bisherige Präsident Anas Schakfeh nicht mehr kandidiert, steht die Wahl einer neuen Führung der IGGiÖ auf dem Programm. Reformschritte in Richtung Demokratisierung, aber vor allem auch die offizielle Registrierung der Mitglieder werden den Vertretungsanspruch der Glaubensgemeinschaft stärken, bergen in sich aber einige Gefahren. Wesentliche Herausforderungen liegen vor allem in folgenden fünf Punkten:

1. Unabhängigkeit der neuen Führung: Es darf nicht eine ethnische Gruppe innerhalb der IGGiÖ alleine das Sagen haben. Die Verfassung hat diesbezüglich durch etliche Bestimmungen vorgesorgt. Die Führung der IGGiÖ muss gegenüber den politischen Führungen der islamischen Staaten ihre Unabhängigkeit bewahren. Nichts ist gefährlicher, als wenn die Glaubensgemeinschaft zur Befehlsempfängerin eines Staates würde. Die Unabhängigkeit ist ebenfalls unerlässlich gegenüber islamischen Bewegungen und Parteien, aber auch gegenüber politischen Parteien in Österreich.

2. Kompetenz der neuen Führung: Eine demokratisch gewählte Führung ist sicherlich im Sinne einer glaubwürdigen Vertretung wichtig. Problematisch wird es, wenn nicht die Kompetenz, sondern die ethnische und politische Zugehörigkeit bei der Wahl der Führung ausschlaggebend sind, während Fähigkeiten wie das Verständnis für die spezifisch österreichische Situation auf der Strecke bleiben würden. Hier geht es nicht nur um die Person des künftigen Präsidenten, sondern um die gesamte neue Führungsriege vor allem in den Bundesländern. Erfreulich ist hier festzuhalten, dass die großen austrotürkischen Organisationen zwar inoffiziell, aber immerhin in klarer Einhelligkeit verlautbaren, dass sie keinesfalls die IGGiÖ als Handlanger irgendwelcher Richtungen verkommen lassen würden und dass sie interessiert und bereit sein werden, für eine echte Widerspiegelung der Vielfalt der Muslime Österreichs in der Führung zu sorgen.

Angebote für Schiiten und Aleviten

3. Vertretung der Minderheiten und der nichtorganisierten Muslime: Hier gilt vor allem, den Schiiten ein attraktives Angebot zu machen, wie sie in der neuen Führung ein glaubwürdiges Mitgestaltungsrecht bekommen. Es muss auch praktisch dafür Sorge getragen werden, dass die IGGiÖ eine österreichische, sunnitische wie schiitische Vertretung aller Muslime ist. Auch für die nicht in Vereinen organisierten Muslime muss eine Möglichkeit gefunden werden sie einzubinden. Bei Weitem heikler ist weiterhin die Frage der Aleviten, da noch immer manche Organisationen und wichtige Personen sich nicht als eigene Religion sehen wollen. Für diese (z. B. syrische und zahlreiche türkische Aleviten) sollte die IGGiÖ da sein und spezifische Lösungen suchen.

4. Frauenbeteiligung an der neuen Führung und Rolle der Jugend: Da die großen Verbände bestenfalls Frauenabteilungen haben, Frauen aber in der eigentlichen Organisation und Führung leider unzureichend vertreten sind, droht schon die erste Ebene nach den Wahlen, die Gemeindeversammlung, männlich dominiert zu sein. Auch wird von den großen Organisationen versichert, dass die Frauen nicht auf der Strecke bleiben werden und dass geschlechtsspezifische Diskriminierung nicht auftreten darf. Frauen weiterhin in Führungspositionen zu behalten ist eine Stärkung der IGGiÖ. Eine "Verjüngung“ der Führung ist auch wichtig, Ältere müssen allmählich lernen, auch wenn dies der Tradition widerspricht, loszulassen. Aber dafür müssen sich auch die zahlreichen muslimischen Jugendorganisationen entsprechend einbringen.

Die zwei Säulen der Ära Schakfeh

5. Professionelle Führung der IGGiÖ-Institutionen: Die Ära Schakfeh wird in die Geschichte mit der Erinnerung an zwei wichtige Säulen eingehen. An erster Stelle die Definition und Standortbestimmung für den "Islam in Europa“ durch eine österreichische und die drei europäischen Imame-Konferenzen, samt deren richtungsweisenden Dokumenten und Schlusserklärungen. Und zweitens als Ära der Institutionalisierung, insbesondere im Bildungsbereich: IRPA, IRPI und die Islamische Fachschule sind Einrichtungen, die ihresgleichen in Europa suchen. In fast allen EU-Ländern wird verzweifelt mit dem Thema islamischer Religionsunterricht umgegangen, während hier Österreich eine Vorreiterrolle spielt. Aber auch hier müssen Unabhängigkeit, Kompetenz, Professionalität und Vielfalt gewahrt bleiben. Es darf nie zu einem "Proporzsystem“ nach Zugehörigkeit der Organisationen kommen oder die Institutionen - noch schlimmer - zum Werkzeug einzelner Organisationen werden.

Eine kritische Anteilnahme der nichtmuslimischen Öffentlichkeit täte der IGGiÖ in den nächsten Jahren gut. Problematisch wird es, wenn nicht Kritik, sondern Zerstörungswille im Vordergrund steht! Aber die Voraussetzungen sind gar nicht so schlecht für ein erfolgreiches Schicksalsjahr 2011.

* Der Autor ist Obmann der "Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen“

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