Schieflage des Diskurses

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Die Eröffnungsreden zu den Salzburger Festspielen verstehen sich als eine Art kritisch-reflexive Bestandsaufnahme zu den Zeitläuften vor dem Hintergrund des vielzitierten Festspiel-Gründergeistes im Allgemeinen und des jeweiligen Jahresmottos im Besonderen. "Passion, Leidenschaft, Ekstase" hatte man sich dieses Jahr als Leitmotiv erkoren -und den Historiker und Schriftsteller Philipp Blom ans Rednerpult gebeten.

Der bot dann das, was heute im öffentlichen Diskurs als state of the art gilt. Das Erbe der Aufklärung sei bedroht wie "seit dem Ende des Totalitarismus" nicht mehr, denn das "universelle Denken und die universellen Menschenrechte sind abgelöst worden vom Rückzug auf das Eigene, auf die Nation, die Grenze. Freiheit, Gleichheit und Solidarität sind offensichtlich nur dann attraktiv oder durchsetzbar, wenn sie von hohen Mauern und Stacheldraht geschützt werden." Abgrenzung statt Aufklärung also. Solche oder ähnliche Gedanken muss man heute äußern, um als intellektuell einigermaßen satisfaktionsfähig zu gelten.

Behauptung moralischer Überlegenheit

Was daran insbesondere verstört, ist die implizite Behauptung einer Art moralischer Überlegenheit: "universelles Denken","Aufklärung" werden für einen selbst in Anspruch genommen, während das "Eigene", die "Nation", die "Grenze" in den Bereich des Ressentiments verwiesen werden. Davon abgesehen darf man auch fragen, ob nicht - Stichwort "Dialektik der Aufklärung" - ein differenzierter Blick auf die Aufklärung geboten wäre: Deren Geschichte ist auch eine von Blut und Terror. Zudem: "Freiheit, Gleichheit und Solidarität" lassen sich nicht ohne Weiteres auf einen Nenner bringen, vielmehr sind es Begriffe, die durchaus in Konflikt miteinander geraten können. Wenn aber die rechte Balance zwischen Freiheit, Gleichheit und Solidarität als Inbegriff europäischer, "westlicher" Werte gemeint ist, dann gilt doch zweifelsfrei, dass sich diese Trias nie von selbst versteht. Dass sie, das von ihr geprägte Lebensmodell sowohl nach innen stets aufs Neue errungen und bewahrt und nach außen gesichert und geschützt werden muss; im Konkreten natürlich auch mit grenzsichernden Maßnahmen. Freiheit und Wohlstand nach innen sind ohne Absicherung nach außen nicht zu haben. Das ist in Zeiten der Massenmigration überdeutlich zu erkennen, war aber im Kern nie anders. Auch die Begriffe Integration und Inklusion, denen ein guter und richtiger Kern zu eigen ist, setzen voraus, dass es ein "Inneres","Eigenes" gibt, in das hinein man anderes, von "außen" Kommendes integrieren und inludieren kann. Diesen Zusammenhang wollen freilich gerade jene, die diese Begriffe zeitgeistig inflationär verwenden, am wenigsten sehen.

Die viel beklagte Polarisierung

Philipp Blom sorgt sich, dass der "Respekt vor Fakten und dem kritischen Denken gegenüber Meinungen, Gefühlen und Vorurteilen in die Defensive" gerate. Das wäre in der Tat bedenklich. Doch meinen jene, die solche Kritik formulieren, meist den Respekt vor den eigenen Fakten, ihrem eigenen Denken, das selbstverständlich als "kritisches" zu gelten hat, wohingegen abweichendes Denken als bloße "Meinungen", schlimmer noch: "Gefühle und Vorurteile" bewertet werden.

So ist es ja auch mit der viel beklagten Polarisierung: Man nimmt für sich in Anspruch, was man dem anderen nicht zugestehen möchte. Ja, es mag schon stimmen, dass in einer komplexer gewordenen Welt sich auch der zivilisierte Austausch von Argumenten schwieriger gestaltet. Vielleicht ist es aber vor allem so, dass eine selbsternannte Meinungselite zunehmend spürt, dass ihre Dominanz des öffentlichen Diskurses, ihre Lufthoheit über den intellektuellen Stammtischen sich unwiderruflich dem Ende zuneigt. Und das dementsprechend lauthals beklagt.

rudolf.mitloehner@furche.at |

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