Schmerzhafte Therapie

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Sechs Jahre nach dem Bestseller "Hitlers willige Vollstrecker" rechnet der US-Politologe Daniel Goldhagen mit der katholischen Kirche ab. Auch der Theologe Stefan Moritz beleuchtet das dunkle Kapitel Kirche und NS-Regime.

An Publikationen über die katholische Kirche und deren Verhalten vor, während und nach der NS-Herrschaft herrscht kein Mangel. Auch wenn die beiden zur Zeit diskutierten Bücher zum Thema - Daniel Goldhagens "Die katholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne" und Stefan Moritz' "Grüß Gott und Heil Hitler. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich" - insinuieren, dass hier noch viel zu wenig geforscht wurde: Jedenfalls seit Rolf Hochhuths "Stellvertreter" 1963 findet die diesbezügliche wissenschaftliche Debatte statt (siehe unten bzw. Seite 5) und viele Vorwürfe, die Daniel Goldhagen in seinem Buch zuspitzt, sind hierzulande spätestens seit Friedrich Heers bahnbrechendem Opus "Gottes erste Liebe. Die Juden im Spannungsfeld der Geschichte" (1967) in Diskussion: Hitlers Antisemitismus, der in den industriellen Massenmord mündete, war kein Betriebsunfall des 20. Jahrhunderts, sondern die Konsequenz einer langen Historie, an der das frühe Christentum ebenso wie die spätere katholische Kirche ganz und gar mitschuldig sind. Dass dieser geschichtliche Kontext auch zur fragwürdigen Rolle von Christen und Kirchenleitungen während der NS-Zeit beitrug, ist ebenfalls nichts Neues: "Zu wenig Gerechte" - Erika Weinzierls Buchtitel (1969, 4. Aufl. 1997) ist auch auf die Kirche und ihr schweigendes Versagen gemünzt.

Moralisierende Abrechnung

Dass die katholische Kirche ihre antijüdischen Haltungen auch nach der Schoa nur langsam änderte, ist ebenfalls nichts Neues: Die Kritik etwa am vatikanischen Schoa-Dokument "Wir erinnern" aus dem Jahr 2000, wo Hitlers Antisemitismus von einem harmloseren, christlich geprägten "Antijudaismus" unterschieden wird, und wo nur von "Söhnen und Töchtern der Kirche", aber nicht von der Kirche an sich, die gefehlt habe, gesprochen wird, ist berechtigt und wurde auch innerhalb der katholischen Kirche artikuliert.

Es ist nicht das Problem, dass Goldhagen in seinem Buch der katholischen Kirche diese Vorwürfe um die Ohren haut. Bedenklich wird es, wo der Politologe in seiner - verständlichen - Betroffenheit die Analyse verlässt und nicht nur mit der katholischen Kirche moralisch wie moralisierend abrechnet, sondern auch gleich mitliefert, wie der Vatikan Wiedergutmachung zu leisten hat. Dabei scheut Goldhagen kaum eine These, auch nicht, dass die katholische Kirche die "christliche Bibel", wie Goldhagen das Neue Testament bewusst falsch apostrophiert, von ihren "antisemitischen" Teilen reinigen müsse.(Die Diskussion der antijüdischen Polemiken im Neuen Testament findet sich im Übrigen ebenfalls längst bei Friedrich Heer.)

Solche Kritik an Goldhagens Buch bezieht sich aber ausschließlich darauf, dass sich der amerikanische Bestseller-Autor als Moralist geriert. (Sprechend schon Goldhagens einleitende Einschätzung, in der er über seinen Bestseller "Hitlers willige Vollstrecker" (1996) räsoniert: Ziel von "Hitlers willige Vollstrecker" sei es gewesen, "den Deutschen wieder zu ihrem Menschsein zu verhelfen". Dass solches Sendungsbewusstsein auch bei der Abrechnung mit der katholischen Kirche durchschlägt, ist also vom Buchanfang an abzusehen.)

Dennoch: Die Fakten, die Goldhagen präsentiert, schmerzen und sind nicht wegzuleugnen (selbst wenn manch Ungereimtheit auffällt: So ist Pius XII. für Goldhagen klar ein "Antisemit", auch wenn er das nur mit einer einzigen, durchaus nicht eindeutigen Briefstelle belegt).

Akribisch, sendungsbewusst

Für das Buch des steirischen Theologen Stefan Moritz über die österreichische Kirche und die NS-Zeit gilt gleiches: Die Tatsachen sind beklemmend und nicht zu beschönigen: "Die Last der Geschichte annehmen" - so formulierten dies die deutschen und österreichischen Bischöfe 1988 in einem Hirtenbrief zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome, in dem auch zu einem neuen Verhältnis von Christen zum Judentum Klartext geredet wird. Allerdings: Weder Goldhagen noch Moritz zitieren dieses Dokument, während hingegen Goldhagen jene Erklärung der evangelischen Kirchen Österreichs aus 1998 lobend erwähnt, in der auch von einer Mitschuld der Kirchen an der Schoa die Rede ist.

Das Buch von Stefan Moritz ist eine Fundgrube, weil es akribisch judenfeindliche Äußerungen und Handlungen in der katholischen Kirche Österreichs aufzeigt. Die Lektüre ist trotz vielem, was schon anderswo bekannt war, erschütternd und ernüchternd.

Einzuwenden hingegen ist, dass Moritz ebenfalls nicht frei vom Sendungsbewusstsein ist, sich der katholischen Kirche Österreichs in Bezug auf die Judenverfolgung des NS-Regimes nur unter dem Blickpunkt der Anklage zu nähern. Wenn Erika Weinzierl - der Verharmlosung gewiss unverdächtig - im erwähnten Buch "Zu wenig Gerechte" auch darauf hinwies, dass der Wiener Kardinal Theodor Innitzer schon als Rektor an der Wiener Universität antisemitische Ausschreitungen unterbunden hatte, so wird der Wiener Kirchenfürst in Moritzs Buch ausschließlich mit antisemitischer Denkweise und ebensolchen Äußerungen beschrieben. Das Audiatur et altera pars wie die Bewertung des soziohistorischen Kontextes, in dem die antijüdischen Verhaltunesmuster der Kirche standen, ist jedenfalls nicht in ausreichendem Maße zu finden.

Auch flapsige und minder gut belegte Beurteilungen verkneift sich Moritz nicht: So bezeichnet er die Furche als "Nachfolgeorgan" der als antisemitisch gebrandmarkten Reichspost, was ein gutwilliger Geschichtsschreiber wohl kaum behaupten würde. Auch für die Behauptung, dass der der NS-Ideologie verfallene Bischof Alois Hudal, der nach Nriegsende vielen Nazi-Größen via Vatikan die Flucht ermöglichte, nach dem Krieg für die Furche geschrieben habe, findet Moritz einen einzigen Beleg, wobei der inkriminierte Artikel aus dem Jahr 1948 nichts Einschlägiges enthält.

Man sollte Stefan Moritz daher mit dem Wissen lesen, dass er auf mildernde Umstände in der Beurteilung keinen Wert gelegt hat. Auch aus dem Besserwissen des 21. Jahrhundert heraus, auch wenn Moritz wie Goldhagen der katholischen Kirche mit Recht vorwerfen, sie würde vor allem versuchen, sich ihrer geschönten Geschichte zustellen: Die historische Beurteiliung muss Belastendes wie Entlastendes gegeneinander abwiegen.

Trotz der Einwände sollte man sich die Neuerscheinungen, zumindest aber das Buch von Stefan Moritz nicht ersparen: Zur schmerzenden Therapie der kirchlichen Amnesie in Bezug auf die Schoa tragen sie allemal bei.

DIE KATHOLISCHE KIRCHE UND DER HOLOCAUST. Ein Untersuchung über Schuld und Sühne.

Von Daniel Jonah Goldhagen. Aus dem Englischen von Friedrich Griese. Siedler Verlag, Berlin 2002. 478 Seiten, geb., e 25,60

Grüss Gott und heil hitler. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich.

Von Stefan Moritz. Picus Verlag, Wien 2002, 318 Seiten, geb., e 24,90

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