Schottische Nachwehen

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In Schottland läuft der Wahlkampf für die britischen Unterhauswahlen. Aber die Diskussionen drehen sich immer noch um das Unabhängigkeitsreferendum vom Herbst.

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In Schottland läuft der Wahlkampf für die britischen Unterhauswahlen. Aber die Diskussionen drehen sich immer noch um das Unabhängigkeitsreferendum vom Herbst.

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Es ist ein milder Frühlingsnachmittag in Edinburgh, die Sonne taucht die historische Altstadt in ein angenehmes Licht. Angestellte eilen zu ihren Bussen, in der Flaniermeile Royal Mile drängeln sich Touristen und Rugby-Fans aus Irland, die Pubs und Whisky-Bars sind gut gefüllt. Vor der Princes Mall rappt ein junger Mann mit grauem Schlabberpulli, Röhrenjeans und schwarzem Baseball-Cappy.

Er wippt im Takt, hebt lässig den Arm und spricht seine Reime in ein Mikrofon. Jugendliche bleiben stehen und lauschen interessiert den Beats. Aus der Lautsprecherbox tönen Zeilen wie "Ich mach, was ich will" und "schottische Unabhängigkeit". Elliott McNaughton heißt der Rapper, er ist 18 Jahre alt und hat beim Referendum für die Unabhängigkeit Schottlands gestimmt. "Wir haben eine große Chance vertan."

Eine knappe Mehrheit von 55,3 Prozent hatte sich bei dem Referendum im September letzten Jahres gegen eine Unabhängigkeit ausgesprochen. Interessanterweise war die Zustimmung unter den Jungwählern am größten. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des konservativen Politikers Lord Ashcroft ergab, dass 71 Prozent der 16-und 17-Jährigen für die Unabhängigkeit Schottlands votierten. So wie Rapper Elliott. Das wirtschaftliche Risiko ficht den jungen Rapper nicht an. "Wir exportieren Öl und Whisky in die ganze Welt, die Leute in Russland trinken zum Teil mehr schottischen Whisky als Wodka." Schottland könne allein von seinen Einnahmen leben.

Der Sieg der "No-Campaign"

Die ökonomischen Bedenken waren der Hauptgrund, warum die "No-Campaign" am Ende obsiegte. Bei einer Unabhängigkeit hätte Schottland das Pfund als Währung nicht behalten dürfen und wäre zunächst nicht mehr Mitglied der Europäischen Union gewesen. Das Land hätte einen formalen Mitgliedschaftsantrag stellen müssen, der der Einstimmigkeit aller Staaten bedurft hätte und - wegen des anzunehmenden Vetos Großbritanniens - höchstwahrscheinlich abgelehnt worden wäre. Die milliardenschweren Struktur- und Förderprogramme, die die EU für Schottland auflegt, wären eingefroren worden. Und auch die Zuwendungen aus London wären versiegt. Zwar verfügt Schottland über reiche Erdölvorkommen. Doch wegen des Verfalls des Erdölpreises sind die Steuereinnahmen aus dem Rohölgeschäft dramatisch gesunken. Das Office for Budget Responsibility (OBR) schätzt, dass die Steuereinnahmen aus dem Ölgeschäft im Zeitraum 2016/2017 auf 600 Millionen Pfund sinken werden. Zum Vergleich: 2008/2009 waren es noch knapp 12 Milliarden Pfund. Die Scottish Nationalist Party (SNP), die die schottische Regierung in Edinburgh anführt, hat sich verkalkuliert. Der Ölpreis-Absturz hat ein riesiges Loch in den Haushalt gerissen. Laut einem Gutachten des Institute for Fiscal Studies ist das schottische Haushaltsdefizit in diesem Jahr 40 Prozent höher als im Rest des Vereinigten Königreichs. Der fürsorgende Wohlfahrtsstaat, den der ehemalige Regierungschef und SNP-Vorsitzende Alex Salmond vollmundig versprach, verwandelt sich in ein Wunschgebäude.

Ein Förderzielland

Auch die fiskale Autonomie bleibt Illusion. Schottland ist in hohem Maße von England abhängig. Die öffentlichen Ausgaben lagen mit 10.275 Pfund pro Kopf in Schottland 15 Prozent über dem Landesdurchschnitt - nur das strukturschwache Nordirland erhielt noch mehr Geld. Die Region muss womöglich bald Strom aus England importieren.

Wenn dann noch das einzig verbliebene Kohlekraftwerk in Longannet vom Netz genommen wird, könnten die Lichter in den Lowlands bald ganz ausgehen. Schottland ist eine agrarisch geprägte Region, nördlich des wirtschaftlichen Speckgürtels zwischen Glasgow und Edinburgh dominiert die Landwirtschaft. In der Region Fife kann man sich ein Bild davon machen: Schafe weiden auf saftgrünen Wiesen, Bauern bestellen Gerstenfelder für die Whisky-Brennereien, ein Lastwagen transportiert Kohlesäcke, aus den Schornsteinen steigt Ruß auf. Über manchen Landhäusern weht noch die königliche Flagge Schottlands, ein roter Löwe auf gelbem Grund.

Alex Salmond, der noch immer so etwas wie der Spiritus Rector der schottischen Unabhängigkeitsbewegung ist, hat jüngst ein Buch mit dem Titel "The Dream Shall Never Die: 100 Days that Changed Scotland Forever" veröffentlicht. Die SNP wittert Morgenluft.

Bei den britischen Parlamentswahlen im Mai könnte die Partei bis zu 40 Sitze erhalten - und so zum Königsmacher werden. Der Spitzenkandidat der Labour Party, Ed Miliband, hat eine Koalition mit der SNP zwar ausgeschlossen. Doch in einzelnen Abstimmungen könnte Labour mit den schottischen Nationalisten gemeinsame Sache machen. Sehr zum Ärger von Premierminister David Cameron. Allein der Gedanke, dass ein Schotte den Engländern vorschreibt, was sie zu tun und lassen haben, ist den Konservativen ein Graus. Bei den Tories laufen daher Planspiele einer Minderheitsregierung.

Camerons Risiko

Der Stuhl von David Cameron dürfte bei einer Wahlniederlage wackeln. Um ihn herum wird nach einem Bericht des Guardian eine "Prätorianergarde" loyaler Anhänger gebildet, die ihn im Falle eines parteiinternen Putschversuchs schützen sollen. Eine wie auch immer geartete Koalition mit der SNP ist innerhalb von Labour umstritten. Einerseits könnte man David Cameron aus Downing Street verjagen. Andererseits müsste man mit der separatistischen SNP paktieren. Die schottischen Nationalisten treiben den Preis für eine Zusammenarbeit in die Höhe. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon (SNP) forderte ein Investitionspaket von 180 Milliarden Pfund. Finanzminister George Osborne hat indes ein großzügiges Wahlgeschenk verteilt: Die Freibeträge für Sparer werden erhöht, die Steuern auf Bier und Whisky gesenkt. Ein Prosit auf den Wahlkampf. Aber wird es für die Mehrheit der Tories im Unterhaus reichen?

Der junge Rapper Ben Nicholson aus Edinburgh würde eine Koalition von Labour mit der SNP begrüßen. "Eine Koalition ist besser als nichts", sagt er bestimmt. Auch wenn er das politische System Großbritanniens mit seinen vererbbaren Sitzen im House of Lords für archaisch hält, könnten so schottische Interessen im Parlament durchgesetzt werden. Während die Politiker Wahlkampffloskeln zum Besten geben, feilen Ben und Elliott an ihren Rap-Parts. Ihr Traum von der schottischen Unabhängigkeit lebt weiter.

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