Schüller, Tutu und die Katholiken der USA

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Witze über den Klerus sind meine Sache nicht. Es gibt allerdings einen halbwegs passablen Priester-Witz, an den ich mich gut erinnern kann. Ein Freund hat ihn mir erzählt, als ein uns bekannter katholischer Pfarrer den päpstlichen Ehrentitel "Monsignore“ verliehen bekam. "Kennst Du die Stelle in der Bibel“, fragte mich der Freund, "an der Jesus Christus die ersten ‚Monsignori‘ berufen hat?“ Die Antwort war mir unbekannt, doch mein Freund klärte mich auf: "Da sagte Jesus zu den Aposteln: ‚Kommt mit an einen einsamen Ort … und ruht ein wenig aus.‘ (Mk 6,31).“

Ein Monsignore als in die Jahre gekommener geistlicher Herr mit grauen Haaren und violetten Knöpfen an der Soutane, der etwas leiser tritt und seine Ruhe braucht: Diesem Image eines Monsignore hat Helmut Schüller nie entsprochen. Als Mitbegründer der österreichischen Pfarrer-Initiative hat Schüller seit Jahren kirchlichen Strukturwandel hin zu mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und Demokratie gefordert. Der Aufruf seiner Initiative zum kirchlichen Ungehorsam führte dazu, dass Benedikt XVI. ihm den Ehrentitel Monsignore entzog. Seither ist Schüller offensichtlich noch aktiver und trägt seine Botschaft des Ungehorsams in die halbe Welt hinaus. Vom 16. Juli bis 7. August bereiste er die USA. Auf Einladung katholischer Reformbewegungen hielt er Vorträge in 15 Städten, darunter New York, Boston, Philadelphia, Washington, Denver, Los Angeles und Seattle. Die Veranstaltungen waren gut besucht und in den US-Medien stark präsent. Deutlich sprach sich Schüller für die Neubewertung der Homosexualität und Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare aus.

Schüllers Reise, Tutus Rede

Seattle, die größte Stadt des Bundesstaates Washington im Nordwesten der USA, die Stadt von Boeing und Amazon, Microsoft und Starbucks, war die vorletzte Station auf Schüllers Tour. 450 Kilometer östlich liegt Spokane, die zweitgrößte Stadt Washingtons. In beiden Städten gibt es vom Jesuitenorden gegründete und geführte Universitäten: Seattle University und Gonzaga University.

Gonzaga University wurde 1887 vom italienischen Jesuiten Joseph Cataldo gegründet und besitzt ein hervorragendes, in ganz Amerika bekanntes Basketballteam. An dessen Qualität kommen die Professoren der Uni nicht heran. Im Studienjahr 2011/12 lehrte ich dort als Gastprofessor.

Anfang 2012 entwickelte sich ein Konflikt zwischen der Leitung der Gonzaga University und rechtskonservativen katholischen Einzelpersonen, darunter einige Gonzaga-Professor(inn)en und Alumni, und reaktionärer katholischer Gruppierungen. Das Rektorat der Universität und die Leitung des Jesuitenordens hatten nämlich beschlossen, im 125. Jahr des Bestehens der Uni die Ehrendoktorwürde an den emeritierten anglikanischen Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu zu verleihen. Tutu sollte auch die Rede bei der großen akademischen Abschlussfeier Mitte Mai halten. Tutus Gegner verwiesen auf Positionen des Erzbischofs, die nicht mit der katholischen Lehre übereinstimmten. Er habe sich für künstliche Verhütungsmittel ausgesprochen und in bestimmten Fällen sogar Abtreibungen für moralisch vertretbar gehalten. Vor allem aber habe er sich für die völlige Gleichberechtigung von homosexuellen Menschen ausgesprochen, die Diskriminierung von Homosexuellen als "Verbrechen gegen die Menschheit“ bezeichnet und als "genauso ungerecht wie die Apartheid“. Es zieme sich für eine katholische Universität nicht, einem solchen Mann ein Ehrendoktor zu verleihen und ihn als Festredner einzuladen, argumentierten Tutus Gegner und kündigten Protestaktionen an.

Rektor Thayne M. McCulloh blieb hart. Er erwiderte, dass der Grund, warum man Erzbischof Tutu ehre, dessen Einsatz für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit sei. Als Angehöriger einer anderen christlichen Konfession müsse er zudem nicht alle Inhalte der katholischen Glaubens- und Morallehre teilen. Auch der Jesuitenprovinzial und der Diözesanbischof von Spokane, Blase Cupich, einer der wenigen verbliebenen fortschrittlichen und ausgleichenden Gestalten unter den US-Bischöfen, ließen sich durch die Proteste nicht umstimmen.

In seiner Festrede vor über 2000 Absolvent(inn)en sprach sich Tutu gegen eine Welt aus, in der Menschen für etwas bestraft werden, wofür sie nichts können: ihr Geschlecht, ihre Hautfarbe, ihre sexuelle Orientierung. "Jesus zieht alle zu sich und umarmt alle“, sagte der anglikanische Erzbischof, "schöne Menschen und weniger schöne, kluge und weniger kluge, große, kleine, Menschen mit Idealfigur und solche, die sie nicht ganz erreichen, schwarze, weiße, gelbe, schwule, lesbische, heterosexuelle, Juden, Muslime, Christen, alle, alle, alle, alle.“

Tutus begeistert aufgenommene Rede und viele Gespräche mit jungen Katholikinnen und Katholiken in meinen Lehrveranstaltungen illustrierten für mich, was der spanisch-amerikanische Religionssoziologe José Casanova als "gegenwärtige Disparität zwischen gesellschaftlicher und kirchlicher Moral“ bezeichnet. Nach Casanova gebe es in der US-Gesellschaft in wesentlichen Punkten gerade nicht jenen von kirchlichen Amtsträgern häufig beklagten ethischen Relativismus, sondern eine mehrheitsfähige und klare moralische Überzeugung, die auch von immer mehr Katholiken, vor allem jungen, geteilt wird: Frauen sollten gleiche Rechte wie Männer haben und homosexuelle Menschen gleiche Rechte wie heterosexuelle.

Moralische Disparität

Gerade in diesen zentralen ethischen Positionen widersetze sich das katholische Lehramt jedoch grundlegenden gesellschaftlichen Gerechtigkeitsvorstellungen. Nach Casanova besteht zudem in der heutigen Gesellschaft, die vom Klerus gerne als sexuell permissiv und unmoralisch diffamiert wird, zumindest eine strenge sexualethische Norm: das Verbot sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Jene Organisation aber, die Jugendlichen, Eheleuten und Homosexuellen rigorose sexualmoralische Normen auferlegt, habe die sexuellen Verbrechen ihrer eigenen Kleriker, jahrzehntelang als Kavaliersdelikte behandelt und vertuscht.

Kontinuierlicher Abschied

Trotz der Tatsache, dass Rom vor kurzem eine ungeliebte neue Übersetzung der liturgischen Texte durchgesetzt hat, ist das Leben in zahlreichen Pfarrgemeinden weiterhin lebendig. Die am Gonzaga-Campus gelegene Pfarrkirche St. Aloysius zeichnete sich durch einen offenen Katholizismus aus. Der Gottesdienst an Sonntagvormittagen war immer gut besucht, die Musik war lebendig, die Predigten exzellent. Das ist jedoch nicht in allen katholischen Kirchen so. Insgesamt nimmt die Bindungskraft des Katholizismus in den USA stark ab: Die katholische Kirche ist jene amerikanische Religionsgemeinschaft, die zahlenmäßig und prozentual die höchsten Austritte zu verzeichnen hat. Für ein Viertel der Ausgetretenen waren die unzähligen Fälle klerikaler sexueller Gewalt und deren Vertuschung durch die Bischöfe der entscheidende Grund dafür. Zwar ist mehr als jeder fünfte der insgesamt 314 Millionen Amerikaner ein Katholik, doch jeder zehnte Amerikaner ist bereits ein Ex-Katholik. Einer von drei Amerikanern, die als Katholiken aufgewachsen sind, bezeichnet sich heute nicht mehr als solcher. Die Mitgliedszahlen der Kirche sind nur wegen der vielen eingewanderten Latinos nicht dramatisch eingebrochen.

* Der Autor ist Sozialethiker an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Graz |

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