Schüssel statt Schuxelles

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Der Bundeskanzler wird nicht EU-Chef. Versuch einer nüchternen Nachbetrachtung.

Nach der Niederlage beginnt die Aufarbeitung. Wolfgang Schüssel ist - wie erwartet - nicht EU-Kommissionspräsident geworden, und nun zeigen die auf, die es immer schon gewusst haben, warum es so kommen musste. Ein renommierter Kolumnist des Landes versteigt sich gar zur Behauptung, die Österreicher hätten in "patriotischen Fantasien" geschwelgt; und jetzt, nach der Leider-doch-nicht-Nominierung Schüssels, sähen wir uns einmal mehr als "Opfer"...

Nun ist über den österreichischen Opfermythos, den Hang, sich stets zum Opfer feindlicher Mächte zu stilisieren, schon viel geschrieben worden; im Kern mit einiger Berechtigung, im Konkreten freilich oft haltlos überzogen - als ob es die Neigung, sich vor unangenehmen (historischen) Wahrheiten zu drücken, nicht auch anderswo gäbe.

Aber in der Causa Schüssel-Brüssel greift das einschlägige Analyse-Instrumentarium überhaupt nicht. Ja, schon richtig, die Kronen Zeitung hat agiert, wie man es von ihr erwartet hatte ("Wie Schüssel verhindert wurde"). Jenseits der heimischen Nabelbeschau nimmt sich die Sache freilich weit weniger dramatisch aus. Der österreichische Bundeskanzler war einer von vielen, die für die Position des Kommisionspräsidenten ins Spiel gebracht wurden. Das war für ihn und für das Land ehrenvoll, doch kein Anlass für "patriotische Fantasien", in denen auch niemand geschwelgt ist. Wolfgang Schüssel selbst hat die Angelegenheit immer heruntergespielt. Das mag strategische Gründe gehabt haben (kluge Zurückhaltung - wer zuletzt lacht, ...), er hat aber dabei glaubwürdig den Eindruck erweckt, die nötige innere Distanz zu den Spekulationen zu besitzen. Ob Schüssel wirklich gerne nach Brüssel gewechselt wäre, lässt sich wohl nicht definitiv sagen. Dafür spricht zum einen, dass der Job wohl zu jenen gehört, die, wie es so schön heißt, "man nicht ausschlägt". Vor allem aber ist kaum vorstellbar, dass der mit hoher Intelligenz und sicherem Instinkt begabte Bundeskanzler sich noch irgendwelchen Illusionen über die Zusammenarbeit mit der FPÖ bis zum Ende der Legislaturperiode hingibt (auch wenn seine Palatine in fast schon gespenstisch anmutenden Interviews an der Realität vorbeireden, nach dem Motto "Augen zu und durch").

Es war bei Schüssel jedenfalls nicht anders, als bei den übrigen Kandidaten: es bildeten sich Allianzen und Gegenallianzen, es war ein gegenseitiges Abtesten und -tasten, ein Tarnen und Täuschen. So weit, so menschlich und daher auch EUropäisch. Bei jedem derer, die schlussendlich nicht auf den Schild gehievt wurden, gaben andere Gründe den Ausschlag. Im Falle Schüssels war es die Abneigung der Franzosen und der Deutschen gegen jenen Mann, der 2000 der rechtspopulistischen FPÖ den Weg in die Regierung geebnet hatte. Das ist ihr gutes Recht, wie es das gute Recht der Briten ist, jemanden abzulehnen, der sich gegen den Irak-Krieg gestellt hat. Und weil jedes einzelne Land "sein gutes Recht" hat, liegt der kleinste gemeinsame Nenner sehr hoch oder, umgekehrt, ist der größtmögliche Kompromiss ein minimaler. (Dass dieses Ergebnis im nachhinein dann als die beste aller denkbaren Möglichkeiten dargestellt wird, gehört zum unwürdigen Spiel.)

Fragen kann man indes, ob die gegen die jeweiligen Kandidaten vorgebrachten Gründe tatsächlich gegen diese gesprochen haben. Ist ein Premier, der die Weltpolitik anders als Blair und Bush sieht, an der Spitze der Kommission undenkbar? Und wäre Schüssel deswegen ein schlechter Präsident geworden, weil er eine Regierung mit der FPÖ gebildet hat?

Um bei Letzterem zu bleiben: Man hätte doch gerne von Chirac, Schröder oder Joschka Fischer einmal gehört, wie sie sich den rechten Umgang mit dem Politphänomen Jörg Haider gewünscht hätten. Und was hätten sie wohl gesagt, wäre Haiders FP bei den Wahlen 2004 stärkste Partei geworden? Auf diese Fragen bekommt man auch hierzulande oft nur betretenes Schweigen.

Auf einem ganz anderen Blatt steht die Überlegung, wer wohl der beste Mann an der Kommissionsspitze gewesen wäre. Der hätte diesfalls - selten genug - sogar ausgezeichnete Chancen gehabt. Aber Jean-Claude Juncker wollte partout nicht...

rudolf.mitloehner@furche.at

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