Erinnern Sie sich noch an dieses Bild nach dem furchtbaren Todesflug in den französischen Alpen: die vielen brennenden Kerzen vor jenem "Joseph-König-Gymnasium" der kleinen deutschen Stadt Haltern, die den Tod von 16 Schülern und zwei Lehrerinnen zu beklagen hat. Was dieses Lichtermeer erhellen sollte, war offenkundig: das Dunkel von Trauer und Verzweiflung in den Seelen.
Oft schon haben wir derlei Szenen gesehen. Dort, wo der schützende Abstand zwischen einer Tragödie und der eigenen Lebensrealität zusammenstürzt, dort bleibt kaum mehr als dieses flackernde Licht der Hoffnung auf ein Wiedersehen "anderswo".
Angesichts der Kerzen vor dem "Joseph-König-Gymnasium" ist mir wieder einmal die so bewegende letzte Bitte von Kardinal Franz König in den Sinn gekommen: "Mein Wunsch ist nur: an meinem Sarg die Osterkerze nicht zu vergessen."
Was für ihn, den großen Beter, selbstverständlich war -das Wissen um jenes nie verlöschende Licht hinter allem Dunkel, um die Tröstung hinter der Trauer, um die Auferstehung nach dem Tod: mehrheitsfähig ist diese Kernbotschaft des Christentums heute nur noch in der Symbolik von brennenden Kerzen. Ein vage gewordenes und dennoch berührendes Zeichen transzendentaler Erwartung.
"Tod, wo ist dein Stachel" hatte der Apostel Paulus einst geschrieben, ganz vom Glauben an ein ewiges Leben durchdrungen. Wer würde das heute ohne Zögern wiederholen - nach all dem Leiden und Sterben in Vergangenheit und Gegenwart? Und doch hat, aller religiösen Versteppung zum Trotz, ein scheuer Rest dieses Mysteriums gerade im Kerzenlicht überlebt.
Zuhören, mitweinen - mitbeten
Das Drama der "Germanwings" hat es gezeigt: Wenn es hart auf hart geht, dann sind nicht nur Psychologen und Sedativa gefragt, um traumatisierten Menschen zu helfen. Es braucht auch die Kerzen, ja sogar jene beinahe vergessenen Seelsorger, die noch "zuhören, mitweinen und, wenn gewünscht, auch mitbeten", wie es ein Priester jetzt am Frankfurter Flughafen formuliert hat.
Beides, Kerzen wie Seelsorger, reichen freilich nicht aus, um jetzt auf eine Wiederkehr der - bei uns weitgehend verlorenen - Auferstehungsbotschaft zu hoffen. Wohl aber sind sie ein Indiz für Hoffnungen, die unauslöschlich sind.
Und vielleicht darf auch das einmal erwähnt werden: Ja, im Namen des Christentums wurden Wunden geschlagen, erschreckend viele. Aber es werden auch Wunden geheilt, heute vermutlich sogar mehr denn je. Umfragen zeigen: Nichts macht unsere Kirchen glaubwürdiger als dieser Beistand unter dem Kreuz aller Verzweiflungen.
"Wir sind meist nicht die Ersten, die zu Hilfe eilen, aber fast immer die Letzten, die wieder gehen", hat ein Jesuit dieser Tage gesagt. Motiviert vom Beispiel des Auferstandenen, der "die Ketten des Todes zerbrach", wie Christen in aller Welt auch in der kommenden Osternacht singen werden. Im Licht der Kerzen.
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