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Anselm Grün: "Sehnsucht nach dem Göttlichen"

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Seelsorge heute heißt, die Suchenden zu begleiten - ob sie nun "gläubig" sind oder nicht. Das FURCHE-Osterinterview mit P. Anselm Grün OSB.

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Seelsorge heute heißt, die Suchenden zu begleiten - ob sie nun "gläubig" sind oder nicht. Das FURCHE-Osterinterview mit P. Anselm Grün OSB.

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Er zählt im deutschen Sprachraum zu den gefragtesten spirituellen Vortragenden und ist Autor einer großen Zahl von Büchern zum Thema. P. Anselm Grün, Benediktinermönch in der Abtei Münsterschwarzach, sprach Anfang April bei der FUTURE-Konferenz in Chieming/Bayern. Auch der FURCHE stand Pater Anselm Rede und Antwort.

DIE FURCHE: Zurzeit macht das Buch "Aus, Amen, Ende?" von Thomas Frings Furore, der sein Amt als Pfarrer niedergelegt hat und in ein Benediktinerkloster gegangen ist. Ist solch ein Kloster ein guter Rückzugsort?

Anselm Grün: Ja. Benediktinisch heißt ja auch viel Schweigen, wo man einfach mit sich selber und mit Gott in Berührung kommen kann. Es hat einen guten Rhythmus, und der bringt auch die Seele in Ordnung, wenn sie durcheinander geraten ist.

DIE FURCHE: Grund für den Ausstieg von Frings war die Art der Seelsorge. Die funktioniert in unseren Breiten nicht mehr, sagt er.

Grün: Frings spricht an, dass die Priester kaum mehr Zeit für persönliche Seelsorge haben und nur noch Sakramentenspender werden oder mit Verwaltungsdingen beschäftigt sind. Für die eigentliche Begleitung von Menschen -was ein großes Bedürfnis ist - haben sie keine Zeit. Darunter leiden viele Priester. Das muss man bedenken und auch die Frage, wie die Kirche weitergeht. Wer Priester werden soll -also auch Verheiratete oder Frauen -, das wäre ein Thema.

DIE FURCHE: Die benediktinische Lebensform ist eine spezifische Art, den Glauben zu leben, aber auch der Seelsorge.

Grün: Unser Leben soll einfach Ausdruck sein, dass Gott im Mittelpunkt ist, dass wir Gott suchen, und immer weitersuchen, was Gott für mich, für Menschen heute ist. Das zweite ist die Seelsorge: Die Menschen kommen zu uns ins Gästehaus, zu Kursen oder zur Begleitung. Die Sehnsucht, begleitet zu werden, ist groß. Viele gehen zum Therapeuten, aber spüren auch, dass die Therapie die religiöse Dimension nicht immer genügend berücksichtigt. Sie suchen Hilfe bei Fragen wie: Wie kann ich den Glauben im Alltag leben? Wie kann der Glaube mir helfen, mit Ängsten, mit Depressionen umzugehen und einen Sinn im Leben zu finden? Unser Gästehaus ist immer voll, weil auch Menschen kommen, die nicht so kirchennah sind.

DIE FURCHE: In Ihrem Buch "Gott los werden?", das Sie 2016 mit dem tschechischen Priester und Intellektuellen Tomás Halík verfasst haben, setzen Sie sich mit dem Atheismus auseinander. Wie begleitet man Menschen, die sagen, sie hätten mit Gott nichts am Hut?

Grün: Viele Leute diskutieren mit der Wissenschaft und sagen, alles muss erklärbar sein. Sie sind dann verunsichert und fragen: Was heißt dann glauben? Der Atheismus ist ein Phänomen, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Es gibt natürlich die gleichgültigen Atheisten, mit denen man kaum ins Gespräch kommt. Aber die Suchenden suchen ja auch nach dem Geheimnis. Diese suchenden Atheisten benennen es nicht Gott, aber sie suchen nach etwas, das größer ist als sie selber. Manche Christen geben sich zu schnell zufrieden mit Antworten und meinen, sie würden Gott besitzen. Aber Gott kann man ja nicht besitzen: Gott ist immer jenseits aller Bilder und Begriffe.

DIE FURCHE: Karl Rahner hat dazu den Begriff des anonymen Christen geprägt

Grün: er hat Ähnliches gemeint: Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch Sehnsucht hat nach dem Geheimnis, das etwas Größeres ist. Augustinus sagt, immer wenn jemand etwas leidenschaftlich will - sei es Liebe, Macht, Erfolg oder Geld -, geht er schon über diese Welt hinaus und wird unbewusst zur Sehnsucht nach Gott. Kein Geld und kein Gott kann unsere Sehnsucht erfüllen, sondern stachelt sie nur neu an. Mit Sehnsucht ist der Mensch offen aufgebrochen für das Göttliche.

DIE FURCHE: Wird das in dem, was die Kirche anbietet, genügend wahrgenommen?

Grün: Nicht immer. Manchmal klingen die Antworten zu einfach, so als ob wir schon im Besitz der Wahrheit wären. Auch wenn ich predige, muss ich mich immer wieder fragen, was es heißt, Gott ist Mensch geworden, Gott ist da, was es heißt, wir sind erlöst, was Ostern heißt. Man muss das auf dem Hintergrund aller Zweifel neu formulieren. Zweifel und Unglaube gehören genauso zu uns wie der Glaube, wenn wir den Unglauben umarmen, ist das eine Herausforderung für den Glauben. Wenn ich aber den Unglauben verdränge, muss ich auf die Ungläubigen schimpfen oder sie sogar bekämpfen, um mich nicht verunsichern zu lassen. Jeder Mensch hat in sich Glauben und Unglauben.

DIE FURCHE: Man muss also auch den ungläubigen Pol in sich annehmen?

Grün: Ja, wenn ich ihn bekämpfe, werde ich hart oder kippe um in Verzweiflung oder muss gegen andere kämpfen, um mich selbst nicht verunsichern zu lassen. Ich muss den Unglauben umarmen, aber auf die Karte des Glaubens setzen und glauben, aber auch die anderen mit ihren Zweifeln verstehen.

DIE FURCHE: An der Spitze der Kirche gibt es Streit zwischen jenen, die alles dogmatisch definiert haben wollen, und jenen wie der Papst, die sagen, es ist gut zu hinterfragen.

Grün: Ich bin froh, dass der Papst so offen ist, er hat viel angestoßen. Aber klar gibt es bei manchen, die auf dem Alten sitzen geblieben sind, Widerstand. Wenn man sich diesen Widerstand genau anschaut, ist der oft von Angst und Machtbedürfnissen gesteuert. Ich setzte darauf, dass der Papst mit seiner Meinung zumindest im großen Kirchenprojekt bestätigt wird. Konservativ ist schon gut, man soll sich immer die Wurzel anschauen, aber man muss da nicht stur sein und auf feste Formulierungen pochen, weil Gott immer jenseits aller Formulierungen ist.

DIE FURCHE: Sie stehen als Benediktiner ja auch auf der Tradition.

Grün: Tradition ist für mich ein wichtiger Reichtum an Erfahrung und Wissen. Aber sie muss immer neu gedeutet werden, sonst wird sie leer und ein Pochen auf Gewalt.

DIE FURCHE: Sie haben von Ängsten gesprochen. Jetzt ist Angst allgemein ein Thema, Angst vor Flüchtlingen, vor sozialer Not, in Beziehungen. Wie kann man mit dieser Angst umgehen?

Grün: Das Wichtigste ist, mit der Angst zu sprechen. Die Flüchtlinge sind ja mehr ein Spiegel von uns selbst und dem Fremden in uns, davor haben wir alle Angst. Angst hängt also immer mit uns selbst zusammen. Man muss seine Ängste finden und akzeptieren, dann kann die Angst verwandelt werden. Ich darf sie nicht bekämpfen, sondern muss mit ihr ein Gespräch führen - dann kann sie relativiert werden.

DIE FURCHE: Es gibt ja auch die Angst vor der Angst. Muss man sich davor fürchten, dass die Angst im Zusammenleben der Menschen die Oberhand gewinnt?

Grün: Menschen mit Angst darf ich nicht bewerten, ich muss mit ihnen ins Gespräch kommen. Aber auch die, die Vertrauen und Hoffnung haben, sollen sich äußern. Es ist auch wichtig, dass wir uns öffentlich äußern, dass wir trotz der Realität einer Bedrohung - den ganzen Terrorismus kann man ja nicht wegschieben - die Hoffnung behalten, dass der gute Mensch gegen das bestehen kann.

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